“Once I had a love and it was a gas, soon turned out had a heart of glass” sang Blondie 1979. Wie ihr erging es wahrscheinlich vielen Anglern, die kistenweise ihre Glasfaserruten einmotteten. Auch ich schielte zu Weihnachten 1981 etwas neidisch auf die Rute meines Freundes. Obwohl mir eine selbstgebaute, handsignierte Karpfenrute unter dem Christbaum präsentiert wurde. Die für die Raumfahrtechnik entwickelte Kohlefaser hatte schon längst ihren Siegeszug angetreten. Und jeder Angler wollte seine etwas schwereren, langsameren, parabolischen Glasfaserruten eintauschen. Es galt Distanzwürfe zu erzielen, es galt im Drill Muskel zu zeigen.
Als Hohlglasruten oder Glasfaserruten der Reihe nach in den Altglascontainer entsorgt wurden, befanden sich diese noch lange nicht am Höhepunkt ihrer technischen Möglichkeiten. Ihren Siegeszug begannen diese nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Bambusruten noch den Rutenmarkt regierten. Diese waren aber schwer, aufwendig in der Erzeugung, pflegebedürftig nach einem Angelausflug und nicht zuletzt sehr teuer in der Anschaffung. So konnten Glasfaserruten nach und nach Bambus den Rang ablaufen. Auch wenn Glasfaserruten aus den 50-70er Jahren dafür bekannt waren, durch überbordende Designentwürfe eine Frontalattacke gegen jedes ästhetische Empfinden zu sein. Denkt an Ballonseideanzüge, um euch ein ungefähres Bild machen zu können.
Während des Übergangs von Bambusruten zu Glasfaserruten konzentrierten sich Rutenbauer darauf, die charakteristischen Eigenschaften von Bambus auf das neue Rutenmaterial zu übertragen. Geschmeidig werfen sollten diese Ruten, eine vollparabolische Aktion sollte Fluchten von im Nahbereich gehakten, auch sehr großen Fischen gut abfedern. Und noch bevor man sich darauf besinnen konnte, diese Eigenschaften zu verfeinern und auf andere Anwendungsbereiche anzupassen, sprangen die Entwickler von Kohlefaserruten in die Bresche und füllten eine Lücke. Der Wettkampf um schnellere, steifere Ruten war in vollem Gang und Glasfaser ging als eindeutiger Verlierer daraus hervor.
Einige kleinere, unabhängige Rutenhersteller konzentrierten sich aber weiterhin darauf Glasfaserruten zu perfektionieren. Denn auf der Suche nach mehr Effizienz – Leichtigkeit, Schnelligkeit, Wurfdistanz – vernachlässigten Kohlefaserrutenerzeuger den Wunsch vieler Fliegenfischer. Eine moderne, robuste, pflegeleichte Rute mit wenig Gewicht in den Händen zu halten, die sich bei Kurzdistanzwürfen leicht auflädt, die mit geringer Länge im Nahbereich unangestrengt Rollwürfe aus dem Handgelenk zaubert. Eine Rute die kräftige, unerwartete Fluchten gut abfedert, Fluchten die bis in die Fingerspitzen zu spüren sind. Eine Rute, die ein ‘organisches’ Gefühl vermittelt – die mit einem Wort, Spaß macht!
Den Erfolg der Nischenhersteller im Auge, machten sich bald auch größere Anbieter daran, dem Wunsch nach Ruten speziell für die Fischerei an Bächen und kleineren Flüssen nachzukommen. So auch die Firma Orvis, die mit der ‘Superfine Glass’, eine bereits seit vierzig Jahren bestehende, speziell für diesen Anwendungsbereich gedachte, Rutenserie ergänzt. Im Sommer dieses Jahres kam also diese Glasfaserrute in meine Hände. Rechtzeitig um mich durch die dicht bewachsenen Ufer der Bröl zu schlagen. Denn ich entschied mich bei der Anschaffung für eine Rute der Schnurklasse #3 in der Länge 7ft.
Bereits beim Auspacken der Bestellung wurde mir klar, etwas ganz spezielles in meinen Händen zu halten. Anstelle des obligaten, ohne Zweifel seinen Zweck erfüllenden Cordura Transportrohrs, wird die Orvis Superfine Glass in einem Rohr, aus selbem Material geliefert, aus der die Rute hergestellt wird. Der psychologische Effekt ist enorm – vermittelt die Benutzung desselben Materials zum Schutz der feinen Rute doch: Glasfaser ist widerstandsfähig. Visuell ist diese Rute unglaublich ansprechend und die olive Farbwahl grenzt sich bereits eindeutig, von der mechanischen Kälte dunkelblauer bis anthrazitgrauer Kohlefaserruten ab. Nun soll man sich von Optik natürlich nicht blenden lassen. Dieser erste Eindruck machte jedoch bereits Freude auf den kommenden Ausflug ans Wasser.
