Das war’s dann wohl mit der langanhaltenden Hitze. Zum Glück neigt sich diese Periode dem Ende zu. Auch wenn ich den letzten Monaten durchaus etwas abgewinnen konnte und auch positive Seiten daran entdeckte. Denn was tun mit all der Zeit die man opfert, um die unter den erwärmten Wassertemperaturen leidenden Salmoniden zu schützen? Fliegenbinden? Eine Option! Rutenbauen – für diejenigen die gerne an Arbeitsbänken werken, ganz bestimmt! Aus alten Fliegenschnüren Schußköpfe basteln? Auch so kann man schlaflose Stunden im Doppelripp verbringen. Mir war aber zumute nach eiskaltem Riesling in der einen, ein gutes Stück Angelliteratur in der anderen Hand.
‘The Longest Silence’ in meinem Fall. In dessen Titel ich mich wiederfinde, ohne nur eine Zeile gelesen zu haben. Als ‘Unendliche Stille’ bezeichnet Thomas McGuane beim Fliegenfischen die eindrücklichen Momente ohne Aktivität. Jenes ruhige Ausharren unproduktiver Zeiten während der die Vorbereitung auf den erwartenden Startschuss erneuter Aktivität, mit allen Möglichkeiten und Abläufen in Endlosschleifen durch den Kopf flirren. Gedankenläufe die Platz bieten, das Erhoffte mit dem Unvorhergesehenen zu vermischen. Eine Allegorie aus dem Fliegenfischen, die sich auf jegliche Lebenssituation umlegen lässt.
Fragt man mich – reine Geschmacksache – gibt es wenig Angelprosa für Fliegenfischer, die dem Amerikaner Thomas McGuane das Wasser reichen kann. Aus Michigan stammend wandte er sich bereits während seiner Teenagejahren der Schriftstellerei zu und hielt die Erlebnisse der Freizeit und der Ferien fest. Welch Glück für uns, dass Fliegenfischen und Pferdezüchten zu den Leidenschaften zählen, bei denen McGuane Inspiration aus dem Vollem schöpft. Wo er auf Menschen und Ereignisse trifft, die seiner klingenscharfen Beobachtungsgabe nicht entkommen. Wo aber vor allem der eigene Platz inmitten dieser Geschehnisse seziert wird.
McGuane wurde es früh klar, dass der Weg zu einem erfüllten und abenteuerlichen Leben inmitten der Weiten der amerikanischen Wildnis, über die Schriftstellerei erfolgen muss. Als gefeierter Romanschreiber und Drehbuchautor für Hollywood, investierte er nach Lebensstationen in Rhode Islands, San Francisco und Key West, sein früh erlangtes eigenes Wohlhaben in eine Ranch in Montana. Dem baldigen Zentrum seines örtlichen Lebensinhalts. Von wo aus fortan mit beißender Stimme zynisch über Verfall des ‘American Way of Life’ reflektiert wurde. Als das Platzen des Traums von der Erreichbarkeit des ‘American Dream’ für viele Amerikaner, sich schon am Horizont abzeichnete.
In seinen zehn Romanen mag Thomas McGuane sich den dunklen Seiten Amerikas zuwenden. Sein nicht-fiktives Werk hingegen ist geprägt vom Glauben an die reinigende und erlösende Kraft der Natur und seiner Sportrituale. Wenig verwunderlich also, dass die Kurzgeschichtensammlung ‚The Longest Silence‘, wie auch seine Essays über Pferde und Outdoors-Erfahrungen, von Kritikern zu den besten der jeweiligen Genres gezählt werden.
Wie den besten Schriftstellern entgeht Thomas McGuane kein noch so kleines Detail. Seine Fähigkeit verwobene Gefühlswelten in klaren Ausführungen zu dokumentieren ist beeindruckend. In den 70er Jahren wurde er für den ’nächsten Faulkner‘ gehalten und in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Drei seiner Romane wurden mit Jack Nicholson, Marlon Brando und Peter Fonda in den Hauptrollen verfilmt. Die New York Times nannte ihn “einen wichtigen Autor“ und sein Platz in einer Liste einflussreicher amerikanischer Nachkriegsliteraten ist ihm gesichert.
