Nach der für mich erfüllten, jedoch beschleunigten und nicht selten hektischen Zeit der letzten Wintermonate, öffnet sich ein neues Fenster. Ein dunstiger, silbriger Streifen durchquert den Horizont meiner Vorstellung und verkündet eine Phase, die der amerikanische Autor Thomas McGuane ‚The Longest Silence‘ nennt. Jenes Aussitzen unproduktiver Zeiten, während der die Vorbereitung auf den zu erwartenden Startschuss erneuter Aktivität, mit allen möglichen Szenarien und Abläufen in Endlosschleifen durch den Kopf laufen. Gedankenläufe die Platz bieten, das zu Erwartende mit dem Eintreten des Unvorhergesehenen zu vermischen.
Seit beinahe sechzig Jahren hält der amerikanische Autor Thomas McGuane diese ausgedehnten Momentaufnahmen detailreich auf Papier fest. In Michigan geboren, wandte er sich seit den Teenagejahren der Schriftstellerei zu und zeichnete die Erlebnisse der Freizeit und der Ferien auf. Welch Glück für uns, dass Fliegenfischen, Jagen und Horse Cutting – eine mit Preisgeld hochdotierte, faszinierende und in den USA weitverbreitete Pferdeturnier Sportart – zu den Leidenschaften zählen, aus denen McGuane aus dem Vollem schöpft. Wo er auf Menschen und Ereignisse trifft, die seiner klingenscharfen Beobachtungsgabe nicht entkommen. Wo aber vor allem der eigene Platz inmitten dieser Vorkommnisse seziert wird.
McGuane wurde es früh klar, dass der Weg zu einem erfüllten und abenteuerlichen Leben inmitten der Weiten der amerikanischen Wildnis, über die Schriftstellerei erfolgen muss. Als gefeierter Romanschreiber und Drehbuchautor für Hollywood, investierte er nach Lebensstationen in Rhode Islands, San Francisco und Key West, sein früh erlangtes eigenes Wohlhaben in eine Ranch in Montana. Den Ausgangspunkt seines Lebensinhalts abseits des Verfassens beißend kritischer, zynischer und von Verfall geprägtem Reflektionen über das Platzen des Traums vom ‚American Way of Life‘ und der Unerreichbarkeit dieses Ziels für nicht wenige Amerikaner. Doch wenn er sich in seinen zehn Romanen den dunklen Seiten Amerikas zuwandte, so ist sein nicht-fiktives Werk geprägt vom Glauben an die erlösende Kraft der Natur und seiner Sportrituale. Wenig verwunderlich also, dass die Kurzgeschichtensammlung ‚The Longest Silence‘, wie auch seine Essays über Pferde und Outdoors-Erfahrungen, zu den besten der jeweiligen Genres gezählt werden.
Wie allen besten Schriftstellern entgeht Thomas McGuane kein noch so kleines Detail und seine Fähigkeit verwobene Gefühlswelten in klaren Ausführungen zu dokumentieren ist beeindruckend. In den 70er Jahren wurde er für den ‘nächsten Hemingway’ gehalten und in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Drei seiner Romane wurden mit Jack Nicholson, Marlon Brando und Peter Fonda in den Hauptrollen verfilmt. Die New York Times nannte ihn “einen wichtigen Autor” und sein Platz in einer Liste einflussreicher amerikanischer Nachkriegsliteraten ist ihm gesichert. Wie aber die meisten hervorragenden Schriftsteller, wird McGuane getrieben von anderen Leidenschaft als dem Schreiben an sich. In McGuanes Fall – das Fliegenfischen. Schreiben wurde also zum Vehikel sich eine Existenz zu sichern, dessen Erwerbstätigkeit zur nächtlichen Tageszeit stattfinden kann.
“Angling is extremely time consuming. That’s sort of the whole point.”
Vom Wohlstand als Privatperson, als auch dem dadurch ermöglichten Reichtum an Erfahrungen sind die dreiunddreißig Erzählungen in ‚The Longest Silence‘ geprägt. Und auch wenn die Wurzeln der fischereilichen Leidenschaft McGuanes in seiner Kindheit in den Bächen und kleinen Flüssen Michigans anzufinden sind, so entführt uns diese Anthologie doch an die spektakulären Destinationen und zu Fischarten, die für viele Fliegenfischer auf der ‚Bucket Liste stehen, die man sich schon immer erfüllen wollte – Steelhead, Lachs, Striped Bass, Tarpon, Permit. Und wenn McGuane uns an seinem Treffen mit Roderick Haig-Brown teilhaben lässt, die Philosophien Izaak Waltons ins 21. Jahrhundert überträgt, oder Fliegenfischer Persönlichkeiten anhand der benutzten Fliegen sortiert, möchte man nicht selten beherzt auflachen.
Erstaunlich ist McGuanes Geschick, eine Verknotung von universellen Gefühlen, Gedanken und Charakteren herzustellen, wie man sie an jedem Ort und an jedem Gewässer antreffen kann. Und egal ob er uns in die Karibik, die Ostküste der USA, oder nach Argentinien, Russland, Irland, Kanada, Florida, Island oder Neu Seeland entführt – öffnet man sich als Fliegenfischer der spirituellen Verbundenheit mit den eigenen Erlebnissen an seinem Heimatbächlein oder Fluss, werden die Schnittpunkte der fischereilichen Existenz, im großen Ganzen des restlichen Lebens, mit all seinen feinen Texturen und Facetten bestehend aus Familie, Freundschaft und Freizeit deutlich bewusst.
“My Uncle Bill was having a confidence and sense of moral precision that amounted to a mild form of tyranny and he became an infinitely more palpable individual in my memory than the adaptable nullities who have replaced men like him”.
Meine Büchersammlung quillt mittlerweile über von Titeln, die sich hart aneinander reihen um nach dem ersten Kaufimpuls, der beim Erhalt den Päckchens schon oft vergessen ist, drauf warten von mir in die Hand genommen zu werden. Sorgfältig versuche ich jedem dieser Aufmerksamkeitsrufe gerecht zu werden. Doch immer wieder schiebe ich einen Titel ein, dessen Seiten in der Zwischenzeit bereits gut von mir abgegriffen sind. Denn einige dieser Bücher hinterlassen einen derart bleibenden Eindruck, dass man immer wieder auf sie zurückgreifen möchte, als Navigationssystem auf einem an für sich überschaubaren Pfad universeller Wahrheiten.
“Recently I heard of an old friend saying that the two rules of life he followed: don’t even tell your mother your fishing spots, and other fishermen are the enemy. It is embarrassing to note the ring of truth these rules seem to have. But I think we’re going to have to rise above them.”
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