Es brauchte viel Zurückhaltung, mit dem abgebildeten Fang von Ende März hinterm Berg zu halten – vom unmittelbaren Freundeskreis und den Pächterkollegen abgesehen. Es ist nicht sehr vorbildlich, in der Schonzeit befindliche, ungewollte Beifänge in den sozialen Medien zu posten. Auch wenn es bei Ausnahmefischen schwer fällt. Im Wettbewerb um Likes und Anerkennung kommt die Reflexion und der Verstand gar leicht unter die Räder. Treffender als Ted Williams kann ich es nicht ausdrücken.
“Ich lehne Angelturniere weniger dafür ab, was sie den Fischen antun, als dafür was sie aus Anglern machen.”
Man könnte sogar mir vorwerfen, diese prächtige Äsche für ein Foto aus dem Wasser gehoben zu haben. Schließlich könne ich nicht wissen, ob dieser Fisch sein Laichgeschäft schon abgeschlossen habe. Da mir beim vorsichtigen Anheben aber keine Milch über die Hand ran, wähnte ich mich auf der sicheren Seite. In weniger als zehn Sekunden war der Akt abgeschlossen, was man dem Foto auch ansieht. Die volle Länge dieses unglaublichen Tieres hätten Schnappschuss-Profis sicherlich anders zur Geltung gebracht. Einen weiteren Versuch war es mir dann doch nicht wert. Doch genug des Moralisierens.
Nicht nur die Größe an diesem Fisch, auch die Fangmethode überraschte mich. Irgendwo in meinem Hinterkopf waren zwar Berichte abgespeichert, dass alte Äschen durchaus mit dem Streamer zu fangen sind. Die arktischen Vertreter sieht man auch häufig mit einem Streamer im Maul abgebildet. Dass ich aber ausgerechnet auf einen schwarzen Woolly Bugger meine kapitalste Äsche fangen würde, damit habe ich nicht im Entferntesten gerechnete. Vielleicht wurde der für einen Egel gehalten. Wie auch immer – es scheint, auch heimische Äschen legen im fortgeschrittenen Alter räuberisches Verhalten an den Tag.
Was ebenfalls einen bleibenden Eindruck an diesem Tag hinterließ, ist meine neu gefundene Wertschätzung für eine alte, aus der Mode gekommene Angeltechnik: Fliegenfischen mit der Nassfliege. Oder besser gesagt mit bestimmten Nassfliegentechniken. Bis vor kurzem war ich ein bekennender flussaufwärts Angler, der seine Fliege niemals flussab gefischt hätte – auch meine Nassfliegen nicht. Knüpfe ich ein Team an Spiders ans Vorfach, fische ich diese schräg stromauf bis maximal quer gegenüber. Zu sehr überzeugt mich der schottische Angler und Schriftsteller W.C. Stewart mit seinem phänomenalen Werk The Practical Angler. Erschienen im Jahr 1857, tritt er darin schon vehement für das Nassfliegenfischen flussauf ein. Ganze dreißig Jahre also bevor Frederic Halford 1886 in Floating Flies and How To Dress Them die Taktik für das Fischen mit der Trockenfliege zum Standard erhebt. Wer über die Grabenkämpfe zwischen den Anhängern von F.M. Halford und G.E.M. Skues Bescheid weiß, wird sich der Bedeutung dieser Dimension bewusst.
Ich war, bis an jenen Tag im März, aber der festen Überzeugung, erfahrene Fische lassen sich am einfachsten fangen, wenn ich mich ihnen von hinten nähere. Auch wenn Fische durchaus in der Lage sind, in einem gewissen Radius auch Gefahren von hinten zu erkennen, richtet sich ihr Blick doch meist nach vorne und zur Seite. Seit ich aber Line Poetry veröffentlicht habe, verbringe ich ebenso viel Zeit damit, mir das Spey Casting beizubringen, wie dem ernsthaften Versuch Fische zu fangen. Bei diesen Würfen lasse ich die Schnur schwingen, nachdem ich sie entweder quer gegenüber oder leicht schräg stromab präsentiere. Folglich muss ich mich ernsthaft mit dem flussab Fliegenfischen beschäftigen.