Wie aber die meisten hervorragenden Schriftsteller wird McGuane getrieben von anderen Leidenschaft als dem Schreiben an sich. In McGuanes Fall – das Fliegenfischen. Schreiben wurde also zum Vehikel sich eine Existenz zu sichern, dessen Erwerbstätigkeit zur nächtlichen Tageszeit stattfinden kann, um die Tagstunden an Ufern an Flüssen, Seen und der Küste entlang zu streifen.
„Angling is extremely time consuming. That’s sort of the whole point.“
Vom Reichtum durch die Erfahrungen beim Angeln, als auch dem Wohlstand als Privatperson sind die dreiunddreißig Erzählungen in ‚The Longest Silence‘ geprägt.
Die Wurzeln seiner fischereilichen Leidenschaft mögen in seiner Kindheit in den Bächen und kleinen Flüssen Michigans anzufinden sein. Doch diese Anthologie führt unweigerlich auch an die spektakulären Destinationen und Fischarten dieser Welt. Träume die auf der ‚Bucket Liste’ vieler Fliegenfischer stehen, die man sich schon immer erfüllen wollte – Steelhead, Lachs, Striped Bass, Tarpon, Permit.
Doch wenn McGuane uns an seinem Treffen mit Roderick Haig-Brown teilhaben lässt, die Philosophien Izaak Waltons ins 21. Jahrhundert überträgt, oder Fliegenfischer Persönlichkeiten anhand der benutzten Fliegen sortiert, möchte man nicht nur beherzt auflachen. Man kann nicht umhin, dass eigene Tun und Handeln als Fliegenfischer in einem dichten Netz an Einflüssen und Erfahrungen zu verorten. McGuanes weitreichendes literarisches Geschick besteht darin, eine Verknotung von universellen Gefühlen, Gedanken und Charakteren herzustellen, die man an jedem Ort und jedem Gewässer antreffen kann.
„My Uncle Bill was having a confidence and sense of moral precision that amounted to a mild form of tyranny and he became an infinitely more palpable individual in my memory than the adaptable nullities who have replaced men like him“.
Egal ob uns seine Geschichten in die Karibik, die Ostküste der USA, oder nach Argentinien, Russland, Irland, Kanada, Florida, Island oder Neu Seeland entführen – die spirituelle Verbundenheit mit den eigenen Erlebnissen unterscheidet sich am bescheidenen Heimatbächlein oder Fluss nur punktuell von den Eindrücken jener Destinationen. Die Essenz der fischereilichen Existenz setzt sich hier wie dort aus den feinen Texturen und Facetten an den Schnittstellen aus Familie, Freundschaft und Freizeit zusammen.
Meine Büchersammlung quillt mittlerweile über von Titeln, die sich hart aneinander reihen und darauf warten, um nach dem ersten Kaufimpuls der beim Erhalt der Päckchen schon oft vergessen ist, von mir in die Hand genommen zu werden. Sorgfältig versuche ich jedem dieser Aufmerksamkeitsrufe gerecht zu werden. Doch immer wieder schiebe ich dieses Buch hier ein, dessen Seiten in der Zwischenzeit bereits gut von mir abgegriffen sind. Bücher dieser Art hinterlassen einen derart bleibenden Eindruck, dass man immer wieder auf sie zurückgreifen möchte. Sie dienen als Navigationssystem auf einem an für sich überschaubaren, manchmal aber verwachsenen Pfad universeller Wahrheiten.
“Recently I heard of an old friend saying that the two rules of life he followed: don’t even tell your mother your fishing spots, and other fishermen are the enemy. It is embarrassing to note the ring of truth these rules seem to have. But I think we’re going to have to rise above them.”
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