© Tobias vor der Brüggen – gelegentlich gelingt auch mir ein guter Wurf
‘Schon am Anfang das Ende im Sinn haben’ – lautet eines der sieben Prinzipien des Organisationsentwicklers Stephen R. Covey, dessen “Die 7 Wege zur Effektivität” mit 25 Mil. verkauften Exemplaren, zu den erfolgreichsten Managementbüchern der letzten zwanzig Jahre zählt. Und will man nachhaltige Veränderungen an sich, seinem Team, oder in der eigenen Organisation vornehmen, so müssen verhaltensbasierte Veränderungen erlernter Prinzipien zur Gewohnheit werden. Auf das Fliegenwerfen umgetragen heißt das also: visualisiere ich eine gestreckte Leine mit enger Schlaufe, werde ich aktiv und nehme regelmäßige Übungen auf und konzentriere mich auf die nötigen Handlungen und Einzelschritte, die jeden erforderlichen Bewegungsablauf zur Gewohnheit lassen werden. Bis man letztlich auch spät Abends im Dunkeln – wenn die wirklich großen, scheuen Fische sich auch zeigen lassen – ohne nach hinten zu sehen, sicher seine Fliege in etwas Entfernung der konzentrischen Ringe am Wasser ablegt. Dieses Ziel möchte ich erreichen – die dazu nötigen Schritte eigne ich mir durch wiederholte Übungen an.
Die Grundlage und den (theoretischen) ersten Teils des Wurflehrgangs mit Sven Ostermann begriffen, wird es nun Zeit sich den nächsten praktischen Eigenschaften zu widmen, die es uns Fliegenfischern ermöglicht in einem flüssigen Bewegungsablauf eins mit Rute und Schnur zu werden. Ich muss ja gestehen, dass nicht nur die relativ lange fischereiliche Pause meine Gelenke einrostete. Das Nahbereich Fliegenfischen wie es beim Czech Nymphing und teilweise auch beim French Nymphing zum Einsatz kommt, erübrigt das Ausrollen der Fliegenschnur und den Transport der Fliegen an ihr Ziel mittels der Schnur. Der zenartige Zustand der sich aber einstellt, wenn mein Geist und mein Körper auf die feinen Zeichen reagiert, die mir mitteilen meinen Arm nach vor oder nach hinten zu bewegen, ist eine der großen Freuden am Fliegenfischen.
Durch die Bearbeitung dieses Beitrags konnte ich schon etwas vorgreifen und während der letzten Woche die Mittagspausen dazu nutzen, ein halbes Stündchen hier und da mich Rhythmus, Timing, Beschleunigung und Kraft widmen. Worauf ich hinaus möchte? Lest am besten einfach weiter, welche Empfehlungen Sven Ostermann als EFFA zertifizierter Wurflehrer auszusprechen hat.
3. Angepasster Wurfrhythmus
Als nächstes ist der Wurfrhythmus zu erwähnen. Dieser muß um so schneller sein, je kürzer die Schnur (noch) ist. Bei längerer Schnur muß man natürlich länger warten, bis die Schnur sich gestreckt, also jeweils nach hinten bzw. nach vorne ausgerollt hat. Ergo, ist die Wartezeit zwischen Vor- und Rückschwung länger, je mehr die Schnur im Leerwurf verlängert wird. Dem entgegengesetzt ist die Geschwindigkeit, mit der die Rute vorwärts und rückwärts bewegt wird. Hier gilt, je länger die Schnur, desto stärker muß der Druck auf die Rute beim Vor- und Rückschwung sein und desto schneller und auch kraftvoller muss die Rute zwischen den Endpunkten des Rück- und Vorschwunges bewegt werden.
Dieser Umstand führt leicht zu Verwechslungen. Erleichternd muss hinzugefügt werden, dass der Rückschwung meistens stärker ausgeführt wird, als der anschließende Vorschwung, da die nach hinten fliegende Schnur einer leicht nach oben ansteigenden Linie folgt und nach vorne wiederum leicht nach unten geneigt ist. Hier spielt also auch die Schwerkraft mit, die natürlich überwunden werden muss. Hinzu kommt noch, dass bei größer werdenden Schnurlängen auch die Wegstrecke über die die Rute bewegt wird, verlängert wird. Dies werde ich jedoch später genauer erklären, da dieser Umstand auf noch komplexeren Zusammenhängen beruht. Für den Augenblick genügt es, das oben Beschriebene zu wissen.
