Vor zwei Wochen hatten wir Besuch von Schwager, Schwägerin und Nichte. Letztere gerade mal ein Jahr alt. Und was ich aus Erzählungen anderer Eltern wusste, sind die kleinen Racker ordentlich in der Lage, gestandene Erwachsene mit einem brutalen Virencocktail auszuschalten. So ca 12 Stunden nach deren Abreise, auf dem Sofa zusammen gekauert, wollte der Schluck Wasser und alles im Laufe des Tages konsumierte partout nicht mehr in mir bleiben. Es erging mir wie Linda Blair im Exorzisten. Die Klomuschel in fester Umarmung, poppte dann ein Schreckensbild nach dem anderen vor mein geistiges Auge. Nicht Hofer noch Petry, nicht FPÖ noch AfD, nicht Erdogan und seine Anhänger, noch radikale Islamisten erschienen mir im Brechreiz. Kapitale Meerforellen und Lachse, lässig an einem Seil um die Schwanzwurzel über die Schulter gelegt, 60cm+ Bachforellen, die Augen glasig und geradeaus gerichtet, tanzten vor mir im Brechrausch.
Auf dem Sofa eingerollt, jagte ein Gedanke um das Thema Verwertungsabsicht, Catch & Release und Trophy-Fischern den anderen. Vermutlich war es Zeit mich so richtig auszukotzen, die angestaute Frustration über all die über die Jahre gehörten Klagen und Ausreden, endlich loszuwerden. Denn seit geraumer Zeit verfolge ich die heftigen Diskussionen um Pro & Contra C&R und den Jammer, über den gefühlten Rückgang der Anzahl an Fischen. Debatten die in Deutschland aufgrund eines restlos antiquierten Tierschutzgesetztes besonders heftig geführt werden.
Wahrscheinlich muss ich von Glück sprechen, dass ich als 10-jähriger bereits mit C&R in Berührung kam. Das habe ich einem sehr progressivem Karpfenangler damals zu verdanken, der nach bestem Wissen nun auch seit mehreren Jahrzehnten nur mehr mit der Fliege fischt. Somit stellt sich für mich seit damals nicht mehr die Frage, ob ich mit einer ‘Verwertungsabsicht’ ans Wasser ziehe oder nicht, sondern ob es aus hegerischer Sicht sinnvoll ist, jenen im Kescher liegenden Fisch abzuschlagen oder nicht. Die goldene Regel seit damals – Fische über dem Mindestmaß und etwas mehr, kommen gerne gelegentlich in die Pfanne. Stattliche Fische hingegen, sollen so oft wie möglich, ihr wertvolles Genmaterial weitergeben können.
The finest gift you can give to any fisherman
is to put a good fish back,
and who knows if the fish that you caught
isn’t someone else’s gift to you?
(Lee Wulff)
Wenn ich am Wasser unterwegs bin und auf andere Fliegenfischer treffe, stoße ich ganz gerne eine Unterhaltung an. Signale, dass das unerwünscht sei glaube ich ganz gut zu lesen. Früher oder später gleitet das Gespräch in Richtung Qualität der Fische ab. Mit Glänzen in den Augen werden Trophäenberichte aus dem Netz kommentiert. Die kindliche Freude an den Ausnahmefischen anderswo, weicht der resignierten Einsicht, dass es solche Fische hier ja nicht gäbe. Ja wie denn auch? Wenn der durchschnittliche Fliegenfischer noch immer auf sein Recht beharrt, den Beitrag für die Jahreskarte in Kilo aufwiegen zu müssen. Eine 30cm Forelle wird auch vielleicht mal 60cm messen, wenn man sie nur wachsen lässt.
Ich möchte wirklich niemandem das Recht absprechen, ab und an eine Forelle mit nach Hause zu nehmen. Sobald der Angler aber denkt, seinen Fang für die Kühltruhe mitnehmen zu müssen, sollte er/sie sich fragen ob das wirklich nötig ist. Interessanterweise wird in diesem Zusammenhang dann gerne die gesetzliche Vorgabe beschwört. Es lässt sich natürlich nicht von der Hand weisen, dass wir hier im deutschsprachigen Raum, besonders ausgeprägt gesetzestreu sind. Das merkt man an jeder auf rot stehenden Fußgängerampel an wenig befahrenen Straßen. So manches absurde Gesetz muss aber erst von ausreichend Personen gebrochen werden, bevor es für Exekutive und Justiz nicht mehr ahndungswürdig erscheint. Oder möchte irgendwer behaupten, dass Hobbyangeln mit Verwertungsabsicht vernünftig sei, wenn es keinen Grund und Bedarf gibt, Fische zum eigenen Überleben zu töten?