Mit dem Wet-Fly Swing (Nassfliegenschwung) das Wasser von an der gegenüber liegenden Seite systematisch abzufischen, ist eine genüssliche Form des Fliegenfischens. Es ist die ursprünglichste aller Dritfvarianten und noch heute die meist gebräuchlichste Art die Fliege beim Flussabfischen zu präsentieren. Egal ob mit der Nassfliege, mit dem Streamer oder beim Lachsfischen. Sie bringt aber viele Nachteile des Flussabfischens zu Tage.
a. Die Schnur wird sofort von der Strömung erfasst und beschleunigt unsere Fliege unnatürlich.
b. Sie verlangt nach ständigem Menden bzw. Umlegen der Schnur, um den Druck auf die Leine zu mindern.
c. Die Spannung in der Schnur sorgt für viele Fehlbisse, da der etwas erfahrenere Fisch beim geringsten Widerstand die Fliege sofort wieder ausspuckt.
Mir ist es beim Nassfliegenfischen darum wichtig, immer Slack in der Schnur zu haben, um letzteres zu vermeiden. Anstatt also die Rutenspitze dicht an der Oberfläche zu führen, wie man es beim Heranziehen eines Streamers praktiziert, halte ich die Rute beim Abtreiben der Fliege schräg nach oben, sodass die Schnur zwischen Spitze und Wasseroberfläche durchhängt. Interessiert sich ein Fisch für meine Fliege, biete ich ihm so die Gelegenheit, mit der Fliege im Maul abzudrehen, ohne den Widerstand der gestreckten Leine zu spüren. Mit weniger Schnur auf dem Wasser, gebe ich zudem der Strömung weniger Angriffsfläche die Leine zu erfassen und dadurch die Fliege zu beschleunigen. Mich überzeugt diese Rutenhaltung mehr, da ich der Meinung bin, damit Fehlbisse zu unterbinden.
Spey Casts für die Einhandrute lassen sich, meinen Experimenten während der letzten Wochen nach, auch mit anderen ’Casts’ kombinieren. Speziell denen die im Grunde genommen keine eigenständigen Würfe an sich sind, sondern Techniken zur Manipulationen der Schnur beim Ausrollen – so genannte Slack Line Würfe wie z.B. Schlangenwurf oder Fallschirmwurf. Beide sind wunderbare Möglichkeiten, um nach dem Stopp der Rute Slack in die Schnur zu legen und so die ungehinderte Drift der Fliegen um einige Meter zu verlängern.
Schnurmanipulationen sind meines Erachtens eine unterrepräsentierte Form der Präsentation beim Fischen mit der Nassfliege. Meist scheint dem Angler das Menden der abgelegten Schnur beim konventionellen Wet-Fly-Swing auszureichen. Bestimmte Rutenbewegungen während des Wurfs erlauben dir aber Slack in die Schnur zu bringen, bevor diese auf dem Wasser zu liegen kommt, z.B. durch Aerial Mends. Oder es gelingt dir durch einen ’Sweep’ (eine Bewegung der Rute von links nach rechts) die Nassfliege von einer Seite zur anderen zu bewegen.
