Vor einem Jahr erhielt ich eine Email: “Hallo, ich bin Marjan Fratniks Tochter. Mein Vater hat nach seinem Tod einige Tagebücher hinterlassen, die ich gerne der Öffentlichkeit vorstellen möchte. Bei einer Suche im Web bin über Deinen Beitrag zu meinem Vater gestossen. Mein Daddy hätte Deine Homepage sehr gemocht. Möchtest Du eine digitalisierte Version der Tagebücher auf Deiner Website einstellen?” Und wie ich das möchte!
Anfangs fragte ich mich noch, ob ich einem gut ausgedachtem Scherz aufgesessen bin. Doch eine Personensuche bestätigte rasch die Authentizität der Senderin. Ansässig in Mailand, dem letzten Wohnort Marjan Fratniks. Es sollte noch einige Monate dauern, bis die Tagebücher digitalisiert waren und mir via FTP zugeschickt wurden. Es waren schliesslich umfangreiche Dokumente aus der Zeit von 1972-1981. Über Aufzeichnungen aus den Folgejahrzehnten ist mir nichts bekannt, auch wenn diese sicherlich noch irgendwo im Nachlass herumschwirren. Schließlich wollte ich auch nicht aufdringlich sein und freute mich riesig über das Privileg, Einblick in die Aufzeichnungen Marjan Fratniks zu erhalten. Niedergeschrieben in italienisch – eine Sprache die ich nur basal beherrsche – schmuckvoll bereichert mit Zeichnungen, über die Erlebnisse an den von Marjan Fratnik besuchten Gewässern. Sloweniens Idrijca und Soca, Südtirols Falschauer, Irlands Blackwater.
Die Tagebücher erlauben einen interessanten Einblick – auch wenn ich wie gesagt wenig italienisch spreche – in das Leben und Denken Marjan Fratniks. Wie beneide ich eine der wahren Größen des europäischen Fliegenfischens um seine sprachliche Kompetenz. In Slowenien geboren und aufgewachsen, mit einem Abschluss in Betriebswirtschaft der Universität Wien, übersiedelte er nach Italien wo er anfangs als Motorsportjournalist arbeitete, bevor er aus seinen Fremdsprachenkenntnissen und Ausbildung vollen Nutzen zog und als Verkaufsleiter eines internationalen Unternehmens tätig wurde. Die gesicherte Existenz erlaubte ihm die intensive Auseinandersetzung mit dem Fliegenfischen und zumindest für einige Jahre, führte er darüber genaueste Aufzeichnungen in Form eines Tagebuchs. Wie unten abgebildet von einem Besuch an der Soca, wurden Außen- und Wassertemperatur, Mondphasen und Windverhältnisse, sowie eine Fangstatistik erfasst.
Es ist erstaunlich wie detailliert wirklich große Fliegenfischer, die mit ihrem Wirken die Entwicklung des Sports maßgeblich beeinflusst haben, ihre Erfahrungen in Schrift und Bild niedergehalten haben. Und einer der ersten Ratschläge, der mir von meinen Meistern und Lehrern mitgegeben wurde war, jeden Tag am Wasser zu erfassen, um zu einem späteren Zeitpunkt aus den Erfahrungen und dem Wissen vorhergegangener Tage, im hier und jetzt die richtige Entscheidung zu treffen. Entscheidungen die zu einem gewissen Grad auf Instinkt beruhen, die aber zu großen Teilen aus der Praxis der Vergangenheit zehren. Und doch findet man selten beim Besuch eines Gewässers selten die exakt selbe Situation wieder vor. Doch lassen Wissen um die Ähnlichkeit der vorgefundenen Umstände, mit größerer Sicherheit treffende Entscheidungen fällen. Entschlüsse die sich zumindest ein- oder sogar mehrere Male in der Vergangenheit bestätigt haben. Und selbst ausgezeichnete Fliegenfischer wie Marjan Fratnik stoßen dabei gelegentlich auf Situationen, die nach eingehender Analyse Kopfschütteln hervorrufen. In denen vergeblich nach des Rätsels Lösung gesucht wird.
Es ist erfreulich festzustellen, dass begnadete Fliegenfischer auch oft nur mit Wasser kochen. Liesst man die Einträge der Fangstatistik durch, so fällt auf dass viele der gefangenen Fische sich weder in der Anzahl, noch in der Größe bedeutend von den eigenen Fängen unterscheiden. Und nicht selten wird die Statistik mit einem x- Mal ‘sotto misura’ (untermaßig) beendet. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die manchmal öffentlich mitgeteilten Fangerfolge der fliegenfischenden Gemeinde, unbereinigt von diesen ‘sotto misura’ präsentiert werden. Vom eigenen Können abgesehen, sind letztlich doch die Anzahl der Tage am Wasser und das Vorhandensein von Fischen überdurchschnittlicher Qualität darüber entscheidend, wie sich der Fangerfolg von großen Fischen zu Buche schlägt. Am 19. 8.1975 war Marjan Fratnik das Glück aber besonders hold und der Fang von sieben Bachforellen in der Größe von 45cm an der Idrijca, hat ihn mit Sicherheit mit einem breiten Grinsen den Nachhauseweg antreten lassen.
