© Veit Dresmann
Es ist eine Kunst aus der Anzahl an verfügbaren Ruten, das für den eigenen Gebrauch passendste Modell auszuwählen. Die Erstrute wird abhängig von sehr, sehr vielen Faktoren früher oder später durch ein anderes Modell ersetzt oder ergänzt werden. Auch meine anfänglich gekaufte Rute der Schnurklasse 7/8 in der Länge 2,90m mit einer Middle-to-tip Action (semiparabolisch), erfüllte ihren Zweck wunderbar für die vorherrschenden Verhältnisse – regelmäßige, starke Winde wie man sie in England und Schottland und an der Ostseeküste vorfindet.
Die Stillwasser an denen ich fischte waren vom Ufer, als auch vom Boot aus zu befischen. Einige davon fielen so steil ab, dass während der Wintermonate und der Hundstage einzig schnell sinkende Schnüre zum Einsatz kamen. Eine Fliegenkombination aus drei Mustern, gerne auch mit einem Streamer am Strecker und einer buschigen Reizfliege am obersten Springer, stellten für diesen Anwendungsbereich sicherlich die beste Allround Wahl dar. Für diesen speziellen Gebrauch wäre aber eine Rute mit Spitzenaktion (Tip-Flex) sicherlich vorteilhafter gewesen.
Die Rutenspitze der weicheren Middle-to-tip Action hatte eine Tendenz beim Führen der Fliegen in fünf Meter Tiefe und mehr, sich leicht zur Wasseroberfläche zu krümmen. Dieses Verhalten war nicht nur beim Fischen vom Boot zu beobachten, sondern zeigte sich auch beim Watfischen vom Ufer. Ich kann nicht behaupten, dass dieser Effekt sonderlich störend gewesen wäre – auffällig war es schon. Manchmal war es eine Herausforderung mit der etwas weicheren Rute, einen Fisch in größeren Tiefen gut zu haken. Positiv daran war jedoch, dass man sich bald einen Strip-strike dabei angewöhnt. Ein kurzer schnittiger Zug mit der Schnurhand bevor man die Rute anhebt, der beim Hechtfischen oder den karibischen Flats genauso seine Anwendung findet.
Für das Ansetzen zum nächsten Wurf, tut sich eine Tip-flex Rute bei Sinkschnüren auch vielfach leichter und mit einem Pick-up Rollcast, lässt sich die Fliegenschnur leicht aus dem Wasser abheben. Für mich als Anfänger war es jedoch hilfreich mit einer etwas weicheren Rute in das Hobby einzusteigen. Ich konnte mich nie daran gewöhnen, meinen Kopf beim Rückschwung zu drehen, um das Strecken von Schnur und Vorfach zu beobachten. Durch die Flexibilität des semiparabolischen Rutenblanks in den Mittelbereich, überträgt sich die Schwungkraft des Wurfs sehr gut in die Wurfhand und der Moment der Streckung ist deutlich spürbar. Den leichten Zug der Schnur kann man schwer verschlafen. Da weichere Ruten Wurf und Timing Ungenauigkeiten leichter verzeihen, war ich mit einer Rute mit semiparabolischer Aktion also bestens bedient.
Und so vergingen die ersten Saisonen am Stillwasser, an denen ich glücklich und zufrieden meine Streamer durch die Wassermassen zog. Bis ich feststellen musste, dass mein Set-up Einschränkungen beim feinen Nymphenfischen und dem Trockenfliegenfischen mit sich brachte, die ich mit der Sortimenterweiterung durch eine neue Rute zu beheben gedachte. Mein Fokus richtete sich dabei anfangs nur auf die Schnurklasse. Doch eine komplette Saison am Wasser wirft vielfältige Situationen auf. Die bereits erwähnten starken Winde, die von manchen gefürchtete Windstille, Kaltwasser, hohe Außen- und Wassertemperatur. All diese Gegebenheiten verlangen taktische Anpassungen, die sich nicht nur mit der geringeren Stärke von Schnüren, dem Anknüpfen unterschiedlicher Fliegen, oder variierenden Sinkgeschwindigkeiten erzielen lassen.
Der Wunsch gedieh eine neue Rute anzuschaffen. Eine feinere Rute sollte es sein, etwas länger sollte sie sein, dass rasche Aufheben der Schnur vom Wasser sollte sie ermöglichen.
Für mich zählt es zu den spannendsten Varianten des Fliegenfischens, cruisende Forellen zu beobachten die sich gemächlich über im Oberflächenfilm gefangene Insekten rollen, Verwirbelungen im Wasser zu bemerken die eine Forelle verraten, die einen Aufsteiger knapp unter der Wasseroberfläche abfängt. Gezielt aktive Forellen anzuwerfen, ihre Schwimmbahn zu erahnen, die richtige Imitation von Nymphen, Emergern oder Trockenfliegen zu wählen, ist mit die packendste und zugleich herausforderndste Art Fischen im Stillwasser zu begegnen. Und dazu braucht es delikates Geschirr.
