Wer den vorigen Artikel zu urbanen Flussrestaurierungen gelesen hat, wird ein mentales Bild des vom Wandle Trust verwalteten Flusses inmitten von London gemalt haben, dass mit dieser idyllischen Fotografie nicht einhergehen wird. Zeigt diese Foto doch keine Hochhäuser, noch Supermärkte, lärmenden Verkehr oder ein von beiden Seiten von Wänden ins Korsett gelegten Wasserweg. Anstatt dessen, der für Kreideflüsse charakteristische Wasserhahnenfuß, üppige Ufervegetation und kristallklares Wasser in dem Forelle & Äsche, den nach ihrem Leben trachtenden Fliegenfischer bereits von Weitem sehen. Genau diese Eigenschaften waren es auch die dem River Wandle einen ganz speziellen Platz in der Geschichte des Fliegenfischens einnehmen ließen, der aber aufgrund seiner traurigen Entwicklung von Ende des 19. bis Mitte des 20. Jhtd, keinen Eintrag in die Annalen der Historie des Fliegenfischen erlaubte.
Der River Wandle ist ein 14km langer Nebenfluss der Londoner Themse, der aufgrund seiner Nähe zur englischen Hauptstadt und seines relativ hohen Gefälles, seit frühester Zeit in den Dienst von Wirtschaft und Industrie gestellt werden sollte. Bereits im 1086 veröffentlichten Domesday Book wurden an seinem Lauf 13 Mühlen verzeichnet. Anfangs des 19. Jahrhunderts säumen 90 Baumwoll-, Mehl-, Schnupftabak-, Öl-, Papier-, Säge-, und Kupfermühlen sowie unzählige Bleicheren, Färbereien den relativ kurzen Fluss. Zur Zeit der Hochblüte der industriellen Nutzung ab 1880, als Dampfkraft die Wasserkraft ablöste, wurden die Mühlen von gestern zu Farb- und Chemiefabriken, welche ihre ungeklärten Abwässer in den Fluss leiteten. Des Wandels Farben richteten sich von nun an nach den jeweiligen im Einsatz befindlichen Färbemitteln. In den 1960er Jahren wurde der River Wandle offiziell zum Abwasserkanal erklärt, in dem sich kein einziges Anzeichen von Leben mehr befand.
Bis es jedoch soweit kam war der River Wandle ein Kreidefluss höchster Güte, der das Glück besass, in einem malerischen Tal eingebettet gelegen zu sein. Wohlhabende Londoner errichteten sich prunkvolle Landhäuser mit groß angelegten Parks. Dass wiederum bewahrte dem River Wandle vor dem Schicksal vieler anderer Londoner Kleinflüsse – gebändigt als Abwasserkanäle und unter die Erde verlegt. Somit wurde Wandsworth zum beliebten Ausflugsziel Erholung suchender Londoner. Bis heute hält sich der Mythos, dass der nach einer Seeschlacht einarmige Admiral Nelson – wenn er sich nicht seiner Ménages-à-trois mit Lady Emma Hamilton und Sir William Hamilton, in seinem für die drei gekauften Merton Place hingab – am River Wandle fliegenfischte.
Nicht im Bereich der Fabeln anzusiedeln sind jedoch die Ausflüge Frederic M. Halfords, der ab 1868 regelmäßig am River Wandle fliegenfischte. Trotz der zu dieser Zeit reichlich vorhandenen Kleinindustrieanlagen, floss der River Wandle nach wie vor glasklar und seine Forellen waren notorisch schwer zu überlisten. So schwer nämlich, dass die lokalen Angler erkennen mussten, das diesen gerissenen Forellen mit einer flussabwärts präsentierten Nassfliegen nicht beizukommen war. Und wann immer Fliegenfischer sich vor einer nicht zu überkommenden Herausforderung sahen, verfeinerten diese ihre Techniken.