Our tradition is that of the first man
who sneaked away to the creek
when the tribe did not really need fish
Mit zwinkernden Auge werden Umschreibungen aufgerufen wie, der Fisch ist mir aus der Hand geglitten, bevor ich ihn seiner ordnungsgemäßen Verwertung zuführen konnte. Wäre es aber nicht an der Zeit zu seiner Einstellung zu stehen und Angst vor PETA, NABU und dem Gesetzgeber über Bord zu werfen und wenn damit konfrontiert, all die Gründe aufzuführen, warum das gegenwärtige Mindestmaßgesetz in Anbetracht der steigenden Zahl an Freizeitanglern, unseren Flüssen und Seen mehr Schaden als Nutzen zufügt?
• Überfischung
• Verbuttung
• habitatfremder Stützbesatz
Es ist mir unbegreiflich, warum Deutschland seinen weltweiten Einzelweg beschreiten muss und selbst sinnvolle Maßnahmen wie Zwischenmaße nicht in Anbetracht zieht. Was spricht dagegen Bachforellen zwischen 25-35cm entnehmen zu dürfen und alle darunter- und darüberliegenden wieder zurückzusetzen? Es kann ja wohl kein Zufall sein, dass alle überlieferten Forellengerichte einen ganzen Fisch am Teller liegen haben und nicht einen zerstückelten? Die kleineren schmecken halt am besten. Oder denkt irgendwer ernsthaft daran sich im 21. Jhdt. einen präparierten Kopf als Staubfänger in den Eingangbereich der Wohnung zu hängen?
Und das vermeintliche Totschlagargument, dass große Forellen schlecht für den restlichen Bestand wären, lasse ich nicht gelten. Entstammt es doch einem ertragsorientierten Fischereimanagementansatz, der dem Mensch an oberster Stelle der Nahrungskette, die größte Beute an Menge und Masse zuspricht. Forellen essen nun mal unter anderem andere Forellen – wurde von der Natur so beabsichtigt. Dass sich der unerfahrene Besatzfisch nichtsahnend in die Nähe einer wilden Großforelle begibt und diese Unvorsichtigkeit mit dem Leben bezahlt, kann der autochthonen Großforelle sicher nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Beginners may ask why one fishes if he is to release his catch.
They fail to see that the live trout,
sucking in the fly and fighting the rod
is the entire point to our sport.
Dead trout are just so much lifeless meat
(Ernest G. Schwiebert, Jr)
Jetzt mag beim einem oder anderen vielleicht der Eindruck entstehen, mir geht es darum, möglichst viele Großfische an den Haken zu bekommen. Weit gefehlt, kann ich nur sagen. Natürlich macht es Spaß große Fische zu fangen, besonders wenn es ein gehöriges Maß an Geduld und Beharrlichkeit bedarf, diese Ausnahmefische zu fangen – Tiere dieser Art werden nicht zufällig so groß. Für einen Trophy Fisherman halte ich mich aber viel zu zurückhaltend und allgemein zu bedacht.
Was diesen Typus unter anderem nicht selten auszeichnet, ist die unreflektierte Nutzung von Ausdrücken und Begrifflichkeiten, die inhaltlich meilenweit entfernt sind von einem respektvollen Umgang mit Fischen und der Natur. Kürzlich sah ich ein Video von ein paar Finnen in Australien – zugegebenermaßen ein ganz lustig gemachtes Video. Aber mal ehrlich Guys, was geht durch eure Köpfe wenn ihr euch im Abspann als ’lip rippers’ bezeichnet? Die Liste an dämlichen Bezeichnungen ließe sich fortsetzen. Ich möchte aber niemanden auf dumme Ideen bringen. Nennt mich gerne humorlos – aber in meinem Verständnis von Fliegenfischen ist dafür kein Platz. Mit ‘fly guy’ hingegen, freunde ich mich schon mehr an.