Genau mit dieser Methode fing ich diese wundervolle Äsche. Der Wasserstand war an diesem Tag noch sehr hoch, zum Glück aber ohne Trübung. Eigentlich wollte ich nur Werfen üben und die ein oder andere Schnurmanipulation perfektionieren. Direkt unter mir in ca. 5-7m Entfernung hatte sich ein dicker Ast an einem Stein vor einer kleinen Abbruchkante verfangen. Dahinter befindet sich eine schmale, nicht allzu lange Rinne. Durch den Ast, der die Strömung links und rechts umlenkte, hatte sich ein langer v-förmiger Rückstau gebildet. Dorthin wollte ich den Woolly Bugger präsentieren. Wegen der starken Strömung konnte ich aber keinen weiteren Schritt mehr zur Flussmitte tun, um mich seitlich vom Ast zu platzieren. So blieb mir nichts anderes übrig, als meine Schnur mal links, danach rechts über den Ast zu heben und die Strömung dafür sorgen zu lassen, den Streamer von einer Seite auf die andere zu spülen. Je weiter nach links oder rechts ich meine Rute ausrichtete, umso mehr verschob sich die Fliege in schlängelnden Bewegungen in diese Richtung, bis die Schnur direkt im rechten Winkel zur Rutenspitze ankam. Scheinbar war dieses Spiel in der Strömung ausreichend attraktiv, um diesen tollen Fisch zum Anbiss zu verleiten.
Aus der Mode gekommen ist nicht nur das Nassfliegenfischen, sondern bei manchen auch das Lesen von Büchern. Ich bin der Meinung, es entgeht diesen Menschen mehr als nur wahre Schätze an Tipps. Vor allem die Zeit zur Reflexion über das Geschriebene. Als ich die Grenzen erkannte, die sich für mich aus dem gewöhnliche Nassfliegenschwung (Wer-Fly-Swing) ergaben, waren es vor allem zwei Titel die ich zum Nachdenken heranzog.
Eine Fundgrube an Inspiration ist Hans Steinforts Die Kunst des Nassfliegenfischens. Wer beim großen Online Buchhändler nicht fündig wird, kann es bei ZVAB versuchen. Noch immer einer der besten Ausgangspunkte um sein Wissen zu vertiefen, ist das wunderbare Das ist Fliegenfischen von Hans Eiber. Manch einer denkt vielleicht, es handle sich bei diesem Titel einzig um ein Einsteigerbuch. Im Kern werden aber viele sehr fortgeschrittene Themen und Taktiken behandelt und auf weiterführende Fachliteratur zur intensiveren Beschäftigung verwiesen. Ich blättere immer wieder gerne darin, um Ideen für die Folgerecherche aufzugreifen.
Ich unterstreiche zu 100%, was einige wenige behaupten: Das Fischen mit der Nassfliege kann sehr viel mehr sein, als stumpf die Fliege durchs Wasser schwingen zu lassen.
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Sepp Prantler says
Hallo Tankred,
ich finde auch, daß das Naßfliegenfischen viel zu wenig beachtet wird. Noch weniger beachtet wird, wie viele Variationsmöglichkeiten es bei dieser Art des Fliegenfischens gibt, beispielsweise Dead Drift, Swing an gespannter Leine gleichmäßig oder variierend geführt, Fliege an Strömungskanten stehenlassen und Fliege strippen.
Und, wie Du schon bezüglich der Wurfstile geschrieben hast, ist es oft sinnvoll, daß die Grenzen fließend sind.
Solch fließende Grenzen gibt es auch zwischen Trocken-, Naßfliegen- und Stramer-Fischen. Ich werfe dabei auf weitere Distanz eine Trockenfliege flußauf und lasse sie in der Dead Drift natürlich abtreiben. Nach Ende der Dead Drift mende ich die Schnur, ziehe die Fliege unter Wasser und fische die Trockenfliege wie eine Naßfliege im Swing. An Strömungskanten lasse ich sie glegentlich eine Zeit lang stehen und strippe sie dann noch wie einen Streamer stromauf.
Interessant ist, daß auch im Swing und gestrippt immer wieder Äschen in allen Größen an die Fliege gehen.
Vor allem aber ist die geschilderte Methode eine gewisse Suchstrategie. An manchen Tagen fängt die Fliege in allen geschilderten Phasen. Meist aber stellt sich schnell heraus, was die Fische gerade bevorzugen. Und dann fischt man ganz einfach die entsprechende Methode gezielt.
Herzliche Grüße,
Sepp
Tankred Rinder says
Hallo Sepp.
ich muss mich ganz kräftig an der Nase fassen, dass ich mir bis jetzt Zeit ließ, auf deinen Kommentar zu antworten. Urlaub und Krankheit dürfen da nicht als Ausrede herhalten!
