(© Greg J. Miller) Ein Freund von mir – ein sehr guter Fliegenfischer – verfolgt so einige eigenwillige Prinzipien. Eines davon ist der Verzicht auf schwere Tungstenperlen. Nicht dass er darauf verzichtet, am Flussgrund zu fischen. Ganz und gar nicht, denn er ist begeisterter Barbenangler. Er wählt einfach andere Mittel, um seine Nymphe dorthin zu befördern, wo aquatische Insekten die meiste Zeit verbringen und sich Fische aus Gründen der Energiekonservierung bevorzugt aufhalten, weil dort die Strömung am geringsten ist. Seine Formel um an den Grund zu gelangen, lautet: Vorhalt – Vorfachlänge – Bleischrot.
Lange Zeit habe ich mir dazu wenige Gedanken gemacht. Vom Stillwasserfliegenfischen kommend hatte ich seit jeher zwei oder sogar drei Fliegen im Team gefischt. Oft wird einer der Fliegen eine Opferrolle auferlegt, indem sie primär eine taktische Funktion erfüllt. z.B. um eine Montage zu ‘ankern’, sprich das Vorfach zu strecken und so den Kontakt zwischen der/den Fliege/-n und dem Angler herzustellen, wodurch die Bisserkennung erleichtert wird. Oder um mit Hilfe einer stark beschwerten Nymphe z.B. eine kleine, wenig beschwerte Nymphe auf Tiefe zu bringen.
Genau diese Taktik muss ich nun aber überdenken, da meine Recherche zu einem Ausflug an ein Gastgewässer ergab, dass die Benutzung von mehr als einer Anbissstelle untersagt ist. Jetzt könnte man einwenden, dass es doch reicht mit einer beschwerten Nymphe zu angeln, wenn ich grundnah mein Glück versuchen möchte. Wogegen ich nichts einzuwenden hätte, wenn mein Besuch nicht im Herbst stattfinden soll und erfahrungsgemäß das Nahrungsangebot im Laufe des Jahres an Größe abnimmt. Und wenig stößt mir mehr auf, als Nymphen mit überdimensionierten Tungstenköpfen.
Mein Freund sieht das noch viel radikaler und er muss sich sogar sehr überwinden, überhaupt Nymphen mit Kopfperlen ans Vorfach zu knüpfen. Seine bevorzugte Montage zur Beschwerung ist tatsächlich das Bleischrot, oder zwei, oder drei oder sogar noch mehr. Eigenbrötler und Menschen mit Spleen finde ich mein Leben lang schon interessant. Also machte ich mich daran, dass Thema Bleischrot zum Nymphenfischen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Vor allem in den USA, wo vielerorts das Fliegenfischen, wie es scheint, pragmatischer betrieben wird als in Europa, gibt es kaum Berührungsängste mit dem Thema Bleischrot – oder Splitshot, wie es im Englischen genannt wird.
Man muss auch in Europa eigentlich gar nicht so weit zurückgehen (40 Jahre vielleicht), um festzustellen, dass Kopfperlen aus Messing eine relativ junge Ergänzung in der Grundausstattung des Fliegenbinders sind. Welcher Fliegenbinder würde heute noch auf die Idee kommen, sein Fliegenmuster mit einem Bleischrot zu beschweren, wie Hans van Klinken es mit seinem Caddis Larven Muster der Leadhead (Bleikopf) tat. Oliver Edwards entwickelte dieser Muster weiter zur Peeping Caddis.
Denke ich selbst an die Nuller-Jahre dieses Jahrhunderts, rieten Bindezeitschriften noch oft zur Bleiwicklung in verschiedenen Stärken oder zur Nutzung von Rippungsdraht mit variierendem Durchmesser um Fliegen unterschiedlichen Gewichts zu binden. Und wem das nicht ausreichte, um an seinen vorherrschenden Gewässerbedingungen seine Fliegen in Richtung Grund zu bringen, half sich auch hierzulande mit vorgeschaltetem Bleischrot.