4. Korrektes “Timing”
Zu Deutsch: warten bis die Schnur sich nach vorne oder hinten gestreckt hat. Gibt man der Schnur dazu keine Gelegenheit, bricht der Wurf zusammen. Meistens setzt ein Beginner mit dem Vor- bzw. Rückschwung zu früh ein. Schlimmstenfalls knallt’s und die Fliege ist weg. Durch falsches Timing kann sich die Rute nicht richtig aufladen und der Großteil der Wurfenergie verpufft leider in viel zu heftigen, hektischen Bewegungen. Also, gebt der Schnur Zeit zum ausrollen. Kontrolliert beim Üben ab und an durch Kopfdrehen nach hinten, besser noch durch einen Beobachter, ob die Schnur hinten sich richtig streckt; vorne sieht mensch das ja eh.
Es geht bei dem Begriff Timing also darum im richtigen Moment den Vorschwung bzw. auch den Rückschwung einzuleiten. Warten man jedoch zu lange, dann beginnt die Schnur durch die Schwerkraft sich Richtung Boden zu bewegen und diese Kräfte müssen dann wieder überwunden und ausgeglichen werden. Timing wird auch wichtig, wenn an Dinge wie den einfachen Zug mit der Schnurhand oder den so genannten Doppelzug gedacht wird. Im richtigen Moment alos an der Schnur ziehen, um die Schnurgeschwindigkeit zu erhöhen.
5. Stetige Beschleunigung
Die Bewegung beim Vor-, wie auch beim Rückschwung hat eine besondere Charakteristik. Es geht um stetige Beschleunigung, also langsam, kontrolliert beginnen und immer schneller werdend, sollte die Rute nach hinten bzw. vorne geführt werden. Viele machen es jedoch einem Scheibenwischer gleich, mit relativ gleichmäßiger Geschwindigkeit die Rute hin- und her zu wedeln. Wichtig und richtig jedoch ist wie gesagt, die stetige Beschleunigung. Das bedeutet: man muss erst durch langsamen stetig schneller werdenden Zug die Schnur beschleunigen und dadurch die Rute immer stärker spannen; besser “aufladen”. Das gelingt umso besser je geradliniger die Schnur am Anfang der Bewegung ist (Theorie die 2.)
Erst im letzten Drittel der Bewegung – eher noch später – sollte die Rutenspitze die Höchstgeschwindigkeit erreicht haben. Leider muß man sagen, dass wir zwar recht genau Geschwindigkeiten abschätzen können, wir jedoch eher ein vermindertes Gefühl für Beschleunigung haben. Ganz schlimm wird es, wenn der Krafteinsatz beim Werfen vertauscht wird. Bei einigen Werfern ist daher zu beobachten, daß diese vom Ausgangspunkt ab mit hoher Geschwindigkeit die Rute nach vorne oder hinten schlagen und dann langsam auslaufen lassen. Die Folgen dieses Fehlers sind eine unruhige Schnur mit ausgeprägten Wellen und fast immer „Tailing Loops“, verursacht durch eine erst abwärtsgerichtete und dann leicht nach oben auslaufende Bewegung der Rutenspitze. Wir wissen mittlerweile ja, dass die Schnur der Rutenspitze folgen muss.
6. Der Stopp
Einer der wichtigsten Bestandteile innerhalb des ganzen Wurfgeschehens ist der abrupte Stopp der Rute… – ja genau der Rutenspitze. Die hohe, durch die stetige Beschleunigung erreichte Geschindigkeit am Ende der Wurfbewegung, in Verbindung mit einem „deadly Stop“ (wie die Amerikaner sagen) ist für die Entstehung einer Schnurschlaufe entscheidend. Vergleichen Sie diesen Stop mit einem Auto, das mit ca. 130 km/h gegen eine Wand prallt. Bei vielen Werfern kommt der Stop eher nur einer Vollbremsung gleich. Zusätzlich ist die untrainierte Muskulatur noch nicht in der Lage, die Kräfte so zu kontrollieren, dass die Rutenspitze nach dem Stopp sich schnell wieder beruhigt. Denn wir wissen ja …
Das führt uns automatisch wieder zu einem früheren, nämlich dem ersten Punkt unserer Wurftheorien, dem geradlinigen Weg der Rutenspitze. In dem Moment, wenn wir über die Rutenhand den Stopp bewusst einleiten, beginnt die Rute ihre “geladene Energie” abzugeben und versucht in ihre Ruheposition (entspannte gestreckte Haltung) zu kommen. Je nach Steifigkeit der Rute und Krafteinsatz des Werfers, schlägt diese jedoch mehr oder weniger stark durch. Das wiederum sorgt für Wellen in der Schur, die wir jedoch so klein wie irgend möglich halten sollten. Das erreicht man am besten, wenn unmittelbar nach dem Stopp die Rutenhand sich entspannt und somit die Rutenschwingungen gedämpft werden.
