“Welches Nährtier steht den Fischen zu welcher Jahreszeit, in welcher Form, Farbe, Größe und Menge zur Verfügung und wie und wo biete ich meine Imitation an!?” Endlich eine Frage und ein Spruch die etwas in mir bewirken. Anstatt der sicherlich gut gemeinten, aber unheimlich nervenden Selbsthilferatschlägen in meinem FB-Feed. OK, die Weisheit der Cree, ausgelutscht doch aktueller denn je, lass ich noch durchgehen. Soll ja tatsächlich so sein, dass manch einer den Zusammenhang zwischen Turbo-Kapitalismus und Umweltzerstörung nicht wahrhaben möchte. Wir Fliegenfischer sind dafür aber doch etwas sensibler. Aber Überraschungen wird es in unserer Zunft sicherlich auch geben.
Und überrascht war ich auch als ich Michael Wenzel zum ersten Mal traf. Den – wenn schon nicht Autor obigen Mantras – zumindest Hohepriester der Philosophie, vor dem ersten Wurf fleißig Steine umzudrehen, um sicher zu gehen die passende Fliege ans Vorfach zu knüpfen. Eine die eben in Form, Farbe und Größe und der richtigen Menge an jenem Moment, Forelle & Äsche zur Verfügung stehen. Jugendlich wirkend, saß er auf der Terrasse in der Pension Eberhard an der Wiesent. Ein Kreis Fliegenfischer unterschiedlichem Alters an jedem Wort von ihm hängend, dass er zu Taktik und Methoden, Fliegen und Fliegenbinden von sich gab. Hier war er also, der Herr aus Köln dessen Name respektvoll durch den Hörer gesprochen wurde, als ich mich anmeldete für eine Woche an der Wiesent: “Aus Köln habe ich einen Stammgast, Herrn Wenzel. Kennen Sie den?” Nein kannte ich nicht bis zu jenem Woche an der Wiesent. Und so beobachtet ich einen Fliegenfischer – am Wasser, als auch um den Tisch -, um dessen Wissen und Weisheiten trotz des relativ jungen Alters ein Geriss war. Umgeben von geheimnisvoller Aura. Schade, dass er bereits am kommenden Tag abreisen würde.
Als wir uns das nächste Mal trafen, stand nicht mehr der Zufall Pate. Auf der Suche nach jemandem, der mir einmal zeigte wie man gezielt auf Barben mit der Fliege fischt, verabredeten wir uns an der Ahr. Frühmorgens an einem Parkplatz – ich frisch aus dem Bett, er frisch aus einem Nachtclub. Wo er einer Freizeittätigkeit als ‘Sorter’ nachgeht. Die Person die über Gesicht, Kleidung und Auftreten entscheidet, bevor die Türen zum Vergnügungstempel sich öffnen. Erfreulich, dass ich diese Prüfung offensichtlich an der Wiesent bestand. Als ehemaliger DJ empfand ich somit schnell eine weitere Verbindung, die über das Fliegenfischen hinausging. Und als er so vor mir stand, in metrosexueller Selbstverständlichkeit in Designer Bondage Hose, wie aus Vivienne Westwoods Kultboutique ‘World’s End’, fühlte ich mich zurückversetzt in meine langjährige Heimat London.
Doch nicht nur kleidungsstilistisch sprengt Michael Wenzel die Grenzen. In fischereilicher Hinsicht – gelangweilt von Besatzfischen – hat er sich schon lange der Fischerei auf Barben, Nasen und allen anderen wirklich wilden Fischen verschrieben. Ohne dabei elitär und abgehoben zu wirken – wie auch, wenn er gleichzeitig liebend gerne auf Regenbogenforellen im Ostvoornse Meer fischt. Einem brackartigen Gewässer Hollands bekannt für seine kampfkräftigen und nicht ganz einfach zu fangenden Regenbogenforellen. Dass man ganz nebenbei auch wunderbar nach Schollen streamert, wird er mir einige Monate später zeigen. Es scheint die Herausforderung zu sein, die den Reiz für alles fischereiliche in Michael Wenzel’s Herangehensweise an das Fliegenfischen darstellt.
Denn zum Fischfang reichen ihm nicht die gängigsten Mustertypen, noch die an Beliebtheit kaum zu übertreffenden Bindematerialien. Tungsten? Braucht er nicht! Wozu auch, wenn man mit wirklich guter Technik – Tuck Cast in Kombination mit geschicktem Schlaufenmending (s. A Bone To Pick – Schnurkontrolle) – ähnlichen Effekt erzielen kann. Also eine Herangehensweise an die Fischerei die man im englischen mit ‘River Craft’ umschreibt: Gewässer lesen, die eigene Position im Wasser bedenken, Mendingtechniken u.ä. Können, dass in Zeiten modernster Materialeigenschaften schnell verloren gehen kann, vielleicht sogar nie erworben wird.
