© Veit Dresmann
Vor etwas mehr als einem Jahr wurde es mir so richtig ernst mit dem Nymphenfischen – dem Euro Nymphen um genau zu sein. Ob aus Frankreich, Spanien, Tschechien oder Polen, eines haben all diese Techniken gemeinsam. Ruten die weitaus länger sind als eine Standard Fliegenrute. Die zudem in niedrigeren Schnurklassen gewählt werden. Ob das dem permanent weiter entwickelten Material zuzuschreiben ist – alles Ausschußprodukte aus der Luft- und Raumfahrt, die ihren Weg in die kommerzielle Nutzung fanden – oder dem Umstand geschuldet ist, dass ein Tag am Wasser mit hoch ausgestrecktem Arm bereits bei Rutengewichten der Schnurklasse 5 eine echte Belastung für Schultern sein kann, ist fürs Erste akademisch.
Mir reicht das Wissen aus der Erfahrung, dass
- die Ruten federleicht sind
- das Hi-Tec Material auch bei pfundschweren Fischen nicht einknickt
Unzählige Berichte, einige Bücher und zahlreiche Videos wurden zum Euro Nymphenfischen verfasst. Auf die technischen Details dieser speziellen Taktik, werde ich wohl zu einem späteren Zeitpunkt eingehen müssen. Zu umfassend ist selbst diese einfache Anwendung. So viel vorweg: den mentalen Spagat zu schaffen, dass Fische – nicht nur Äschen sondern auch Forellen, zudem in beachtlicher Größe – sich vor den eigenen Füßen tummeln, war nicht immer einfach hinzubekommen. In der Zwischenzeit, noch immer auf den unteren Sproßen der Erfolgsleiter, bin ich aber von Jeremy Lucas’ (‘Tactical Flyfishing’, 2009) These überzeugt, dass der Sweet Spot zur Bißverwertung sich irgendwo zwischen fünf und acht Metern befindet. Das mag an großen Flüssen mit einer Breite zwischen 30-50m und mehr anders sein. Die Hot-Spots hier sind sicherlich anders verteilt, wie ich in einem Beitrag von vor kurzem aufzeigte. An meinen Hausgewässern reicht es aber, eine 3m lange Rute auszustrecken, Vorfach in der Länge von 7-10m zu verwenden und mit einem eleganten Schlenzer flussauf in eine perfekte Drift zu befördern und schon befinde ich mit inmitten dieser ‘heißen Zone’.
Letzteres ist weniger einfach als man denkt. Die Nymphe genau in diese manchmal nur wenige Zentimeter breite Drift zu bewegen, wenn Fische kaum Laune zeigen nur einen halben Meter auszuscheren, aber keine direkt auf sie zutreibende Nymphe ignorieren, verlangt doch etwas Übung. Und genau an der Stelle konnte mich die Helios 2 10′, 3-wt dass erste Mal so richtig überzeugen. Als Fliegenfischer bin ich natürlich dazu geneigt zu behaupten, dass mein Erfolg einzig auf mein Können zurückzuführen ist. Das Eingeständnis, dass meine Fangrate durch die Präzision dieser Rute spürbar beeinflusst wurde, verlangte meinem Ego erst etwas Demut ab. Wenn ich aber mit mir ehrlich bin, lässt es sich nicht von der Hand weisen, dass ich über Nacht konstanter meine Nymphe dorthin bekam wo ich sie eintauchen sehen wollte.