Luft gemacht – Ende der Durchsage
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Sir Saturday says
Hey Tankred,
wieder ein toller Artikel. Sauber geführte Argumentationsstruktur, mit bildhaften Beispielen untermalt und anregende Zitate aufgeführt. So mag ich das und so kann man es vorzeigen, wann immer das Thema zur Debatte wird.
Habe neulich auch etwas von dir im Scale Magazin gelesen. Dem Vornamen begegne ich nicht häufig und auch dem Schreibstil nicht ;)
Zur Sache:
Kürzlich fragte mich meine Freundin, als ich davon schwärmte wie gern ich einmal im Leben auf Schwarzbarsch angeln und extra dafür eine mehrtägige Reise unternehmen würde, wie genau ich mir die Gestaltung eines solchen Trips vorstelle. Was werde ich unternehmen, sollte ich schnelle Fangerfolge erzielen und die eingeplanten Tage nicht benötigen, um ein einziges Exemplar zu fangen.
“Weiterangeln natürlich und releasen sowieso, nachdem dass Abendbrot gesichert ist”, war meine prompte Antwort. Schließlich werde ich weit gefahren oder geflogen sein, um genau diese eine Fischart zu beangeln. Da ist es doch nur verständlich, dass ich den Black Bass möglichst intensiv erleben möchte!?
Nichtsahnend, worauf sie mit der Frage abzielte, lockte sie mich aus der Reserve. War meine Begründung angeln zu gehen, zumindest ihr gegenüber, doch bisher der Aspekt von Selbstversorgung, sich Fisch eigenhändig beschaffen zu können, die Quelle des Lebensmittels zu kennen und industrielle Überfischung nicht zu unterstützen.
Das ist wohl nicht ganz aufrichtig.
Obwohl ich inzwischen auch aus diesen Gründen angle, habe ich als Kind aus Freude am Angeln eben damit begonnen und nicht, um mir selbst Fisch zum Verwerten zu beschaffen.
Wenn ich bisher als Erwachsener im Alltag angeln ging, hatte ich mir meine Ethik clever zurechtgelegt: Ich angle, um mir ein Nahrungsmittel auf natürlichem Wege zu beschaffen, fernab der entfremdeten Variante des Tiereinkaufs im Supermarkt. Sobald ich einen Fisch (selbstverständlich über Mindestmaß) in Entnahmefenstergröße gefangen habe, beende ich das Angeln. Kleinere sowie größere Exemplare setze ich zurück. Sie entsprechen schließlich nicht dem, was ich sinnvoll verwerten kann, weil sie entweder nicht für eine Mahlzeit reichen (bzw. dem Mindestmaß nicht entsprechen), oder zu groß dafür sind.
Hinter jenen Maximen habe ich meine Freude am Fischfang versteckt. Vor mir selbst und gegenüber anderen. Das fiel mir nicht auf, weil ein verwertbarer Fang am Angeltag gleichermaßen mein Bedürfnis nach Nahrung sowie Angelei stillte.
Ich musste mich nicht fragen, warum ich einem Lebewesen, mit Beginn des Drills bis zum Freilassen bzw. Betäuben, grundlos, mindestens physischen Schaden zufüge. Immerhin diente das dem sinnvollen Zweck der Nahrungsbeschaffung im Sinne der Natur eines Omnivoren.
Beim Black Bass sähe die Lage jedoch anders aus. Ich würde weiter angeln wollen, selbst nachdem ich genügend Barsche für den ganzen Urlaub gefangen hätte! Ich würde ganz offen Freude empfinden, während ein Lebewesen womöglich psychisch – definitiv physisch – aufgrund meines konkreten Handelns leidet, ohne, dass jenes Handeln (nach Maßgabe des Tierschutzgesetzes) einem tieferen Sinn entspräche.
Wie kann ich das ethisch vertreten?
Tankred Rinder says
Hi Sir Saturday,
über Deinen Kommentar habe ich mich besonders gefreut. All die positiven Attribute die Du meinen Beiträgen attestierst, kann ich vorbehaltlos Deinem Kommentar zuschreiben. Ein Genuss zu lesen! Deine Malaise bei der Suche nach Rechtfertigung für Deine Leidenschaft – Dein Leid oder das des Fisches? – kann ich nachvollziehen.