Viele Katalogseiten und Rutenmodelle später fiel meine Wahl auf eine Orvis Access Schnurklasse 5 in der Länge 3,05m. Bewusst traf ich diese Entscheidung einige Schnurklassen unter dem, was man als Standardausrüstung beschreibt – #6/#7/#8. Es stimmt, dass man in Stillwassern öfter auf großkalibrige Fische trifft als am Fluss. Dennoch bin ich der Meinung, dass viele Fischer bei ihrer Gerätewahl mit Kanonen auf Spatzen schießen. Feinere Ruten und insbesondere eine Tip Flex Rute wie die Orvis Access verfügen über ausreichend Rückgrat, um auch Ausnahmefische zu bändigen. Aus meiner Sicht ist nicht zu leichtes Geschirr, sondern zu verhaltene Einsatzbereitschaft von Fischern das größere Problem, wenn es darum geht Fische bis zur Ermüdung zu drillen. Zumal offene Gewässer über keine Strömung verfügen, die der Fisch beim Kampf geschickt einsetzen kann. Kommt mir ein Fisch an den Haken, soll sich die Rute krümmen bis zum Anschlag. Schon mal versucht ein Vorfach der Stärke 0.22mm zu zerreissen, indem an beiden Enden gezogen wird? Meine Worte!
Hatte ich Anfangs noch Bedenken, wie mir die Umstellung auf eine steifere Rute bekommen würde, war nach den ersten Würfen klar. Ich konnte wurftechnisch reifen, um mit dem genaueren Timing von Vor- und Rückschwung zurecht zu kommen. Distanzwürfe die beim Stillwasserfischen nicht unwesentlich sind, lassen sich mit der Aktion dieser Rute herrlich umsetzen. Durch die spitzenbetonte Aktion der Rute liessen sich viele Meter Schnur ganz einfach aufheben und mit geringem Aufwand durch ein bis zwei Rückwürfen präzise an gewünschter Stelle ablegen. So funktioniert das Fischen auf Sicht auf sich bewegende Fische wunderbar. Gewöhnungsbedürftig war die unheimliche Kraft der Rute beim Anhieb. Steifere Ruten sind bekannt dafür – beim Biss auf eine 18er Fliege auf Distanz, habe ich die Energieübertragung dieser forschen Rute deutlich unterschätzt. Der kleine Haken bog sich leider am Kiefer einer schönen Forelle aus. Ein zügiges Anheben der Rute ist ausreichend um den Haken sicher zu setzen.
Den größten persönlichen Nutzen sah ich für mich, durch den Gewinn an Länge. Nicht nur das diese zusätzlichen Zentimeter das Aufheben der Schnur ungleich mit beeinflussen und erleichtern. Sie unterstützen auch ungemein bei der Ausübung einiger unerlässlicher Techniken beim Stillwasser Fliegenfischen – egal ob vom Boot oder vom Ufer. Stillwasser Forellen können launenhafte Gesellen sein. Wer glaubt, pelletgemäßtete Zuchtforellen stürzen sich auf alles, was vor ihre Nase gezogen wird, irrt gewaltig. Haben sie sich erst an ihre neue Umgebung und die andere Form der Nahrungsaufnahme gewöhnt, entscheiden sie oft erst in letzter Sekunde, die verführerisch geführte Fliege nicht entkommen zu lassen.
Um den Impuls auszulösen, die verfolgte Beute nicht entwischen zu lassen, bedient man sich beim Bootfischen – aber auch beim Fischen vom Ufer – einer Technik, die schon vielen fressgesteuerten Fischen zum Verhängnis wurde. Ruten in der Länge 10ft – 11ft (3.15m – 3.30m) sind aufgrund der besseren Reichweite dazu unerlässlich. Wird die Schnur bis auf eine Rutenlänge zu sich eingeholt, setzt man nicht sofort zum nächsten Wurf an. Mit einer gleichmäßigen, langsamen Bewegung hebt man die Rute hoch über sich und lässt sie mit ausgestrecktem Arm einige Sekunden ruhen. Die Nymphen steigen dadurch in einer kurvenförmigen Bewegung hoch und lösen in den Forellen den Verdacht auf ein aufsteigenden Insekts aus – Grund genug sie abzufangen bevor sie entschlüpfen. Es ist erstaunlich wie viele Fische unbemerkt den Fliegen folgen und erst in dieser aller letzten Sequenz des Schnureinholens, ihre Zögerlichkeit ablegen. Nicht selten drehen sie nach der Verfolgung des obersten Springers, der aufgrund von Form und Profil mehr Reiz auslöst, unter heftiger Verwirbelung des Wasser ab. Auf dem Weg zurück müssen sie an zwei weiteren Nymphen vorbei – und baaaammm hängt schon die nächste Forelle am Band. Packender Stoff!
