“Wo warst Du als so-und-so verstarb?” – werde ich manchmal nach global bedeutsamen Todesfällen gefragt. Die Antwort darauf ist zu einem gewissen Grad davon abhängig, wie schwer das persönliche Interesse an der verstorbene Person wog. Oder wie eindrucksvoll der Zeitpunkt in Erinnerung bleibt, während die Mitteilung über den Tod von so-und-so mich ereilte. Und nicht zuletzt beeinflusst die Tragik der Todesursache die Erinnerung.
Das natürliche Ableben eines unbekannten, jedoch in tiefer Verbundenheit bedeutsamen Menschen, ereilt einen meist weniger wuchtig. Die Trauer ist aber oft größer. So war ich am 3.10. dieses Jahres tief betroffen, als mich die Nachricht über den Tod von John Gierach erreichte. Der vielgeliebte amerikanische Schriftsteller starb im Alter von 78 Jahren in seiner Heimat Lyons, Colorado.
Ich würde gerne behaupten, dass ich mich Standing in a river…With leaky waders… Where trout are as long as your leg… Waving a stick… befand, als ich von seinem Tod erfuhr. Einen auf das Leben des originalen Trout Bum besser zugeschnittenen Ort um davon zu erfahren, kann ich mir nicht vorstellen. Da ich es mir aber abgewöhnt habe, während der Pausen beim Angeln im Internet zu sein und Feiertage sowieso der Familie gewidmet werden, ereilte mich die Mitteilung im Foyer der Kölner Philharmonie – einem zumindest andächtigen Ort. Den ich mit Frau und Kind am Tag der Offenen Tür zum Tag der Deutschen Einheit besuchte, um der Darbietung von Chören aus aller Welt zuzuhören.
Kein Schöner Land dachte sich wohl auch John Gierach, sobald er gefragt wurde, warum er in Lyons, Colorado verblieb, wenn es ihm doch zustünde, in einem der Blue Ribbon Fisheries Bundesstaaten zu leben. Ein Bum (wörtlich übersetzt: Gammler, Streuner) findet aber Glück und Zufriedenheit in der Gelegenheit die sich bietet. Als sich dem aus dem Mittleren Westen der USA stammenden John Gierach die Chance auftat, um wenig Geld ein Haus an einem Forellenbach zu kaufen, an dem er seinem Berufsziel, Schriftsteller zu werden, nachgehen könne, ergriff er die ohne zu zögern. Für den Hippy in den 60er Jahren war der Entschluss westwärts zu ziehen selbstverständlich. Was könnte besser sein, als tagein und tagaus zu fischen und darüber zu schreiben? Blue-Ribbon State hin und her!
Bum ist ein schwierig ins Deutsche zu übersetzendes Wort. Im amerikanischen Englisch ist es ein nachgestelltes Wort für Menschen, dass nicht für das Nichtstun steht, sondern für die völlige Hingabe an eine Leidenschaft die mit geregelter Arbeit schwer zu vereinbaren ist. Meist leben Bums (egal of Surf-, Ski- oder eben Trout Bums) von der Hand im Mund, halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, finden selten langanhaltende Beziehungen und gründen (im besten Fall) keine Familien. Denn wenn der sehnsüchtig erwartete Schlupf, die anrollende Welle oder der pulvrige Schnee eintreffen, möchten sie nicht an Schreibtische, Verkaufsflächen oder Produktionshallen gefesselt sein. Was früher dem Adel oder Erben vorenthalten war, ermöglichte der American Way of Life des 20. Jahrhundert. Mit ein wenig Genügsamkeit lässt sich für jeden auch so ein erfülltes Leben führen.
John Gierach, der Philosophie und Englische Literatur studierte, wollte schon früh ein Schriftsteller werden. Also ergriff er jede Möglichkeit die sich bot, über das zu schreiben, worüber er am meisten wusste. Allerdings nicht in der Form eines Experten, sondern mit dem Blick eines Fliegenfischers auf existenzielle Fragen des menschlichen Daseins. In einer Zeit in der Tageszeitungen regelmäßige Rubriken über das Angeln führten und als für veröffentlichte Beiträge noch (ausreichend) Geld bezahlt wurde, gelang es ihm, so eine kleine Nische zu besetzen.
