Die Erinnerungen an meinen Großvater mütterlicherseits sind vage. Zu klein war ich, um mich daran zu erinnern, wie er am Boden liegend mit mir Modelleisenbahn spielte. Doch scheinbar war es ihm gelungen, zwei für ihn bedeutende Leidenschaften an mich weiterzugeben: Die Liebe für die Angelei und ein großes Interesse an Geschichte. Gib mir alte Angelbücher und ich stürze mich mit gleicher Faszination darauf, wie über die zum Römischen Reich, der Völkerwanderung, dem 30-jährigen Krieg oder dem Aufstieg und Sturz früherer Handelsimperien.
Die Geschichte des Fliegenfischens und seiner weit verzweigten Entwicklungen geht somit auch nicht spurlos an mir vorüber. Ich liebe es einfach darüber zu erfahren, wie und womit in früheren Jahrhunderten und Jahrzehnten unserer Passion nachgegangen wurde. Bedauerlicherweise stoße ich bei meinen meist zufällig ausgelösten Recherchen auf relativ wenig Material aus dem deutschsprachigen Raum. Selbst nach Entwicklungen globaler Bedeutung aus der jüngeren Vergangenheit, von sagen wir den letzten hundert Jahren, muss man sehr genau suchen. Scheinbar ist das Fliegenfischen hierzulande doch weniger verbreitet, als man es aufgrund der Topographie in D/A/CH vermuten möchte.
Viele Ereignisse, Personen und Entwicklungen spielten im Gesamtbild historischer Betrachtung eine zu geringe Bedeutung über ihre lokalen Grenzen hinaus, um lückenlos dokumentiert zu werden. Unter der Vormachtstellung der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung über das Fliegenfischen, wurde die Tragweite kontinentaleuropäischer Entwicklungen für das Fliegenfischen im besten Fall nicht wahrgenommen, im schlimmsten einfach ignoriert.
Und doch stammen von hier Entwicklungen, die phänomenale Auswirkungen auf Teilbereiche unserer Leidenschaft haben. So auch die Nutzung des für das Fliegenbinden als “Wunderfeder” bezeichnetem Material CDC. Weltweit bekannten, aus dem deutschsprachigen Raum stammenden Akteuren wie Jules Rindlisbacher, Marc Petitjean und Gerhard Laible ist es zu verdanken, dass der vielseitige Einsatz dieses Material aus dem Fliegenbinden nicht mehr wegzudenken ist. Dass die Nutzung dieser vom Bürzel von Stockenten gewonnen Feder erstmals im schweizerischen Jura vor einhundert Jahren dokumentiert wurde, ist weitestgehend bekannt. Welche Fliegen damit aber gebunden wurden und von wem schon etwas weniger.
Zum Glück gibt es Menschen wie Rolf Frischknecht, deren historisches Interesse noch viel weiter geht als meines. Fungiere ich als Sprachrohr über Themen und Personen, machen sich andere wie er es sich zur Aufgabe, historisch Überliefertes zu erhalten. So erwarb er 2013 die Fliegenmustersammlung Mouches de Vallorbe, die auf Charles Bickel zurückgeht. Ihm und seinem Zeitgenossen Maximilien Joset wird die erstmalige Verwendung und Aufzeichnung des Materials «ailes grasses de la queue de canard» – was in etwa «Fettige Federn vom Entenschwanz bedeutet – nachgesagt. Mit dieser Feder banden sie die für die Region Jura lange Zeit typischen Muster namens ‘Moustiques’.
“Mouches de Vallorbe” 1918-1945 – Musterbücher aus Charles Bickel Fliegenbindeatelier
Um 1920 gründete Bickel dann eine kleine Fliegenbinde-Manufaktur in der er einigen Frauen der Umgebung Anstellung verschaffte, indem sie die von ihm entworfenen Muster für Schweizer Fischereifachgeschäfte produzierten. Nach seinem frühen Tod 1945, wurde das Unternehmen von seiner Witwe bis 1960 weitergeführt, bevor es dann von Michel Fontannaz geleitet wurde. 1990 wurde das Unternehmen aufgelöst. Dank der Begeisterung für das Bindematerial CDC bedeutender Fliegenfischer und -binder, wie die bereits erwähnten Petitjean und Laible und vor allem der Schweizer Louis Veya, der Slowene Marjan Fratnik (Erfinder: F-Fly) und der Holländer Leon Links (Autor: Tying Flies with CDC), ist CDC als vielseitige Feder nicht mehr wegzudenken.