So lange wollte ich aber nicht warten, also nichts wie ab in den Park um zu erfahren ob die Rute meine Erwartungen erfüllen wird. Zusammen gesteckt und noch kurz gewedelt bevor die Rolle montiert wird, macht sich das erwartete Gefühl breit, ein sensibles Stöckchen – geschmeidig aber nicht schwabblig – in meinen Händen zu halten, das dann auch rasch in seine Ausgangsposition zurückkehrt. Das Werfen selbst ist ein einziger Genuss, wenn der Zug der gestreckten Schnur sich bis ins Handteil überträgt und mit sanftem Druck vermittelt, den Wurf in die Gegenrichtung zu starten, ohne dabei überhastet agieren zu müssen.
Am darauffolgenden Wochenende am Wasser angekommen, war ich schon gespannt auf das Verhalten der Rute in der Praxis. Für den Nahbereich, für Wurfentfernungen von 5-10 Meter, an Strecken mit überhängen Ästen und Büschen schon eine Herausforderung, sind Glasfaserruten wie gemacht. Und so übertreffen bereits die ersten Rollwürfe meine Erwartungen. Die Spannung des Wassers überträgt sich wunderbar bis tief hinter die Spitze und lädt die Rute effektiv für den Vorschwung. Mit Leichtigkeit werden beim Sidecast wenige Meter Schnur aufgehoben und ausreichend weit an die nächste fangfähige Stelle geworfen. Und auch längere Würfe stellen für die Superfine Glass keine Hindernisse dar. Den Entwicklern von Orvis ist anscheinend nicht entgangen, dass ausreichend Wurfdistanz ein unerlässlicher Qualitätsanspruch an eine moderne Rute ist. Und so besitzt die Rute trotz parabolischer Aktion genug Kraft, um zum einen größere Entfernungen zu bewältigen, als auch unter beschwerten Nymphen nicht in sich zusammen zu knicken.
Vor der wichtigsten Prüfung steht jedoch eine Rute immer im Drill. Der perfekte Wurf bereitet Wettkampfcastern vielleicht die allergrößte Freude. Mir als Fischer ist jedoch von Bedeutung, ob meine Rute überraschende Fluchten gut abfängt. Ob meine Rute mit mir zusammen arbeitet und durch ihre Federung den Fisch ermüdet. Hierbei ist Orvis bei der Weiterentwicklung der Blanks aus Glasfaser ein wichtiger Spagat gelungen. Die Superfine Glass besitzt nicht nur genug Feinfühligkeit um jeden Flossenschlag bis in die Fingerspitzen zu übertragen, sondern auch über genug Rückgrat um auch kräftigen Fluchten beherzt entgegen zu wirken. Wer schon immer das Gefühl hatte, für seine vielleicht kleineren Gewässern mit Kohlefaserruten überpowered aufzutreten, soll es sich nicht entgehen lassen eine Glasfaserrute in die Hand zu nehmen. Gefühlvolle Stunden sind garantiert.
Mit freundlicher Unterstützung der Firma Orvis
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Thomas Ellerbrock says
Trotzdem ist Kohlefaser das überlegene Material, auch für Ruten zum feinen Fischen auf 3- 15 m !
Bin mit Glas angefangen und möchte KF nicht mehr missen.
Nicht zuletzt beweist auch die ital. TLT (Technica Lancio Totale), wie effektiv die Präsentation im Nahbereich mit modernem Gerät sein kann.
Tankred Rinder says
Hallo Thomas,
danke für diesen Beitrag – ich zweifle Deine Aussage überhaupt nicht an. Dass Kohlefaser das ‘überlegene’ Material ist und in dem von Dir angesprochenen italienischen Wurfstill höchste Effizienz aufweisen kann ist sicherlich unbestritten. Der Charme von Glasfaser besteht aber genau darin – nur meine Meinung – eine entschleunigte, weichere Form des Wurfes und des Fliegenfischens erleben zu dürfen. Glasfaser fühlt sich anders an und mehr und mehr FF wünschen das bestehende Kohlefaser Rutenarsenal zu ergänzen.
Tight lines Tankred