Meine Argumentskette gegenüber Skeptikern des Angelsports:
1. Das Wort Sport in seiner ursprünglichsten Form schließt die Fairness ein. Schonhaken die wirklich nur unter Spannung im Kontakt mit dem Fisch bleiben, räumen dem Kaltblüter am anderen Ende der Schnur eine Chance ein sich noch vor der Landung vom Haken zu befreien. Wahrscheinlich zu technisch für den Laien diese Erklärung!
2. Das erbsengroße Gehirn eines Fisches, dem der für das bewusste Schmerzempfinden verantwortliche Neokortex fehlt, wird nach dem Freilassen nicht urteilen können, was soeben geschah. Der Fisch wird sich nicht einmal über seine Freilassung freuen, maximal wundern. OK, vielleicht zu wissenschaftlich dieser Rechtfertigungsversuch.
3. Das gerne zitierte Tierschutzgesetzt geht laut eines Beitrags in der Zeit auf den 24.11.1933 zurück. Nun gut, jeden Kritiker der Freude am ‘Angelsport’ ins NS Eck zu rücken, geht auch zu weit!
4. Ich zitiere gerne Roderick Haig-Brown “Our tradition is that of the first man who sneaked away to the creek when the tribe did not really need fish.” Die Lust am Angeln ist eine archaische Leidenschaft, die in einer aufgeklärten Welt auf Unverständnis stoßen wird. Zu dieser Neigung zu stehen, ist meine Verbeugung und Akzeptanz vor meinem Naturell, dass ich vor nichts und niemandem verstecken möchte – schon gar nicht vor mir selbst!
In diesem Sinne: genieße jeden Moment am Wasser unter Berücksichtigung Deiner eigenen ethischen Richtlinien. So wirst Du Gewissenheit darüber haben, mit Rücksicht und Verantwortung gegenüber der Kreatur Fisch Deine Leidenschaft auszuüben.
Viel Freude, Spaß und Erfolg bei Deinen Ausflügen ans Wasser in 2018
LG Tankred
Paul Frantz says
Toller Beitrag! Es drückt aus wie ich über C&R denke! In Frankreich(im Elsass) gibt es sehr wenig Flusse und Bäche die eine Woche nach der Eröffnung noch Forellen beherbergen. Alles was groß genug für die Pfanne ist wird mitgenommen. Zum Glück gibt es ein Paar Angler und Guides die vernünftig sind und nicht jede gefangene Jungforelle im Korb ersticken lassen(das Betäuben und Abstechen müsste noch geübt werden) und sich um die Natur kummern und verstehen.
Ich werde nicht aufhören andere Angler auf C&R anzusprechen und versuchen was zu ändern, auch wenn ich nicht oft auf offene Ohren stoße
Grüße aus Heidelberg & Frankreich!
Paul Frantz
Tankred Rinder says
Servus Paul,
der Kampf gegen die Ignoranz ist leider unermüdlich und kann nur mit Menschen wie Dir gewonnen werden.
Beste Grüße nach Heidelberg und ins Elsass
Tankred
Alex says
Hallo Tankred,
sehr schöner Blog, bravo! Endlich mal einer der sagt was Sache ist.
Ich selber bin ein überzeugter C&R Fliegenfischer mit dem nötigen Mass an Respekt den Fischen und unserer Natur gegenüber.
Zum Thema C&R kommt mir noch eine kurze Geschichte in den Sinn – War letzthin am schönen Doubs und kam doch zum Schluss, dass sich einer unserer schönsten Flüsse Europas doch wieder zu erholen erscheint. Als ich anschliessend meinem Nachbarn (überzeugter Fleisch-/Spinnfischer) über die erfolgreichen Stunden am Doubs und die positive Bilanz in Sachen Jungfische erzählte, war seine erste Frage: “wie viele Fische hast du denn entnommen?”
Lasse diese Aussage mal im Raum stehen und bedanke mich bei dir für deine Ehrlichkeit und deinen Respekt vor unserer Umwelt.
Grüsse aus der Schweiz
Alex
Tankred Rinder says
Hallo Alex,
ich habe mich bei Dir zu bedanken. Dein Beispiel veranschaulicht bestens, was ich aus den Worten und dem Handeln einiger Fischereikollegen ableite.
Grüße in die Schweiz
Tankred