Durch meinen britischen Blick aufs Nymphenfischen übersah ich es komplett, dass in den USA grundnahen Fischen anders zu Leibe gerückt wurde, als mit Extrawindungen an Kupferdraht (Frank Sawyer). Vor allem zwei Protagonisten stechen dabei hervor: George Harvey und Joe Humphreys. Der Professor für Leibeserziehung Harvey gründete 1934 einen Kurs im Fliegenfischen an der Pennsylvania State University, welcher 1947 zum akkreditierten(!!!) Lehrgang übers Fliegenfischen wurde. Aus europäischer Sicht ist wahrscheinlich der Tuck Cast der bedeutendste Beitrag zum Nymphenfischen von George Harvey. Sein etwas jüngerer Kompagnon Joe Humphreys übernahm 1972 den Uni-Lehrgang und leitete diesen bis 1991. Über den nun 93-jährigen erschien 2019 der sehr bewegende und sehenswerte Film Live The Stream – The Story of Joe Humphreys. Heute wird der Kurs von George Daniel geleitet, dem Autor des sehr informativen Buches Dynamic Nymphing.
In diesem wird die Harvey/Humphrey Methode mit dem nahe verwandten High Sticking zusammengefasst und unterscheidet sich nur in der Ergänzung durch den Tuck Cast von diesem. Gemeinsam wird bei beiden Methoden – im klassischen Sinn – mit unbeschwerten bis leicht beschwerten Nymphen im Kombination mit vorgeschaltetem Bleischrot gefischt. Beide Methoden zählen darüberhinaus ebenfalls zu den Tight-Line Nymphing Techniken. Also Taktiken fürs Nymphenfischen die auf den schwimmenden Bissanzeiger verzichten und anstatt dessen an der gestreckten Leine Bisse sichten oder erfühlen.
Tungstenperle ist nicht gleich Tungstenperle und erst das Experiment am Wasser zeit, welche Größe und welches Gewicht die Nymphe in die heiße Fresszone 20-30cm über dem Flussgrund bringt. Auch die Position des Bleischrots am Vorfach bedingt, in welcher Höhe der Wassersäule unsere Nymphe präsentiert wird.
Worauf man zudem wirklich achten muss, ist das Verhältnis zischen dem Gewicht des Bleischrots und der Nymphe. Eine komplett unbeschwerte Nymphe wird vermutlich spätestens dann wenn das Schrot am Grund landet und von dort aus langsam weiter kullert, vor dem Bleischrot abtreiben. Der Umstand erschwert natürlich die Bisserkennung, da eine zupackende Forelle zumindest das Schrot stoppen oder bewegen muss, um eine Regung im Vorfach zu signalisieren. Wer schon mal beobachten konnte, wie schnell Forellen eine Fliege auch wieder ausspucken können, wird verstehen, dass bei derartiger Kombination vermutlich nicht jeder Biss beim Fliegenfischer ankommen wird. Kombinationen aus Fliegenbeschwerung (leicht-mittel-stark) und der Anzahl an Bleischroten lässt uns unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten überwinden und Wassertiefen erkunden.
Nymphen mit Kopfbeschwerungen sind aus dem modernen Fliegenfischen nicht mehr wegzudenken. Doch sehr lange vor deren Aufkommen wurde bereits dank des Hilfsmittels Bleischrot auf grundnahe Fische geangelt – und das mit viel Erfolg! Mich fasziniert es auf jeden Fall längst vergessene Taktiken zu erproben und für den Fall gerüstet zu sein, sollte irgendwo ganz unerwartet ein Tandem aus beschwerten Nymphen, oder Jig-Köpfe von der Gewässerordnung untersagt werden.
Der Unterschied zwischen einem guten und einem hervorragenden Fliegenfischer besteht aus einem Bleischrot (anonym)
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Christian Mohr says
Hallo Herr Rinder,
die Autokorrektur ist eine Erdloch, und Oliver hat Hans van Klinken’s Lead-Head Muster zur Peeping Caddis weiterentwickelt. Obwohl: Peeling Caddis hat auch was … :-)
Mit besten Grüßen
cm
Tankred Rinder says
:-) hat definitiv etwas. Ist korrigiert. LG Tankred