Und so wurde Frederic Halford eingeweiht in die Finesse des Carshalton Dodge. Einer in den Tagebüchern des Fliegenfischer Gilliat Hatfield 1841 vermerkten Präsentationsmethode, in der die Kunstfliege durch einige Leerwürfe getrocknet und einer flussaufwärts gesichteten Forelle präsentiert wird. Bis 1881 fischte Halford den River Wandle, bevor dieser zunehmend verschmutzte und Halford seine fischereilichen Tätigkeiten weiter südlich an den River Test, Itchen und Kennet verlegte. Was Halford vom River Wandle mitnahm, abgesehen von den Erinnerungen an ein Jahrzehnt glücklicher Ausflüge ans Wasser und seine Fänge, waren ein selbst auferlegter Code der ‘einzig richtigen’ Art – und wie es sich für einen Gentleman geziert – zu fischen. Somit kommt dem River Wandle die große Ehre zuteil, ganz am Anfang der Trockenfliegen Revolution zu stehen. The rest is history – wie man so schön sagt.
Ab 1880 wurde der River Wandle durch die Bevölkerungsexplosion Londons, mehr und mehr in seinem Lauf bedrängt, zunehmend ohne jede Rücksicht mit schwersten Chemikalien und Abflüssen verschmutzt, bis er schliesslich ab 1960 für tot erklärt wurde. Noch 2008 ging der letzte Eintrag eines Fangs einer Forelle auf das Jahr 1934 zurück. Wohnungsbaubedarf und die damit einhergehende Betonierung letzter vorhandener Grünflächen und der damit verbundene Schutz vor Hochwassern, riefen Städteplaner auf die Idee, diesen ehemals ehrwürdigen Fluss ab den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts als Abwasserkanal zu benutzen.
Um das Jahr 2000 formierte sich der Wandle Trust, der es sich zum Ziel setzte dem Fluss, zumindest einen Teil seines ehemaligen Charme zurückzugeben. Mit spektakulären Initiativen wie dem 2002 begonnen Trout In The Classroom, setzte sich die Stiftung das Ziel, Vorraussetzungen zu schaffen die eine Wiederansiedelung von Forelle & Äsche ermöglichen. Ursprünglich zwanzig anliegende Grundschulen wurde vorgesehen, in denen SchülerInnen Forelleneier brüten, aufziehen und schliesslich im River Wandle aussetzen. Die Schulen werden mit Aquarien ausgestattet und ehrenamtliche Helfer unterstützen Lehre und Schüler zugleich in der Hege & Pflege der Brütlinge und Setzlinge bis zum gemeinsamen Aussetzen im Fluss. Es fällt mir schwer eine kreativere Art der Frühbildung von jungen Menschen, für die Sensibilität von fliessenden Ökosystemen zu finden.
Jeden Monat veranlasst der Wandle Trust eine Fluss- und Uferaufräumaktion, an der sich örtliche Interessierte beteiligen. Jede dieser Aktionen zieht an die fünfzig Freiwillige an – zumeist auch unterschiedliche Helfer – die unter gemeinsamen Kräften Hausratsentledigungen jeglicher Art aus dem Fluss fischen. Betten, Matratzen, Teppiche, Fahrräder, Mopeds, Boilers bis hin zu Waffen werden jährlich tonnenweise entsorgt. Ich erinnere mich an einen Fischtag im River Wandle als ich knietief im Wasser stand und eine Kühlschranktür an mir vorbei trieb. Nur zehn Minuten später wurden mein Kollege und ich von einer kleinen Gruppe leicht bedrohlich wirkender Jugendlicher gefragt, ob wir einen Kühlschrank gesehen hätten. Der Fluss dient so manchem seiner Anrainer als wilde Deponie zur illegalen Müllabladung.
Zur Mitte des letzten Jahrzehnts wurde der River Wandle auf gesamter Länge einer Habitatsuntersuchung, durchgeführt vom Wild Trout Trust unterzogen. Mit dieser Initiative wurde Flussabschnitte identifiziert, die sich mit relativ einfachen Mitteln für ein Renaturierungsprogramm eigneten. Harte Stahl oder Betonwände wurden aufgeweicht und dichte überhängende Bäume und Büsche wurden gelichtet und als Strömungsumlenkungen im Flussbett angebracht. Gemeinsam mit dem englischen Naturschutzdachverband Environment Agency wurden Schritte eingeleitet um die historischen Wehre, die die Durchgängigkeit für Fische behindern aufzuheben, oder mit Fischtreppen zu umgehen.
