Die Erinnerung ist noch frisch. An einen Tag vor etwas mehr als einem Monat. Während vielerorts zur Mitte der Auszeit der Schonzeitkoller einsetzt – wie oft möchte man seine Schnüre von der Rolle nehmen, waschen und fetten, wie viele Reihen unterschiedlicher Fliegen möchte man noch binden – bereite ich mich auf mein Jahresfinale vor. Das weihnachtliche Stillwasserfischen am Hausgewässer nahe des Wohnorts meiner Schwiegereltern, an Rutland Water. Nur die größten Misanthropen unter uns werden nicht bereits mit viel Aufregung auf die letzten Tage des Jahres hinfiebern. Einige Tage Urlaub im Kreis der Familie und Freunden, Essen und Trinken ohne Ende, neues Getackle als Geschenke – was gibt es daran auszusetzen? Zu all diesen Freuden gesellt sich in meinem Fall die Aussicht auf einige Stunden am Wasser. Es gibt schließlich nur begrenztes Aufnahmevermögen für Truthahn, Alkohol ab Mittag, sich jährlich wiederholende Filmklassiker.
Schon Wochen vor der Reise in die englischen Midlands, verfolge ich mit Spannung den Wetterbericht. Anhaltende Regenfälle interessieren mich wenig. Woher der Wind bläst dafür umso mehr. Über die Bedeutung von Wind beim Stillwasser fischen an großen Seen habe ich vor einiger Zeit bereits einen Beitrag verfasst. Und groß sind die Stauseen an die es mich mehrmals jährlich zieht – nicht zu vergleichen mit dem, was man allgemein unter Forellenseen im deutschsprachigem Raum versteht. Wer die Größe des österreichischen Wolfgang See, des schweizerischen Sempachersees einschätzen kann, wer sich eine Vorstellung davon machen kann dreimal den englischen Garten, oder achtmal die Hamburger Außenalster in einem Gewässer unterzubringen wird mir beipflichten müssen, dass heimische ‘Put-and-Take’ Pfützen wenig mit den englischen Reservoirs gemeinsam haben. Abgesehen davon das beide mit Regenbogen- und Bachforellen besetzt werden.
Der Wetterbericht war wenig aufmunternd – stürmische Winde ohne Ende versprachen schwieriges Fischen, gefährliches Werfen, Fliegen verfangen in der Wollmütze am Hinterkopf. Und da sich der Weihnachtsurlaub langsam dem Ende zuneigte, ohne das ich einmal ans Wasser fand, wurde der Entschluss gefasst an jenem Tag loszuziehen, egal welche Bedingungen ich vorfinden würde. Als wäre mein Fluchen, meine Stoßgebete erhört worden, zeigte sich die Lage am Tag meines Ausritts von seiner versöhnlichen Seite. Eine undurchdringliche Wolkendecke mochte den Himmel bedecken, beständiger Nieselregen mochte sich übers Land ergießen – doch der Wind gönnte sich an diesem einen Tag eine Auszeit. Beinahe gespenstisch ruhig, windstill und spiegelglatt lag Rutland Water vor mir. Keine Welle kräuselte die Seeoberfläche – das nächst größte Schreckensszenario auf der Liste des Stillwasser Fliegenfischers. Die ungebrochene Oberfläche erschwert den Schlupf von Insekten und erleichtert den Fischen, uns und unsere Schwimmschnur wahrzunehmen. Beobachtet mal beim Einholen der Schnur, welche feine Bugwellen von Schnur und Schlaufenverbindung verursacht werden.
Eigentlich traf ich auf Voraussetzungen die den Griff zur ‘slow-intermediate’ oder ‘Midge-Tip’ Schnur bedingt hätten. Doch die lagen zu Hause in Köln. Genau wie die Corixa Muster die ich extra für diesen Trip gebunden hatte. Beide Opfer der Hektik des Jahresabschluss – bis zur allerletzten Minute gearbeitet, in Eile gepackt – und wesentlich (Un)Wichtiges wie sich zeigen sollte zu Hause gelassen. Not ist bekanntlicherweise die Mutter der Erfindung und nachdem ich den Ausflug ans Wasser für beinahe eine Woche ‘Vom Winde verweht’ sah, wollte ich mich nicht von banalen Nebensächlichkeiten aus dem Konzept bringen lassen. Denn dieses stand nach kurzer Unterhaltung mit dem Verkäufer im Tackleshop fest: die Wäscheleine!
Diese Taktik hat in den letzten fünf Jahren die Stillwasserszene im Sturm erobert. Die analytischsten Köpfe der Stillwasser Gemeinde machten sich Gedanken zu ihren Fängen. Mehr noch als für das Fliegenmuster, interessierten sie sich für die Anbissstelle und den Zeitpunkt des Bisses. Bei der Montage bestehend aus drei Fliegen – die schwerste oder größte Fliege am Strecker; die kleinste, leichteste oder buschigste am obersten Springer – wurde diese Beobachtung gemacht:
a. die Bisse erfolgten kurz nach der Landung der Fliegen am Wasser
b. alle Bisse erfolgten auf den obersten Springer
Also schlossen diese daraus, dass die Fische sich im obersten Bereich der Wassersäule aufhielten. Aus der Tatsache lässt sich zurückführen, dass die Fische – Regenbogenforellen um genau zu sein – aktiv Nahrung zu sich nehmen. Die Sicherheit der Tiefe vor Räubern aus der Luft, wird nur nach eingehender Risikoeinschätzung aufgegeben. Und ausreichend Nahrung ist Grund genug das Risiko einzugehen.