Der Durchbruch mit seiner Literatur gelang ihm 1986 mit Trout Bum. Der renommierte New Yorker Großverlag Simon & Schuster bot ihm einen Vertrag an, der es ihm ermöglichte in einem Zeitraum von siebenunddreißig Jahren zweiundzwanzig Bücher zu veröffentlichen. Eine erstaunlich Leistung angesichts der Unsicherheit der sich Künstler, Musiker und Schriftsteller seitens ihrer Verlage ausgesetzt sehen. Kolportierte 50.000 verkaufte Exemplare pro Buch stehen aber für eine beständige Beliebtheit eines Schriftstellers, dem es gelang, alle Gesellschaftsschichten mit universellen Themen anzusprechen. Das setzt nicht nur viele Erlebnisse am Wasser voraus, um darüber über einen sehr langen Zeitraum regelmäßig zu berichten, sondern auch eine hohe Arbeitsmoral. Seine Texte zeichnen sich durch Beobachtungsgabe, tiefgründigem Humor, einem Sinn für Gerechtigkeit und vor allem einem festsitzendem Glauben an die reinigende Kraft der Natur aus.
Für mich stand John Gierachs Trout Bum für ein Versprechen, dass es auch mir gelingen könne, wenn auch unter komplett anderen Umständen und in viel späteren Lebensjahren, dem Hamsterrad eines gewöhnlichen 9-5 Jobs zu entkommen. Ich kann nicht von mir behaupten nur annähernd so viel Zeit mit dem Fliegenfischen zu verbringen wie er es tat. Noch maße ich es mir an zu glauben, meine journalistischen Ergüsse stünden nur irgendwie in der Nähe seines schriftstellerischen Outputs.
Dennoch identifiziere ich mich ausreichend mit der Begeisterung für das Fliegenfischen – ich möchte sogar behaupten mit der Vereinnahmung durch das Fliegenfischen eines Trout Bums. Mehr als einen geregelten Job verlor ich, weil ich während der vorgegebene Arbeitsstunden mehr Zeit für Recherche und das Schreiben von Beiträgen aufbrachte, als mich den vorgegebenen Kernaufgaben zu widmen. Dass ich heute meinen Unterhalt in der Welt des Angelns verdiene, mache ich unter anderem auch an John Gierach fest. Seine Lebensgestaltung gab mir den Mut, danach zu streben, wofür mein Herz brennt: Journalismus und Fliegenfischen. Das verbindet mich mit ihm, weshalb sein Tod mich besonders berührt.
John Gierachs Bekanntheit, oder die seiner Bücher, scheint im deutschsprachigen Raum überschaubar zu sein. Natürlich lässt es sich damit erklären, dass vielleicht viele Fliegenfischer hierzulande davor zurückscheuen, englische Prosa zu lesen. Wenn aber ein Wikipedia Eintrag zu ihm auf arabisch aber nicht auf deutsch existiert, wenn eine Mitteilung zu seinem Tod im Fliegenfischer-Forum eine Antwort erhält, wenn ich die Nachricht über sein Ableben in drei verschiedenen, sehr großen Facebook-Gruppen poste und gerade mal eine Handvoll Reaktionen erhalte, macht mich das nachdenklich. Ich frage mich: Soll ich wirklich meinem Impuls nachgeben, Trout Bum ins Deutsche übersetzen zu lassen? Deine Meinung ist gefragt!
Foto© Christopher Rownes
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Hans Klas says
Hallo Tankred,
ich bestelle schon mal…., woraus Du unzweifelhaft schließen kannst, was ich davon halte. Habe mir erlaubt, im Fliegenfischer Forum auf Deine Frage nach einer Übersetzung hinzuweisen. Vielleicht kommt ja was!
Viele Grüße
Hans
René Lappert says
Trout Bum müsste, so wie vieles andere, aus dem Amerikanischen übersetzt werden. Ich trage mich hiermit schon mal in die Subskriptionsliste ein.
Ich erweitere meinen Horizont neben den beiden deutschen Fliegenfischer Zeitschriften mit einer aus Kanada (Fly Fusion) und jener einen und einmalig schrägen aus Südafrika (Mission Fly Fishing)
P.S. Und der Wölfle soll sich auch endlich mal hinsetzen und ein Buch schreiben.