Die getroffenen Entscheidungen sich für die eine oder andere Technik zu entschliessen, auf das eine oder andere Material zu verzichten, sind bei ihm aber nie in einem Dogma verwurzelt, sondern unterliegen solider taktischer Überlegungen. Wenn man wie Michael der Meinung ist, dass sich stark kopfbeschwerte Nymphen unnatürlich im Wasser bewegen – so klemmt man dieser in zwanzig Zentimeter Entfernung ein Schrot Blei vor. Erfüllt eben den selben Zweck wie eine Tungstenperle. Punkt! Warum er komplett auf CDC verzichtet, muss ich wohl noch einmal erfragen – ich bin sicher auch dafür gibt es einen guten Grund. Und wenn es nur der sei, dass doch alle mit CDC Fliegen fischen und es anders auch geht. Eine individualistische, legitime Haltung die ich schätze.
Wer jetzt denkt Michael Wenzels Fliegenbox füllt sich mit traditionellen Mustern, die über die Jahrhunderte nichts an Verlockung und Verführungskraft eingebußt haben, irrt gewaltig. Fein säuberlich angeordnet nach Insektenzuordnung tut sich eine Spalier nach der anderen an Mustern auf, die zu binden die wenigsten unter uns die Geduld aufbringen würden. Da Michael Wenzel es aber wie Oliver Edwards sieht, dass (semi)-realistische Fliegen noch immer zum Fischen hergestellt werden anstatt für den Schaukasten, enden Muster die in der Herstellung sehr zeitaufwendig sind, wie selbstverständlich am Ende des Vorfachs. Auch wenn das nächste Hindernis im Wasser diesen Skalp fordern wird.
Der Schritt von realistischen Gebrauchsmustern für das tägliche Fliegenfischen zu Mustern für Bindewettbewerbe ist ein relativ kleiner. Und während der frühen Jahre des neuen Jahrtausends konnte er einen schönen Preis nach dem anderen abräumen.
- 2000 Slovenia Nymphe 3. Platz
- 2001 Slovenia Nymphe 3.Platz
- 2008 Deutscher Meister – Royal Fly Fishing Nymphe 1. Platz
- 2008 Offene Deutsche Meisterschaft Nymphe 1. Platz
- 2008 MUSTAD Scandinavien Open Nymphe 2. Platz
Da Michael Wenzel sich in erster Linie in der Fliegenfischerei verortet, der das Binden und Werfen untergeordnet ist, legt er in den letzten Jahren wenig Wert darauf, seine Kunststücke Juroren vorzulegen. Viel lieber dreht er Steine um, sammelt Insektenlarven und Nymphen ein und stellt sich die Frage: “Welches Nährtier steht den Fischen heute, in welcher Form, Farbe, Größe und Menge zur Verfügung und wie und wo biete ich meine Imitation an!?” Die verlässlichsten Richter über die Fängigkeit von Kunstfliegen sind noch immer die Fische.
Danke für die Freundschaft Michael Wenzel – ich freue mich schon auf den nächsten Ostvoornse Besuch im Januar.
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Christian Mohr says
Der olle MW ein Star – watt geil!
Beim Untertiteln der Illustrationen müssen wir aber noch ein bisschen üben: das ist eine Hydropsyche, keine Rhyacophila. Rhyac ist die kleinere, grüne. Hättest Du besser mal den Oliver nach gefragt, der hätte Dir das erklärt … :-)
Tankred Rinder says
Hallo Christian,
der MW ist ein absoluter Star! Du hast natürlich vollkommen recht – danke für den Hinweis, wurde ausgebessert.
Grüße, Tankred
hansmetzlerme says
Spannend und wohltuend anders! Da muss ich noch viel lernen.
Tankred Rinder says
Nicht nur Du Hans – auch ich kann und sollte mir einiges von Michael abschneiden.
Tight lines, Tankred
Blog@fliegenfischen-deutschland.de says
Klasse Beitrag! Ich denke ihr habt den Barben bei Altenahr nachgestellt……an einem gewissen “Wiesengrundstück”. Weiter so mit den tollen Blogeinträgen!!!
Gruß
Detlef
Tankred Rinder says
Danke Detlef – werde mir Mühe geben. Und ja, dort sind sie unübersehbar.
Tight lines, Tankred