Ob es an der etwas steiferen Spitze liegt kann ich nicht zu 100% beurteilen. Und ORVIS geht bei der Helios 2 10′, 3-wt einen ganz eigenen Weg. Beinahe durchgehend alle europäischen Anbieter von Nymphenruten dieser Länge und Schnurklasse tapern ihre Blanks als weichere Mid-Flex. Nicht dass ich bei technischen Aspekten von Kohlefaser und Rutenbau nur irgendwie tief im Thema stehe. Aber der verlässlichen Quelle für Rutentests – Flyfishing & Flytying Geräteexperte Agnus Magnus – entnehme ich, dass weichere Ruten weniger Blankgewicht auf die Waage bringen. Für ORVIS war diese produktionstechnische Überlegung für diese besondere Modell von untergeordneter Bedeutung. Gelang es dem Hersteller ja bereits mit der Verfeinerung seiner Helios Reihe zur nächsten Generation (Helios 2), eine deutliche Gewichtsreduktion von 25% zum Vorgängermodell zu erzielen. Und selbst die Steifheit der Spitze konnte bei Tip Flex Modellen durch die Materialüberarbeitung um 13.6% reduziert werden – ließ ich mir mitteilen. So fühlt sich die ‘steife’ Spitze weit weniger rigide an, als ich beim ersten Ausflug ans Wasser befürchtete.
Für die praktische Anwendung beim Euro Nymphen Fischen ist eine weiche Rutenspitze nicht unwesentlich, da spontane Fluchten in unmittelbarer Nähe am Angler damit besser abgefedert werden. Als nordamerikanisches Unternehmen spielte die Überlegung eine Rute für den Heimmarkt – den zugleich größten Käufermarkt weltweit – herzustellen, sicherlich eine gewisse Rolle bei der Entscheidung zur steiferen Spitze. Zudem sind Flüsse in den USA im Schnitt durchaus etwas größer als in Europa und viele Fliegenfischer machen sich Ruten dieser Länge und Schnurklasse sowohl für das klassische Nymphenfischen – auch das mit dem Bissanzeiger – als auch das Trockenfliegenfischen zum Gebrauch. Speziell dort an den sogenannten ‘Tail Waters’, wo das in Nordamerika beliebte Midge/Trico fischen von Bedeutung ist. Fliegen in der Größe #20-28 werfen und fischen sich halt nicht besonders gut mit Ruten der Schnurklasse #5. Der multiple Gebrauch einer auf den ersten Blick auf einen engen Anwendungsbereich zugeschnittene Rute, machte somit bei Produktdesign Entscheidungen durchaus Sinn.
Nichtsdestotrotz erfreut sich Euro Nymphing auch in den USA immer größer werdender Beliebtheit und das ausführlichste Buch zu diesem Thema stammt tatsächlich vom nordamerikanischen Autor George Daniel “Dynamic Nymphing: Tactics, Techniques, and Flies from Around the World, 2012”. Und um uns ehrlich zu sein: auch wenn der eine oder andere heimische Fliegenfischer nicht müde wird zu betonen, dass Euro Nymphing ein Weg durch die Hintertür sei, ‘Fly Only’ Strecken für aus dem Grundfischen stammende Methoden zu öffnen. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass das in Nordamerika vor fünfzig Jahren entstandene ‘High Sticking’ sich methodisch nicht wesentlich von seiner europäischen Weiterentwicklung unterscheidet.
Hier wie dort widmet man sich den Fischen in unmittelbarer Nähe und steht mit ausgestrecktem Arm im Fluss, während man mit der Rute der Drift seiner Nymphe folgt, immer in Kontakt mit der Nymphen, ohne durch die Fliegenschnur am Wasser Zug auf diese auszuüben. Dafür braucht es einfach leichtes Gerät – und die ORVIS Helios 2 10′, 3-wt hinterlässt selbst nach einem ganzen Tag in dieser Haltung, keine Schmerzen im Oberarm oder der Schulter. Da gelang der Firma wirklich ein großer Wurf.