Nun möchte man meinen, zehn oder noch mehr Stunden am Tag eine mehr als 3m lange Rute in der Hand zu halten und zu werfen, lässt einen früher oder später den Arm abfallen. Orvis ist aber bei der Entwicklung der Access ein wahres Kunststück gelungen und das Gewicht dieser Rute fällt mit 78g unglaublich gering aus. Dank sei der doppelt so teuren Orvis Helios, aus deren Entwicklung zahlreiche Verfahren und Techniken, in die Produktion dieser Rute der preislich oberen Mittelklasse einflossen.
Ein Phänomen dass ich an meinen Vorgängerruten ausmachen konnte und dass ich beim Einsatz der Access völlig vermisste, ist die leichte Verspannung der Fingergelenke nach einem ganztägigen Einsatz. Ich gehe davon aus, dass man beim Stillwasserfischen mehr und auch angestrengter wirft als in Flüssen. Die kurzen Pausen die man beim Flussfischen einlegt, um von einer Stelle zur anderen zu waten, lockern dabei auch die Handmuskulatur. Steht man im See oder sitzt man im Boot, wickelt sich die Wurfhand unentwegt um den Griff. Ob es am geringen Gewicht, oder am unglaublich hochwertig verarbeiteten Korkgriff der Rute lag kann ich nicht bestätigen. Was ich aber weiss ist, dass am Ende des Tages meine Finger nicht klamm waren. Diese Rute liegt einfach vorzüglich in meiner Anhand und keine Form der Ermüdung liess sich bisher am Abend nach hunderten Würfen und zahlreichen Drills feststellen.
Der letzte Punkt den ich sehr an meiner neuen Rute schätzte, war die Tatsache dass sich die Orvis Access der Schnurklasse 5 auch ausgezeichnet mit einer 6 Schnur werfen lässt. Ich besitze einige Schnüre dieser Klasse – Sinktip, Intermediate – die ich nicht beabsichtigte unmittelbar zu ersetzen. Mit Freuden konnte ich feststellen, dass die höhere Schnurklasse keine Belastung für die Rute darstellte. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, die Access würde sich durch diese Schnüre zu stark laden.
Nun mag der eine oder andere sich aufmachen die Orvis Access zu recherchieren, um vielleicht ebenfalls die in der Zwischenzeit doch etwas zu kurz geratene Stillwasserrute zu ersetzen. Mir kam jedoch zu Ohren, dass die Orvis Access ein Auslaufmodell ist und die komplette Serie bestehend aus dreißig Ruten, beginnend mit Bachruten der Klasse 3 bis Salzwasserruten der Klasse 12, im kommenden Jahr durch ein Nachfolgermodell ersetzt wird. Diejenigen Angler die sich etwas gedulden können, werden vielleicht an der neuen Serie ihren Gefallen finden. Zieht man die begeisterten Besprechungen und Tests der Orvis Helios 2 heran, aus deren Entwicklung sicherlich einiges in den Access Nachfolger fliessen wird, darf man mit einem weiteren Modell besonderer Qualität rechnen. Für alle anderen, deren Geldbeutel etwas enger geschnürt ist, wird es in den kommenden Monaten sicher einige Orvis Access Modelle auf dem Markt geben, die zu einem Schnäppchenpreis zu erstehen sein werden. Augen offen halten.
Mit freundlicher Unterstützung der Firma Orvis
Mehr zum Thema gibt es im Buch: ‚Nymphenfischen – Geheimnisse entlarvt‘
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Fritz Raddatz says
Bin auch auf der nach einer gebrauchten Lochstyle Rute! Maximal 150,- Euro sind für mich bezahlbar als Rentner, das ist die absolute Grenze!
Tankred Rinder says
Hallo Freddy,
worauf es zu achten gibt bzgl. Länge und Aktion geht hoffentlich aus dem Bericht hervor. Wenn Du mit der Schwimmschnur/Intermediate auskommst reicht die Gewichtsklasse 5/6. Sollen auch Sinkschnüre zum Einsatz kommen, würde ich persönlich die Klasse 7/8 anpeilen.
Grundsätzlich würde ich den englischen Tackle Markt ansteuern, da es mit Schottland und Irland das zu Hause des Loch Style fischens ist. Ich kaufe sehr gerne bei John Norris ein. Eine Suche nach ‘UK fly fishing tackle shops’ liefert Dir aber eine Reihe an verlässlichen Händlern.
Bei dem von Dir genannten Budget findest Du bestimmt von Greys, Wychwood, Airflo, Sonik, Scierra, Shakespeare sehr adäquates Material. Wenn es einer der hochpreisigeren Hersteller sein soll, musst Du dich wahrscheinlich am 2nd Hand Markt umsehen.
Hoffe das hilft
Petri Heil Tankred