Übung macht auch hier den Meister, denn mit der Zeit passt sich unser Gehirn und der Bewegungsapparat an und versetzt uns so in die Lage die Beschleunigung, den Stopp und das anschließenden Dämpfen der Rute bzw. der Rutenspitze flüssig ineinander übergehend zu lassen. Das nennt man dann Training, ohne das man eben nicht zu einem guten Wurfstil kommt. So einfach ist das. Lasst mich zwei Beispiele anführen, die die Punkte fünf und sechs unserer Wurftheorie anschaulicher machen sollen: Sicherlich habt auch Ihr als Kind Äpfel auf einen Stock gespießt und so weit wie möglich weggeschleudert. Ja, Kartoffeln gingen auch. Die Bewegung müsste dann in etwa wie folgt ausgesehen haben. Langsam beginnend, immer schneller werdend, habt Ihr den Stock nach vorne geschwungen, um dann in einem abrupten Stop, den Apfel vom Stock zu schlenzen. Wenn am Anfang der Bewegung zu schnell war, so betrug die Entfernung minus 1 Meter. Klar: weil der Apfel vom Stock gerutscht, hinter Ihnen im Gras landete.
Ohne den aktiven Stopp an der richtigen Position, fliegt der Apfel nicht in die richtige Richtung. Zu früh gestoppt und/oder mit zu höher Geschwindigkeit geworfen, fliegt der Apfel nur hoch statt weit. Zu spät gestoppt und der Apfel knallt vor uns auf den Boden. Dies haben wir als Kinder schnell durch Versuch und Irrtum heraus bekommen und so funktioniert das auch beim Werfen mit einer Fliegenrute. Nur, dass hier kein Nahrungsmittel im Spiel ist, sondern eine ca. 27 m lange Kunststoffschnur.
Anderes Beispiel: Ihr betätigt euch als abstrakte Künstler. Nehmt einen mit Farbe satt getränkten Pinsel und versucht, mit eben jener sich beschleunigenden Bewegung, die Farbe aus drei Metern Entfernung auf die Leinwand zu befördern. Wenn Ihr dabei einen Streifen über das ganze Bild produziert, müsst Ihr noch etwas an dem „Stopp“ üben. Wenn aber die Farbspritzer eine Fläche in Fußballgröße belegen, dann befinden Ihr euch mit Action Painter Jackson Pollock in einer Riege. Nur mit dem besagten „Stopp“ am Ende der Bewegung ist dies zu erreichen. Ich hoffe, die Sache mit dem Stopp ist nun etwas klarer und wir können uns in der Fortsetzung dann dem nächsten Punkt der Wurftheorien widmen.
7. Richtiger Krafteinsatz
Nichts ist schädlicher für den Fliegenwurf als zuviel Kraft. Wir geben so viel Geld für teure Ruten aus und machen die Arbeit doch selbst. Lasst gefälligst die Rute für euch arbeiten. Ladet die Rute auf, wie es in der Fachsprache heißt. Je stärker sich die Rute beim Werfen biegt, desto weniger Arbeit haben wir. Komma aber: Bitte nicht zuviel des Guten! Natürlich braucht es um gut Werfen zu können Kraft. Und wenn es auf weiteste Weiten ankommt, dann auch richtig viel davon. Das Geheimnis um die “Kraft beim Werfen mit der Fliegenrute ” ist: Diese muss überlegt und kontrolliert eingesetzt werden. Dann sprechen wir nämlich von Technik.
Zum Erreichen einer guten Technik, ist wie im Hochleistungssport viel Übung erforderlich und das ist den meisten lästig. Der Mensch ist von Natur aus faul und genau das sollten wir uns zu Nutze machen. Einen flüssigen und kraftsparenden Wurfstil erreicht man allerdings nur mit ausreichendem Training. Nehmen wir also unsere angeborene Faulheit als Motivator, um eben diesen für jeden einzelnen individiuellen Wurfstil – den eigenen Wurfstil – zu erreichen und üben das Werfen mit der Fliegenrute. Der spielerische Umgang mit der Fliegenrute ist es nämlich, was diejenigen von den anderen unterscheidet, die sich werferisch weiter entwickeln wollen. ”Das Werfen der anderen” bringt einen selbst nur indirekt zu einem besseren Wurfstil. Mit Freunden oder gar dem Partner macht es noch mehr Spaß und darum geht es schließlich. Denn Fliegenfischen is “jeil”!
In diesem Sinne einen schönen Ostersonntag noch – tight lines and dry socks.
Sven Ostermann ist zertifizierter EFFA Wurflehrer und gibt seit 20 Jahren sein Wurfkönnen in regelmäßig stattfindenden Kursen an interessierte Anfänger und Fortgeschrittene weiter. Um den nächsten Termin für einen Lehrgang zu erfahren, oder ein Gruppen- oder Individual Coaching zu vereinbaren, besucht die Seite Flybei und richtet dort eine Anfrage zum nächsten Wurflehrgang.
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