Die Tradition der “Mouches de Vallorbe” wird seit 2013 schließlich von Rolf Frischknecht am Leben gehalten, der die restlichen Bestände, die original Kataloge mit den Mustervorlagen und die Rechte an den Entwürfen gekauft hat. Auf seiner Seite Swissflies sind nicht nur Restbestände von “Mouches de Vallorbe” zu kaufen, sondern auch Bestellungen für Replikate der originalen CDC Fliegen aufzugeben. Dem nicht genug gibt es einen Katalog für typische Schweizer Fliegen wie z.B. Emmebäse, Berner, Genfer und Luzerner Fliegen und viel Information und Binderezepte traditioneller Muster. Der umfasst weitere 3.000 Muster die darauf warten, auf der Seite eingestellt zu werden. An Inspiration für ‘Muss’ Fliegen für den nächsten Angelausflug ins Schweizer Jura soll es wirklich nicht mangeln.
Rolf Frischknechts Swissflies ist nicht gewinnorientiert. Es setzt sich gegen das Vergessen besonderen Kulturguts ein und motiviert begabte Binder, sich an der Bewahrung der Tradition zu beteiligen, indem sie diese historischen Schätze nachbinden und damit fischen. Gewinne des Unternehmens werden für den Ankauf und die Konservierung weiterer historischer Sammlungen genutzt, sowie für projektbezogene und politische Arbeit zum Schutz von schweizerischen Gewässern.
Mehr dazu: https://swissflies.ch/originale_mouchesdevallorbe.php
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Sepp Prantler says
Rolf Fischnecht ist einer der engagiertesten Menschen, die ich kenne! Sein Engagement mit Swissflies für das Fliegenfischen geht so weit, daß er alte Hühnerrassen und sogar die Enten, von denen die originalen Fibern der ursprünglichen CDC-Fliegen stammen, nachzüchtet und diese damit vor dem Aussterben bewahrt.
Darüber hinaus engagiert er sich maßgeblich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Mensch und Tier. War beispielsweise treibende Kraft hinter zwei Initiativen in der Schweiz:
Die “Initiative für sauberes Trinkwasser” und die “Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide” (https://wfw.ch/news/trinkwasser_pestizidverbotsinitiative#/). Zu beiden Initiativen gab es in der Schweiz 2021 eine Volksabstimmung.
Immerhin stimmten fast 40% für die beiden Initiativen. Wenn man weiß, welche Mittel die Gegner eingesetzt haben, um einen Erfolg zu verhindern, ist es fast ein Wunder, daß es so viel Zustimmung dafür gegeben hat.
Was damals in der Schweiz gelaufen ist, wäre glatt Stoff für einen Kino-Thriller!
Aber zurück zu Swissflies:
Ingo Karwath hat auf seiner Seite “Der Fliegenbinder” mal einen sehr lesenswerten Beitrag “Das Hechelmeckerli” (https://der-fliegenbinder.de/das-hechelmeckerli) veröffentlicht. Nun, bei Swissflies kann man die Bälge mit den ursprünglichen Hecheln, aus denen die alten Fliegenmuster gebunden wurden, kaufen. Ich habe einige davon in meinem Besitz und die Fliegen, die damit gebunden wurden, fangen besser als die aus den “Gen-Hechelbälgen”!
Generell sind die Fliegenmuster von Swissflies auch abseits der Jura-Flüsse sehr zu empfehlen.
Herzliche Grüße, Sepp Prantler
Tankred Rinder says
Sepp! Ich bin Dir unbeschreiblich dankbar für diese tiefgreifende Ergänzung.
Rolf Frischknecht – ich applaudiere Dir. Vielen Dank für Dein Engagement!
Wünsche allen Lesern ein tolles Wochenende. Tankred
Markus says
Sagenhaft tolle Info, Tankred !!!
Vielen vielen Dank, dass Du solche Funde hier vorstellst und ausführlich davon berichtest.
Viele Grüße von Markus
Tankred Rinder says
Es ist mir eine große Freude Markus, Dir und den Lesern von F&Ä immer wieder interessante Neuigkeiten vorzustellen.
Viele Grüße, Tankred