Eine besondere Fügung des Schicksals erlebte der River Wandle, als einer der Hauptsponsoren der Tätigkeiten der Wandle Stiftung – Thames Water – im Jahr 2007 einen katastrophalen Unfall auslöste, der 2000 tote Fische hinterliess. Thames Water – seit je her im Kreuzfeuer der Kritik von Umweltschutz-organisationen – erkannte früh den Wert der Wandle Stiftung. Angetan von der Stiftungs Fähigkeit lokale Kräfte zu bündeln, unterstützte Thames Water die Stiftung von praktisch Anfang an, in dem Bemühen den eigenen Corporate Social Resonsibility (CSR) Ansprüchen gerecht zu werden. Mit beispiellosem Verantwortungsbewusstsein ging Thames Water über die gerichtlich verordnete Entschädigung von £125.000 hinaus und verpflichtete sich aus eigenem Schuldgefühl für den angerichteten Schaden, zu einer freiwilligen Wiedergutmachung in der Höhe von £500.000, zahlbar über fünf Jahre. Mit diesem noch nie zuvor gehörten Eingeständnis der eigenen Schuld eines Wasserversorgers und der damit verbundene Zahlung in dieser Höhe, zog Thames Water in seiner Branche viel Unverständnis und Verärgerung auf sich.
Es kam nicht überraschend das 2008 der tatkräftige Vorstand des Wandle Trust, Theo Pike, mit dem in England sehr angesehenen Wild Trout Trust Bernhard Venables Preis ausgezeichnet wurde für: ‘langjährigen und unermüdlichen Einsatz für die Anliegen des WTT und für das persönliche und vorbildhafte Engagement für andere ehrenamtliche Helfer, ihre Zeit und Energie in den Schutz von Bachforellen zu stellen’. 2009 folgte die Ehrung des Ruten Herstellers Sage, zum Sage Conservation Hero – nur einer von zwei Handvoll.
Um die umweltschützerischen Tätigkeiten von den fischereilichen deutlicher zu unterscheiden, wurde schliesslich 2004 der Fischereiverein The Wandle Piscators gegründet. Bedingt durch das Artenvorkommen des River Wandle – Döbel, Rotaugen, Barben, Forelle & Äsche – tritt der Verein für unterschiedlichste Methoden des Fischfangs ein und arbeitet in enger Abstimmung mit der Wandle Stiftung, um die Wiederherstellung des Flusses in Nähe des früheren Glanzes zu erzielen. Seit den letzten Jahren beteiligen sich die Wandle Piscators an der Riverfly Partnership’s Angler Monitoring Initiative (AMI), einer monatlichen Beobachtung zur Vorkommnis von aquatischen Wirbellosen. Auch diese Maßnahme wird von Thames Water unterstützt.
Seit dem tragischen Vorfall 2007, der jegliche Artenvielfalt im River Wandle auslöschte, konnte sich der Fluss mit der Unterstützung unzähliger Beteiliger wieder gut erholen. Meine Freude und Überraschung über die erste von mir gefangene Wandle Forelle im Jahr 2010 war riesig. Welch Ausmass an Schönheit sich unter widrigsten Umständen entwickeln kann – mit dem Einsatz einiger beherzter – ist inspirierend und erzeugt den Wunsch ähnlich nachhaltige Auswirkungen für gegenwärtige und nachkommenden Generationen erzielen zu können. Wer bei seinem nächsten London Aufenthalt gerne die Früchte der Arbeit eines wahrlich engagierten Vereins kennen lernen möchte, dem empfehle ich mit Rucksack und Rute in die Northern Line (South Bound) einzusteigen und dem River Wandle einen Besuch zu erstatten.
Zur Ausübung der Fischerei im River Wandle, bedarf es einzig einer ‘Non-migratory fish rod licence’ der Environment Agency. Die Agentur warnt vor betrügerischen Homepages, die für die Prüfung des Lizenzantrags £14 in Rechnung stellen. Die Lizenzausstellung wird in England einzig über die Environment Agency und The Post Office abgewickelt. Der River Wandle ist auf seiner ganzen Strecke in Süd-London frei für jeden Lizenzinhaber befischbar, mit Ausnahme eines gut gekennzeichneten Abschnitts in Morden Hall Park. Tight lines!
Discover more from Forelle & Äsche | Fliegenfischen | Fliegenbinden
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
[…] Forelle und Aesche’s Tankred Rinder writes about Trout in Dirty Places and the Wandle story […]