Und wenn wir schon beim Wurf sind. An den seltenen Gelegenheiten, an denen ich tatsächlich von der Nymphe auf die Trockene umrüstete, bestätigte die Rute alles, was ich mir von befreundeten Besitzern der Helios 2 in kürzerer Länge erzählen ließ: wer mit einer Helios 2 anderer Gewichtsklasse oder Länge für andere Anwendungen liebäugelt z.B. Trockenfliegen- oder Streamerfischen, wird eine unglaubliche Freude damit haben. Die steifere Rutenaktion dieses speziellen Modells erlaubt unglaublich enge Schlaufen, die Rückstellgeschwindigkeit der Spitze ist umwerfend und wie bereits oben bei Thema Präzision erwähnt: bei der erreichten Distanz meiner Würfe, hatte die Rute sicherlich ihr Händchen im Spiel – auch wenn ich das nicht zugeben möchte. Bei der unglaublichen Bandbreite an Längen, Stärken und Rutenaktionen ist sicherlich für jeden etwas dabei.
Die engen Schlaufen – ein gewünschtes Ziel beim Präzisionswurf – wurden meiner Rute aber leider zum Verhängnis. Stellt man sich ungeschick wie ich an und knallt man den 3mm Tungstenkopf einige Male ungewollt an die Spitze der Rute, wird selbst das robusteste Material vom Einschlag dieses Geschoßes einen Schaden davon ziehen. Und so gelang es mir wirklich mit der nächsten Tolpatschigkeit – die mit langen Ruten versehentlich leicht passiert – dass die Rutenspitze beim Kontakt mit einer Astspitze, den sprichwörtlich Kürzeren zog. Autsch – selten zuvor sank mir das Herz in die Hose, wie beim Ertönen des Bruchs einer €845 Rute. Einzige tröstliche Aussicht: es gab die Gelegenheit den viel gepriesenen Orvis Kundenservice auf seine ‘lebenslange Garantie’ zu testen. Mir wurden keine Fragen gestellt. Einzig das Ausfüllen eines Einsendeformulars, inklusive der zerstückelten Bruchstücke und binnen einer Woche hielt ich ein Ersatzteil in meinen Händen. Ein ganz dicker Daumen hoch dem Kundenservice von Orvis Europe in England.
Natürlich stellte ich mir die Frage ob ich mir nach diesem Vorfall wieder eine Helios 2 zulegen würde. Nun ja, mein Beitrag an der Entstehungsgeschichte ist nicht von der Hand zu weisen und seitdem gehe ich etwas vorsichtiger mit dieser Rute um. Denn trotz der Stärke und des soliden Rückgrats selbst bei der feinen Gewichtsklasse, bleibt die Helios 2 10′, 3-wt ein delikates Teil. Eines, dass man kaum in der Hand spürt wenn man es aufgreift.
Somit kann ich diese Frage mit einem bedingungslos mit ‘Ja’ beantworten. Diese federleichte Rute in der Hand zu halten, die Hand um den unglaublich hochwertigen Korkgriff ohne Risse zu legen, jede feinste Bewegung eines Fischs im Drill bis in den Griff zu spüren und die Präzision mit der die Nymphe punktgenau dort abgelegt wird wo ich sie mir wünsche, ist wirklich ein besonderer Genuß. Wenn ich wirklich etwas an dieser Rute kritisieren müsste, so wäre es das Rutenrohr mit dem ich mich überhaupt nicht anfreunden kann. Ja es stimmt – das Kohlefaserrohr mit Logo und Markenaufdruck ist stylish, ist sexy. Noch lieber wäre mir aber ein Griff oder ein Gurt am Rohr, sodaß der Transport aus der Wohnung mit oft mehr als einer Rute in der Hand, die gestreckten Finger meiner etwas kleiner geratenen Hände nicht überstrapaziert und ich mir wünschte Saugnäpfe an ihnen zu besitzen. Jammern auf höchstem Niveau – ich weiß, ich weiß!
