Verlauf der Mur durch Graz © wikimedia commons: Kermoareb
Als gebürtiger Steirer, der seine Kindheit und Jugend in Graz verbrachte, verfolge ich den mutigen Kampf der Initiative ‘Rettet die Mur’ gegen die geldreiche Übermacht der Energie Steiermark AG (ESTAG), mit brennendem Herzen. Die Mur ist mein Heimatfluss. Als zweitlängster Fluss Österreich, entspringt sie in den Niederen Tauern und fliesst als steirischer Landesfluss durch Graz (270.000 Einwohner). In der Südsteiermark verläuft sie an der Grenze zu Slowenien, um später an der kroatisch-ungarischen Grenze in die Drau zu münden.
In meiner frühen Kindheit, die ich noch in Knittelfeld verbrachte, war die Mur gefährlicher Spielplatz an der wir in LKW Innenschläuchen in der manchmal weniger, häufiger stark reissenden Strömung uns so weit wie wir es wagten, den Fluss hinabtreiben liessen. Don’t do this at home, or alone! Ein Tod bei der Ausübung einer Extremsportart ist kein Privileg der Jack Ass Generation. Bloss filmte damals keiner und die Tätigkeit erschien nicht extrem, allerhöchstens leichtsinnig oder dumm. Eltern haften nicht für ihre Kinder!
Wenige Jahre später und weitere 150 Flusskilometer abwärts, als mein Schulweg über die Grazer Radetzkybrücke führte, konnte man schon von weitem die vergiftete, schwarze und mit Schaum gekrönte Brühe riechen, die sich rasch fliessend in Richtung Slowenien schob. Hier dachte niemand daran, sich nur in die Nähe des Wassers ohne Chemikalienschutzanzüge zu begeben. Ein Schluck Wasser aus der Mur – so die Warnung aller Lehrer – hätte ähnlich fatale Konsequenzen nach sich gezogen, wie nur wenige Jahre zuvor die falsche Drift im Innenschlauch.
Für einen fischenden Jugendlichen in den frühen 80er Jahren war es nicht nachzuvollziehen, wie aus einem kristallklaren, smaragdgrünen Fluss – wie er sich mir bei Besuchen bei meinen Großeltern in der Obersteiermark bot – innerhalb einer einstündigen Autofahrt, der zweitschmutzigste Fluss Europas werden konnte. Zahlreiche Stahl- und Zellulosewerke zwischen Pöls und Graz benutzten die Mur als ihre Toilette und trugen das ihre dazu bei, der Mur ihren unehrenhaften Ruf zu verleihen. Vergeblich hielt man Ausschau nach den berüchtigten Huchen, die in großen Mengen als Könige des Flusses die Mur in ihrem Oberlauf regierten.
Und dann, ab Ende der 80 Jahre, plötzlich und ohne viel Aufhebung, begann sich die Kloake unter den Brücken von Graz aufzuhellen. Die weissen Schaumkronen verblichen, das frühere schwarz der Mur wich nach und nach saftig grünem Nass und der laugenähnliche Geruch des Flusses verschwand gänzlich aus dem Alltag der Grazer Stadtbewohner. Als ich 1992 Graz verliess, konnte man auf einer der zahlreichen Stadtbrücken stehen und unter sich, die tosenden Wellen Richtung Slowenien schieben sehen und sich im Wissen erfreuen: der Huchen schwimmt – und laicht – in Graz!
Das dieser Umstand weiterhin so bleibt, hat die Initiative ‘Rettet die Mur’ sich auf die Fahnen geschrieben in Kooperation mit: WWF, Plattform Lebendige Flüsse, Umweltdachverband, Flüsse voller Leben, Naturschutzbund Steiermark, Österreichischer Alpenverein, Österreichische Fischereigesellschaft gegr. 1880, Verband der österreichischen Arbeiter-Fischerei-Vereine, AFV – ArbeiterFischereiVerein Graz, und vielen mehr.