Warum gerade Regenbogner? Einer der ganz großen Stillwasser Fliegenfischer der britischen Inseln Stan Headley (The Loch Fisher’s Bible, 2006) machte folgende Beobachtung, woraus er eine These aufstellte. Bach- und Regenbogenforellen ernähren sich fundamental anders in Seen und Stauseen. Die Nahrung die sie zu sich nehmen ist die selbe. Die Art und Weise aber wie sie diese aufgreifen, könnte nicht unterschiedlicher sein. Bachforellen zeichnen sich auch im Stillwasser durch Standorttreue aus. Auch wenn sie in Schwärmen die Standorte wechseln, bevorzugen sie grundnahe Plätze wo sie zwischen Steinen und Pflanzen Stellung beziehen. Nahrung wird in einer Aufwärtsbewegung aufgeschnappt und nach dem Schließen des Mauls wird wieder die Grundnähe aufgesucht. Die Nahrungsaufnahme erfolgt somit in einer vertikalen Säule.
Regenbogenforellen hingegen ziehen in Trupps bestehend aus mehreren Fischen ihre Kreise, legen dabei oft längere Wanderungen hinter sich. Auf ihrem Weg beziehen sie Stellung in einem horizontalen Band in dem sie ihre Nahrung zu sich nehmen. Durchaus zeigen sie Bereitschaft diese Band zu verlassen, um Beute aufzugreifen die über ihren Köpfen schwebt. Den Blick jedoch nach vorne, seitlich und nach oben gerichtet, entgeht ihnen Bewegung unter ihnen – wie zum Beispiel unsere Fliegen die langsam absinken. Selbst wenn man sie in Bewegung setzt und durchs Wasser zieht. Dieses Band muss sich nicht zwingend im oberen Wasserbereich befinden. Zur heißen als auch bitterkalten Jahreszeit, verschiebt sich dieses Band in tiefere Wasserstellen. Die Theorie klingt sehr schlüssig und einleuchtend, wenn man das unterschiedliche Standortverhalten von Bach- und Regenbogenforellen in Flüssen bedenkt. Suchen Bachforellen Plätze an strömungsarmen Bereichen – egal ob nahe am Ufer, oder in beruhigten Taschen vor und hinter Hindernissen – findet man Regenbogenforellen gerne an strömungsreicheren Stellen.
Also wurde eine Taktik erdacht, wie nicht nur der oberste Springer, sondern auch der mittlere und die Streckerfliege im obersten Wasserbereich gehalten werden konnten. Denn das schnelle einholen der Schnur war keine Option, da oberflächennahe Fische meist gemütlich ihre Nahrung – Zuckmücken (Buzzers), Eintagsfliegen, Corixa – zu sich nehmen. Also bediente man sich des Boobys – einer mit Plastazote Augen versehenen Reizfliege des grundnahen Fischens mit der Sinkschnur. An einer Schwimmschnur treibt dieser auf der Oberfläche und mit ihm halten sich die Springerfliegen im oberen Wasserbereich.
Die äusserst milden Temperaturen des letzten Dezembers, zogen trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit unglaubliche Insektenaktivität nach sich. Der Verkäufer im Shop sollte also Recht behalten. Und während ich so das Ufer entlang schlenderte, waren hoch erhobene Rückenflossen und oberflächennahe Verwirbelungen abdrehender Fische nicht zu übersehen. Den Booby am Strecker ersetzte ich durch eine Mikro-Minkie, denn die im Sommer geschlüpfte Weißfischbrut erfreute sich auch am regen Insektentreiben. Eigentlich hätte es wenig Grund gegeben überhaupt ins Wasser zu waten. Denn ich als so bis zum Knie im Wasser stand, stiegen auf selber Höhe unter- und oberhalb von mir die Fische. Die taktische Beratung eines älteren Herren an seine Nichte, dass ich zu weit draußen stand und Fische sich wahrscheinlich hinter mir befanden, hatte also durchaus seine Berechtigung. Mehr Aktivität vernahm ich aber etwas weiter draussen und meine Entscheidung sollte sich auch so bezahlt machen.
Wie nicht selten zur Zeit der Fischerei an Stillwassern während kühlerer Monate, erfolgten die Bisse äussert zaghaft und spitz. Nicht selten kündigte sich das Interesse durch kurze, scharfe Züge in der Schnur an. Übertrug sich ein leichtes Klopfen durch das Vorfach über die Schnur bis in das Handteil der Rute. Kopfschüttelnd denke ich zurück an meine ersten Versuche im Stillwasserfischen, an der jeder noch so kleine Bisshinweis, mit einem vergeblichen Anschlag quittiert wurde. Heute weiß ich, dass es kühlen Kopf zu bewahren gilt, bis sich die Schnur solide streckt oder schwer anfühlt. Erst dann darf man den Anhieb setzten möchte man sicher gehen, am anderen Ende der Schnur einen Fisch vorzufinden. Und so endeten nach nur wenigen Stunden fünf dieser herrlichen silberblanken Regenbogner am Band – ein Zeichen dafür, dass diese Fische sich schon einige Zeit im See befanden. Glück gehabt, einiges richtig gemacht!
Für interessierte Leserinnen und Leser an einer Reise nach Rutland Water oder Eyebrook Reservoir bin ich bei Fragen jederzeit da. Gerne übernehme ich auch die Organisation der Reise – Info zu Anreise, Sehenswürdigkeiten und Freizeitaktivitäten, Buchung des Ferienhauses, Guide und Fischereilizenzen. Füllt bitte untenstehendes Formular aus und schlüsselt in einigen Worten auf: wie viele Personen, Zeitpunkt des Urlaubs und ich erstelle ein attraktives Angebot. Freue mich von Euch zu hören – gute Reise und tight lines.
Mehr zum Thema Stillwasser Fliegenfischen mit der Nymphe gibt es in unserem Buch: ‚Nymphenfischen – Geheimnisse entlarvt‘
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