Mit freundlicher Unterstützung der Firma Orvis
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ein leser says
Bedeutet der letzte Satz “Mit freundlicher Unterstützung der Firma Orvis.”, dass der Artikel (dieser könnte aus einem Marketing-Lehrbuch stammen) eine Gegenleistung für die Helios 2 ist? Ich habe früher gerne und viel hier gelesen. Ich fand dies 2012/2013 einen der Besten, vielleicht sogar den Besten, deutschsprachigen Blog zum Thema Fliegenfischen. Leider fällt es mir immer schwerer, die wirklich guten inhaltlichen Beiträge von Marketing zu trennen. Es ist ja legitim, wenn der Blog auch als Einnahmquelle dient. Leider geht in meinen Augen mit der derzeit praktizierten Form der Monetarisierung (hierzu zähle ich auch Sachleistungen) die Identität und Faszination des Blogs verloren. Eine klare Kennzeichnung und Abgrenzung der werblichen Inhalte fehlt mir.
Tankred Rinder says
Hallo lieber Leser,
es freut mich, dass Du schon so lange bei Forelle & Äsche dabei bist und der Meinung bist das F&Ä zu den besten Blogs im deutschsprachigen Raum zählt – oder zählte. Die Helios 2 war eine Testrute die nach 6 Monaten leidigen Herzens an den Hersteller zurückging. Meine Identität denke ich bei diesem Beitrag gewahrt zu haben, indem ich meine Erlebnisse mit Rute und Kundenservice beschrieb wie sie stattfanden. Hartgesottene, umsatz- und beziehungsbesorgte Marketeers hätten wahrscheinlich die Produktbesprechung anders ausgeführt.
Generell bemühe ich mich um Besprechungen von Produkten, die ich mir auch kaufen würde und berichte über Menschen und Aktionen die ich toll und mitteilungswürdig finde. Ich bin halt auch begeistert von manchen Dingen und Personen – ohne diese über Vergleichbares stellen zu wollen. Persönlich bin ich der Meinung, dass High-End Produkte egal welchen Bereichs sich minimal punktuell unterscheiden und ein Kauf auf persönliche Vorlieben, Freundesempfehlungen, Image zurück zu führen sind. Oder lässt sich rational der Qualitätsunterschied zwischen Audi, Mercedes und BMW festhalten? Mal hat der Hersteller die Nase vorn, dann der Andere. Dass alle drei in bestimmten Segmenten Top Qualität erzeugen ist unumstritten, oder?
Blogs & Monetarisierung – ein lebendig diskutiertes Thema der letzten Monate. Oft angestoßen von etablierten Medien die einen Teil ihrer Werbeeinnahmen in andere Kanäle abwandern sehen. Natürlich regt mich Dein Feedback zum Nachdenken an und ich habe mir die Archivseiten von F&Ä angesehen. Von 45 Beiträgen des letzten Jahres waren 3 Produktbesprechungen und 2 waren veranstaltungsbezogen. All zu oft bot sich die Gelegenheit aus meiner Sicht nicht, inhaltlich Relevantes mit Werblichem zu vermischen.
Für Vorschläge wie ich mich aus Deiner Sicht klarer abgrenzen sollte, bin ich offen. Der von Dir angeführte Satz ist wie Du richtig erkanntest ein Hinweis, dass ich als Autor des Testberichts keine Aufwendungen für den Artikel machen musste. Die werblichen Inhalte finden sich zudem alle in der Kategorie Produkte – eine Unterordnung geschafft dafür, die von Dir gewünschte Abgrenzung zu ermöglichen.
Ich hoffe Dich weiterhin als Leser begrüßen zu dürfen und wünsche Dir einen ausgezeichneten Start in die Forellensaison 2016. VG Tankred
Dariusz says
Hallo Tanker,
interessanter Tackle Bericht. Ich bin schon gespannt auf deine weitere Berichte zum Thema Nymphenfischen und Taktik.
Gruß
Dariusz
Tankred Rinder says
Hallo Dariusz,
danke fürs Lob – bin gedanklich schon bei der Ausarbeitung des Themas.
Grüße, Tankred