Dein Einblick in die Varianten und Kombinationen der Techniken ist höchst interessant. Gerne würde ich und vermutlich die Leser dieser Seite mehr und im Detail davon erfahren. Vielleicht ließe sich das eines Tages realisieren.
Über unsere persönliche Bekanntschaft auf der EWF, nach den vielen Jahren im Austausch über die Kommentarfunktion hier, habe ich mich sehr gefreut. Ich bin schon sehr gespannt auf deine Artikelreihe in der Fliegenfischen.
Besten Dank und viele Grüße, Tankred
Gerti Otto says
Hallo, Tankred,
als wir uns bei AOS vor ein paar Jahren trafen, ahnte ich noch nicht, dass ich zur Abonnentin Deines Blogs und Kundin Deiner höchst lehrreichen und zudem auch wunderbar bibliophilen Bücher werden würde. So ist es auch jetzt wieder: Ich bin gespannt, ob bei mir nach Chris Rownes’ Lektüre doch noch ein bisschen mehr gehen wird, will’s aber probieren, denn auch Mel Kriegers Quintessenz hat für mich durchaus etwas gebracht.
Ansonsten bleibt’s bei mir vorwiegend beim Learning by doing, abgesehen von freundschaftlichen Treffen an der Ilm mit Ex-Coach Helmut Hermann (so auch übermorgen wieder!).
Auch die Charmante Mitgliedschaft im Fliegenfischerclub Feuerschützenbostel an der Örtze (gern lass ich mir den Namen so richtig auf der Zunge zergehen!) mit seinen 28 Mitgliedern, 20 mns von daheim, ist nicht dazu angetan, als Frau in unbefangener Geselligkeit durch Abgucken hinzuzulernen. Umso besser also, wenn ich das per Lektüre praktizieren kann.
Vor ca. 10 Tagen bestellte ich auf dieser Seite das neue Buch von Chris Rownes, bei dem ich in Peine meine allerersten Schwünge probierte. Ist meine Bestellung wohl angekommen?
Ich freue mich, demnächst wieder Neues auf Deinen Seiten zu finden und wünsche Dir eine eifrige Leser- und Kundschaft, nicht zu vergessen, Petri!
Gerti
Tankred Rinder says
Hallo Gerti,
ich kann mich sehr gut an unsere lange Unterhaltung zur Buchpräsentation von Nymphenfischen erinnern. Das ist sieben Jahre her und und bei ebenso vielen Veröffentlichungen steht jetzt Forelle & Äsche Verlag. In der Tat – wer hätte das gedacht! Vielen herzlichen Dank für Deine Einschätzung, nicht nur lehrreiches, sondern auch literarisch und gestalterisch hochwertiges zu veröffentlichen.
Nun zu Chris Rownes’ Line Poetry, das sich mühelos in diese Reihe einordnet. Es ging bei mir keine Bestellung dazu ein. Hast Du den Kaufprozess abgeschlossen und erhielt Du eine Bestellbestätigung? Hast Du eine Zahlung via PayPal, Stripe oder einer Banküberweisung eingeleitet? Falls nein in beiden Fällen, wurde die Bestellung aus irgendeinem Grund nicht abgeschlossen. Bitte versuche es noch einmal unter https://www.fundae.de/products/Line-Poetry-Spey-Casting-mit-der-Einhandrute-C-Rownes-J-Friesenhahn-p638756162 Alternativ, schick mir eine kurze Nachricht und ich sende Dir das Buch mit beiliegender Rechnung zu, falls sich die Wohnadresse seit Deinem letzten Kauf nicht geändert hat.
Es freut mich wahnsinnig, dass Deine Leidenschaft für das Fliegenfischen seit unserem Treffen so richtig entfacht wurde. Danke, dass ich Deinen Weg mit dieser Seite und meinen Büchern ein klein wenig begleiten durfte.
Beste Grüße und Tight Lines, Tankred