Auf meinen beruflichen Reisen durch die Republik – lasse ich die sich ausdehnenden urbanen Zentren erst mal hinter mir – stechen mir klein- bis mittelgroße Städte ins Auge, an deren Stadträndern sich häufig Fabriken oder andere Anzeichen industrieller Nutzung befinden. Viele dieser Gebäude erlauben den Rückschluss auf eine Errichtung noch während der Zeit preußischer Dominanz, wohingegen andere sich eindeutig erst im späten 20. Jahrhundert ansiedelten. Und derweil die einen sich gefilterter Abgase entledigen, scheinen an vielen anderen die Schlote endgültig erloschen, Abflussrohre ausgetrocknet und die Werkstore für immer verschlossen. Gemeinsam ist diesen Überresten industrieller Hochblüte häufig ein Bach oder Fluss, der sich an den Fabriksmauern entlang windet.
In Großbritannien, dem erstem europäischen Staat auf dem Weg zu einer wahren postindustriellen Gesellschaft, hat sich seit den 90er Jahren eine Bewegung entwickelt, die sich des Wertes der über viele Jahrhunderte misshandelten Gewässern vor der eigenen Haustüre besinnt und sich zum Ziel setzt, das Zuhause von Forelle & Äsche wieder in einen Zustand vorindustrieller Güte zu bringen.
Unter der Obacht des Mitte der 90er Jahre formierten Wild Trout Trust (WTT), wurden lokale Interessierte dazu ermutigt, Interessensgemeinschaften oder Stiftungen zu gründen und mittels praktischer und finanzieller Unterstützung seitens des WTT, die gewaltsame Veränderungen an Flüssen und Bächen landauf und landab und unter Zusammenarbeit mit anderen Gruppen – z.B. Wasserversorgern, Industrie und Landwirtschaft – so anrainerverträglich als nur möglich, bis zu gewissem Grad wieder gut zu machen.
In der Zwischenzeit erstreckt sich diese Graswurzelbewegung (Basisbewegung) von London bis Glasgow. Flüsse verteilt über das komplette Land, profitieren nun von der Zuwendung einer gesellschaftlichen Gruppe, die sich nicht nur aus Fischern sondern auch Ökologen, Biologen und wahrscheinlich am aller wichtigsten, sich aus BürgerInnen jeder Couleur zusammensetzt, die den positiven Einfluss von Fließgewässern und deren landschaftlichen Wert als Steigerung der eigenen Lebensqualität betrachten.
Interessiert an der Arbeit dieser Bewegung traf ich vor einigen Wochen Theo Pike, den Vorstand des Wandle Trust, einer Stiftung zur Restaurierung des durch Südlondon fliessenden River Wandle. Als Treibkraft hinter der fantastischen Initiative ‘Trout in the Town‘ und als Autor des hervorragenden Buches ‘Trout in Dirty Places‘ erhoffte ich zu erfahren wie es dazu kam, dass in Großbritannien Bürger das Zepter selbst in die Hand nehmen um Natur in der eigenen Nachbarschaft, vor der absoluten Vernachlässigung zu bewahren und durch ihren persönlichen Einsatz aufzuwerten.
Durch Südlondon fließt der River Wandle, der sich seit dem Jahr 2000 in der Obhut des Wandle Trust (Wandle Stiftung) befindet. Von diesem Fluss historischer Bedeutung – mehr dazu im Folgeartikel – wurde noch im Jahr 2008 berichtet, dass der letzte Fang einer Forelle auf das Jahr 1934 zurückging. Im Jahre 2000 gegründet von einer kleinen Gruppe an Gleichgesinnten, machte sich die Stiftung daran, den durch Industrialisierung stark in Mitleidenschaft gezogenen River Wandle, in einen Zustand früherer Schönheit zurück zu führen.
Als erste Aktion wurde die einzigartige und mit Ökologieauszeichnungen prämierte Initiative‚ Trout in the Classroom‘ ins Leben gerufen, die Grundschülern des angrenzenden River Wandle – zukünftige Fischer und Naturwissenschaftler – im Klassenzimmer die Möglichkeit einräumt Forelleneier aufzuziehen, bis diese als Setzlinge wieder ausgesetzt werden können.