Energie Steiermark AG (ESTAG) plant nämlich, die bereits zahlreich existierenden Staustufen an der Mur, mit weiteren fünf – zwei davon bereits in Bau – im Großraum Graz (600.000 Einwohner) aufzustocken. Innerhalb eines Jahres konnte das Bündnis ‘Rettet die Mur’ mehr als die nötigen 10.000 Unterschriften zu einer Volksabstimmung sammeln, um gegebenenfalls gegen das 80 – 100 Mil € teure Projekt zur Versorgung von 20.000 Haushalten, mittels direktem Volksbescheid vorzugehen.
Die geplant Staustufe wird nicht einzig den Lebensraum des Huchen in Graz zerstören. Jenes Huchen, mit dem sich Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) noch gerne im Jahr 2007 ablichten liess, um seine ökologische Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Weitere zwanzig Fischarten sind laut einer Studie vom Habitatsverlust betroffen.
Für diesen Abgesang auf den Huchen in Graz war der ehrenhafte Bürgermeister Nagl nicht mehr zu gewinnen.
Nach dem bereits abgeschlossene Ermittlungsverfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), erwartet die Initiative ‘Rettet die Mur’ mit Spannung die Bewertung des Ergebnis. Nicht vor Herbst 2012 heisst es. Zur Zeit gibt man sich siegessicher, zeigt doch die UVP auf, das die geplante Staustufe eine zu mehr als 90% negative Auswirkung auf den Lebensraum Graz haben wird. Im Vordergrund stehen hierbei Grundwassergefährdung, Verletzung der Europäischen Wasserrahmen-Richtlinien, sowie Verfehlung des österreichischen Umweltgesetzes.
Jedoch auch die Energie Steiermark AG (ESTAG) zeigt sich gelassen, verweist sie doch auf eine kürzlich durchgeführte Bürgerbefragung in Graz zu fünf stadtpolitisch wichtigen Themen, darunter der geplante Bau der Murkraftwerke. Bei der umstrittenen Befragung zu politisch brisanten Themen wie u.a. der Errichtung einer Umweltzone, konnte die geplante Murstaustufe 75% Zustimmung aus den 60.000 erhaltenen Stimmen auf die Einladung von 230.00 Fragebögen erlangen.
Die Ungewissheit des Ausgangs der UVP, in Kombination mit der doch offensichtlich sehr hohen Zustimmung der Grazer Bevölkerung zur Murstaustufe, erfordert die Gewinnung weiterer Bevölkerungsschichten zur Nein-Stimme zum Kraftwerksbau.
Gelassen in diesem Zusammenhang macht die ESTAG wahrscheinlich dieser doch eher wenig gelungene PR-Film von ‘Rettet die Mur’.
Der abstrakte Bezug von den Rodungen der Murauen bei Gössendorf zur Vergewaltigung des Amazonas-Urwalds und seiner indigen Bevölkerung, leistet jenen Bewohnern von Graz Vorschub, die – zumeist aus Unwissenheit – effizienter Energiegewinnung und -nutzung wenig abgewinnen können. Geräteverliebte Jugendliche werden sich unter Umständen, von dieser Darstellung einer stromfreien Idylle wenig begeistern lassen. In der Sprache jüngerer Zeitgenossen, kann ich diesen Ausdruck, auf die Problematik der Murauenrodung aufmerksam zu machen, leider nur als EPIC FAIL bezeichnen.
Mehr Überzeugungskraft besitzt ganz sicherlich, der emotionale, dabei aber sachlich fundierte und durchaus kampfbetonte Auftritt des Präsidenten des ArbeiterFischereiVerein Graz. Persönlichkeiten wie ihm, muss bei der Gewinnung neuer Multiplikatoren und Mitstreiter für die Idee ‘Rettet die Mur’, noch mehr Bedeutung zuerkannt werden. 75% Zustimmung für das Murstauprojekt spricht eine deutliche Sprache und in diesem Pool an Desinformiertheit muss mit unterschiedlichsten Ködern gefischt werden.
Dem verspielten, leicht anarchischen Hinweis der Rosetti Sisters auf die Kraft der Mur und ihrer anliegenden Auen und Baumbewüchsen, kann ich sehr viel abgewinnen. Als großer Ska-Fan konnte ich mich nicht der Verführung des Songs ‘Jo-Jo die Mur’ entreissen. Der flotte Kracher erinnert unweigerlich an:
‘The Harder They Come, The Harder They Fall’ – ESTAG sei gewarnt!
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