Vergeblich habe ich in den Aufzeichnungen nach Hinweisen auf die Entwicklung der F-Fly gesucht. Doch bestätigen die Tagebücher somit, dass zumindest in unseren Breiten in den 70er Jahren noch wenig mit CDC Fliegen gefischt wurde. Ganz oben im Sortiment von Marjan Fratnik standen zu der Zeit nämlich flügellose Trockenfliegen und Devaux Fliegen. In all den Aufzeichnungen konnte ich auch keine Hinweise auf die Verwendung von Nymphen feststellen. Daran könnten mich aber meine rudimentären italienisch Kenntnisse gehindert haben. Sollte ein eifriger und des italienischen mächtiger Leser andere Feststellungen machen, so wäre ich über Hinweise dankbar. Im Allgemeinen deckt sich damit aber meine Überzeugung, dass selbst zu dieser Zeit noch, auch wenn europäische Fliegenfischer dank Frank Sawyer und Charles Ritz über den Einsatz von Nymphen gut Bescheid wussten, dieser Fliegentyp trotz allem noch nicht sehr weit verbreitet war. Nassfliegen hingegen werden häufig abgebildet.
Durch das gesamte Buch zieht sich Marjan Fratniks sichtlicher Humor. Wie viele unter uns litt er ebenfalls unter schlechten Witterungsverhältnissen, musste das Eintreten von kaltem Wasser durch die löchrigen Watstiefel feststellen, traf bei seinen Ausflügen auf Gruppen von Pfadfindern die offensichtlich die besten Pools belagerten und mit Spiel und Spaß malträtierten. Die manchmal kruden Portraits wahrscheinlich ungewollter Bekanntschaften am Wasser, lassen den Rückschluss zu – in der Interpretation mag ich mich auch irren – dass auch Marjan Fratnik Begegnungen hatte, die nicht immer von gegenseitigem Respekt gekrönt waren. Sollte sich ein/e LeserIn in der abgebildeten Situation erkennen und mich darauf aufmerksam machen wollen, dass sich das Ereignis freundschaftlicher zugetragen hat als von mir ausgelegt, so lassen Sie mich das bitte wissen.
Das Betrachten der Tagebücher von Marjan Fratnik hat in mir den Entschluss reifen lassen, meine eigenen Erlebnisaufzeichnungen wieder aufzunehmen. Als ich mit dem Fliegenfischen begann, hatte ich während der ersten zwei Saisonen tatsächlich auch Tagebuch geführt zu meinen Ausflügen ans Wasser. Abgesehen vom didaktischen Aspekt eines Journals, macht es richtig Spaß, die Erlebnisse der Fischtage wieder ins Gedächtnis zu rufen. Beim Durchlesen meiner Einträge wurde ich lebhaft an die vermerkte Situation zurückgebracht. Momente am Wasser, die ich so schon längst vergessen hätte, würde es nicht schwarz auf weiß vor mir niedergeschrieben sein. Ein interessanter Nebeneffekt bestand darin, den eigenen Erfolg erkenntlich zu machen. Ob es an meinem Gedächtnis oder meiner Grundeinstellung liegt, lässt sich schwer festhalten. Es scheint aber, dass Misserfolge und Enttäuschungen sich nachhaltiger im Gedächtnis einprägen, als die zahlreichen Momente, die jetzt vielleicht nicht als Sternstunden durchgehen, jedoch eindeutig belegen, dass ich mit dem eigenen Erfolg durchaus zufrieden sein darf. Diese Erkenntnis war für mich nicht unbedeutend. Für die wahrlich künstlerischen Zeichnungen von Marjan Fratnik, habe ich bedauerlicherweise leider überhaupt kein Talent – da muss ich mich wohl auf schriftliche Vermerke verlassen, die sicherlich auch keinen literarischen Wert darstellen. Doch darum geht es dabei auch nicht!
In eigenen Worten jedoch die Empfindungen eines Erlebnisses festzuhalten, egal wie profan oder tiefgehend, hilft uns allen dabei ein bewussteres und erfüllteres Leben zu führen, im Einklang mit den eigenen Hoffnungen und Wünschen. Ich hoffe, Marjan Fratniks Tagebücher werden noch viele weitere Leser dazu anstoßen sich die Zeit zu nehmen, das eigene Erleben des Hobbys für sich selbst und vielleicht auch die Nachwelt aufzuzeichnen. Viel Spaß mit den Tagebüchern!
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