Interessiert an einer landesweiten Bewegung, die es sich zum Ziel setzte ehemals beinahe völlig zerstörte Flüsse, wenn nicht unbedingt zu alter Form, dann doch zu einer von Forelle & Äsche tolerierbaren Qualitätsgüte zu renaturieren, machte sich Theo Pike daran Fischerei- und Naturschutzclubs im ganzen Land aufzusuchen und deren Arbeit und Erfolge zu dokumentieren.
Das Resultat dieses über ein Jahr lang dauernden Unterfangens, ist die Veröffentlichung des wirklich interessanten Buches ‚Trout in Dirty Places‘. Im Fokus der Veröffentlichung stehen ehemalige urbane Bäche & Flüsse, deren sich engagierte Gruppen mit viel Aufwand und Herzblut annahmen, um diese häufig von Stadt- und Landregierungen vernachlässigten Kleinodien, von Bebauungen zu befreien, vor Ufererosion zu schützen, mäandrierende Flussläufe zu gestalten und nicht zu vergessen, von weggeworfenen Gegenständen – von Einkaufswägen, über Fahrräder und Verkehrsschildern, bis hin zu Motorscootern – zu entledigen.
Forellen, und in einem weit geringeren Ausmaß Äschen, sind zähe und hartnäckige Lebewesen, die in Ermangelung an Unterständen schon Mal aus dem Schutz eines Autoreifens oder Einkaufswagen, ihrem Dasein nachgehen. Wird die Umwelt- und Lebensraumbelastung zu groß, suchen diese – Durchgängigkeit der Gewässer vorausgesetzt – ihr Überleben in den Oberläufen der Flüsse zu sichern. Geringfügige Habitatsverbesserung und die damit einhergehende Steigerung an Nahrungsvorkommen sind oft ausreichend, dass beide Arten erneut ihr Auskommen in den Mittel-und Unterläufen unserer Bäche und Flüsse suchen.
Was die Graswurzelbewegung urbaner Flussnaturierer verbindet ist die Erkenntnis, dass das Engagement zur Verbesserung der Lebensqualität von Forelle & Äsche Nutzen nach sich zieht, von dem alle Beteiligten der Wertschöpfungskette profitieren. So wurden Rechnungen aufgestellt, dass saubere Gewässer, Ufer und Grünflächen, die Lebensqualität von Anrainern um bis zu €350 steigern. Diese Zahl erhöht sich nochmals für Fischer, die interessensbedingt ungleich mehr Zeit am Wasser verbringen als Spaziergänger und andere Freizeit und Muße Suchende.
Seitens der Behörden und amtlichen Umweltverantwortlichen macht sich die Erkenntnis breit, dass dieser Bottom-up Ansatz Ressourcen schafft, die von staatlicher Seite in Zeiten leerer Gemeindekassen schwer frei zu setzen wären. Zur Entfaltung dieser Kräfte bedarf es in erster Linie den Willen und das Engagement ehrenamtlicher Tätigkeit und in weiterer Folge Kapazität und Wissen. Kenntnisse der Biologie, des Landschafts- und Umweltschutz, Spendenorganisation, Finanz- und Projektmanagement sind von Hilfe und Bedeutung, um amtlichen Vertretern auf Augenhöhe zu begegnen, das Vorhaben überzeugend zu formulieren und freiwillige Unterstützung in Form von Geld und Zeit zu erhalten. Die in Deutschland weit verbreitete Vereinsfähigkeit ist für ein Vorhaben dieser Art sicherlich förderlich.
Urbanes Fischen – inmitten des Strassenverkehrs, entlang meterhoher graffitibedeckter Mauern, in Sichtweite verblüffter Beobachter – ist sicherlich nicht jedermann Sache. Jedoch in Zeiten des Zweifels ob der Nachhaltigkeit der persönlichen CO2-Bilanz durch die Ausübung unseres Hobbys, bietet städtisches Fischen eine gewissensberuhigende und zugleich aufregenden Alternative. Die Freude über den Fang von Forelle & Äsche inmitten einer durch jahrhundertelangen, gewerblichen Nutzung in Mitleidenschaft gezogenen Bach- und Flusslandschaft, zu deren Wiederansiedelung das persönliche Engagement maßgeblich beigetragen hat, ist wahrlich schwer zu überbieten.
Über Anregungen betreffend der Ausübung urbaner Fliegenfischerei in Deutschland, wäre ich Euch meinen Lesern sehr dankbar und würde mich über einen möglichen gemeinsamen Ausflug an Eure städtischen Reviere sehr freuen.
You can take the boy of out of the city,
but you can’t take the city out of the boy
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