”Hallo, ich rufe an im Auftrag von Lars von Trier. Lars dreht seinen nächsten Film zum Thema Sexsucht und braucht ein wenig Beratung zum Thema Fliegenfischen und Kunstfliegen. Hätten Sie Interesse dazu beizutragen?” Als die Filmemacher Daniel Göz und Anton Hamacher (Tapam, Gaula – River of Silver and Gold), der Fliegenbinder Hans Hilgers und der Tackleshopbesitzer Rolf Renell einen Anruf mit möglicherweise diesem Wortlaut erhielten, wäre es Ihnen nicht zu verübeln gewesen, sofort aufzulegen und sich Gedanken über die Urheberschaft dieses blöden Scherzes zu machen. Die Schlüsselworte Lars von Trier, Sex und Fliegenfischen waren wahrscheinlich verlockend genug, den vermeintlichen Scherzbold aussprechen zu lassen und im Verlauf des Gesprächs festzustellen, was man von dieser Anfrage halten soll.
Warum auch nicht? Schließlich nannte auch der amerikanische Autor John Gierach einen seiner Titel: Sex, Death, Flyfishing. Und was wäre ein Leben ohne Sex – ähem, wie ein Leben ohne Fliegenfischen. Sinnentleert, langweilig und unerfüllt. Und Sucht? Nun ja, FliegenfischerInnen geben gerne ihre Vernunft beim Betreten eines Tackleshops an der Türschwelle ab. Und des einen Besuch von youporn, ist des anderen Log-in in einem Forum. Irrational und besessen – gehen beim einen als dem anderen Stunden verloren.
Und ähnlich wie für Charlotte Gainsbourg’s Charakter Joe in Nymphomaniac – für die beim ersten als auch zehnten Mann des Tages, Leere und Einsamkeit vorherrschen – ist der Griff zur Kreditkarte, oder geistreich formuliertes Wissen mit diskussionswilligen Gegenübern, bestenfalls Kompensation für das Fehlen des leidenschaftlichen Funken der sich einstellt, wenn die Kraft des Flusses unsere Beine umspielt, der Zug in der Schnur unsere Rezeptoren anspringen lässt.
Aus Sicht der bekannten Akteure der deutschen Fliegerfischerszene galt somit nach der Anfrage: Top Regisseur ✔ – Interessantes Thema ✔ – Fliegenfischen ✔
Und so steuerten Daniel Göz und Anton Hamacher Bildmaterial aus ihrer international bewunderten filmischen Liebeserklärung an die Lachsfischerei in Norwegen bei: ‘Gaula – River of Silver and Gold‘. Hans Hilgers liess die Bindefäden seiner Bindewerkstatt tanzen und überreichte dem Produktionsteam ein Set an klassischen Nassfliegen – bevor der Leiter des Teams ins nahegelegene Bonn fuhr, um sich mit Lederpeitschen und ähnlichen Zucht und Strenge Utensilien einzudecken. Und Rolf Renell stand dem Drehbuch zum Fliegenfischen beratend bei.
Nach bestem Wissen ist Lars von Trier selbst Fliegenfischer und so kommt es vielleicht weniger überraschend, dass dem Thema Fliegenfischen in ‘Nymphomaniac’, dialogisch und filmisch gute zehn bis fünfzehn Minuten gewidmet werden. Von Zweihandrutenwürfen, dem fokussierten Kamerablick auf eine Peter Ross, bis zu Hinweisen und Vergleichen zur Praxis das Wasser zu lesen, der Wirksamkeit des Induced Take und Zitaten aus Izaak Waltons ‘The Compleate Angler‘.
Der Film selbst ist weit weniger pornographisch, als der die Werbetrommel rührende Lars von Trier vermuten liess. Zugegeben, ich konnte beim Kinostart diese Woche einzig Teil 1 des fünfstündigen Epos sehen. Und dieser ist bekanntlich weit weniger explizit, als der vom Gewaltsex geprägte Teil 2 von Nymphomaniac. In den Sexszenen – sicherlich ausführlicher als in vergleichbaren Kunsthaus Kinofilmen – geht beim Anblick des physisch als auch seelisch im Mitleidenschaft gezogenen Gesichts der Erzählerin Charlotte Gainsbourg, jeder erotische Kitzel verloren. Ausreichend Sex ja – Pornografie auf keinen Fall.
In Nymphomaniac lässt Lars von Trier – im Unterschied zu anderen Titeln seines Werks – dialogisch und erzählerisch unterhaltsame Momente einfliessen. Viel öfter als erwartet musste ich schmunzeln und während einiger Szenen ging ein hörbares Lachen durch den Saal. Trotz des dargestellten Leids und auch der seelischen Kälte während des Sexakts. Interessant fand ich, dass der Film – doch das war von Lars von Trier zu erwarten – moralische Wertung auf Distanz hält.
Denn der Begriff Nymphomanie stammt aus der Medizin und Psychologie des 18. und 19. Jahrhunderts und nicht selten fanden sich hypersexuell veranlagte Frauen in die Psychiatrie verbannt, oder medizinisch zwangsbehandelt. Wem ist schon das männliche Pendant zur Nymphomanie – Sartyriasis – häufig auch Donjuanismus genannt bekannt? Impliziert zweiteres nicht durchaus positive besetzte Eigenschaften, vom charmanten, leidenschaftlichen, mit Ausstrahlungs- und Verführungskraft durchdrungenem Mann.
Und so fand ich die Rolle des einsam und zurückgezogen lebenden Junggesellen Stellan Skarsgård interessant, der eben mit viel Witz Charlotte Gainsbourg dazu bringt sich ihm zu öffnen, und ihre Schuldgefühle ob des eigenen Handelns abzulegen. Mit Analogien zu Johann Sebastian Bach, Mathematik und eben Fliegenfischen. Und genau dieses wurde durch das Mitwirken von Daniel Göz & Anton Hamacher, Hans Hilgers und Rolf Renell authentisch in Nymphomaniac verarbeitet. So wird die fünfzehnminütige Thematisierung des Themas Fliegenfischen einem weiteren Publikum nahegebracht, welches vielleicht zum ersten Mal diesem Sport begegnet. Ich kann das begrüßen.
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