Gegen Ende September ergreift mich bereits Panik. Es schnürt mir den Atem, mein Puls rast und mein klarer Blick verschwimmt. Noch zwei, drei Wochenenden und die siebenmonatige Forellensaison an unseren heimischen Flüssen geht zu Ende. Failing to plan, is planning to fail – wie bereits Winston Churchill sagte.
Um die kommenden fünf Monate nicht einzig über den Bindestock gebeugt zu verbringen, erstelle ich bereits frühzeitig eine Liste an Aktivitäten und Zielen, die mir die lange Wartezeit bis Mitte März verkürzen sollen. Während der in Fischereiclubs eingebundene Fliegenfischer unter Beachtung des Watverbots, noch leicht bis ans Ende des Jahres und darüber hinaus der Pirsch auf Äschen nachgehen kann, wird der Rahmen des Möglichen für den Gastkartenfischer bedenklich eng.
Seit dem letzten Jahr zieht es mich Ende Oktober für einige Tage in die Flensburger Förde zum Meerforellenfischen. Durch meine UK Prägung assoziierte ich Meerforellenfischen immer mit nachtaktiven Tätigkeiten, die man an zumeist relativ großen ins Meer mündenden Flüssen ausübte. Die Küstenfischerei in England gilt in erster Linie den Wolfsbarschen (sea bass) und der Meeräsche (mullet) und nur ganz selten stiess ich auf Artikel oder andere Informationen zum Meerforellenfischen in Mündungsgebieten.
Nun sitze ich aber in einer Ferienwohnung mit Blick aufs gegenüberliegende Dänemark, während draussen der Wind heult und das relativ flache Wasser der ‘dänischen Südsee’ aufpeitscht. Und in einem dieser Momente wurde mir bewusst, weshalb es mich wie magnetisch angezogen hierher treibt. Die Ostsee – zumindest hier in der Flensburger Förde – ähnelt den großen englischen Reservoirs oder schottischen Lochs die ich besuchte. Denn beim Blick hinüber auf die Küste Dänemarks, will sich kein Gefühl von den unendlichen Weiten der Meere einstellen. Im Vergleich zu den meterhohen Wellen, die ich bei vergleichbaren Windgeschwindigkeiten an der englischen Nordseeküste erblicken durfte, macht sich der Wellengang hier nicht bedrohlicher aus, als die von heftigsten Böen durchrüttelten, relativ steil abfallenden Talsperren in den englischen Midlands. Und weitere Ähnlichkeiten zeigen sich.
An diesen Tagen wird mir wieder klar, wie sehr ich dem Fliegenfischen auf Bach- und Regenbogenforellen vom Ufer aus in Seen behaftet bin. Denn das Meerforellenfischen besitzt in seinen Abläufen unübersehbare Ähnlichkeiten mit dem Fliegenfischen, wie es mich vor einiger Zeit in den Bann zog und bis vor zwei Jahren die bestimmende Art meiner fischereilichen Tätigkeit war.
Bis Hüfthöhe im Wasser zu stehen; das rhythmische, den Harndrang unterstützenden Planschen tausender Wellen am Unterleib zu verspüren; der etwas größere Kraftaufwand beim Werfen der Schnur, auch wenn wie Meerforellen Experte Achim Stahl betont, Weitwürfe zum Erfolgserlebnis nicht unbedingt nötig sind; die sich ständig wiederholende Abfolge in der Köderführung – laaaaaanger Zuuuuug, Zuuuuug, Zuuuuug – STOPP – kurzes ziehen, ziehen, ziehen, ziehen – STOPP; jeder entwickelt dabei seinen eigenen Rhythmus. Den Blick inmitten Millionen kleiner Wellen auf die Schnurspitze gerichtet, von der beim raschen Einholen der Fliegenschnur schillernde Wasserperlen tropfen, lässt den Fliegenfischer an der Ostsee rasch in eine Trance verfallen, die – so sagt man – alle tausend Würfe unterbrochen wird.
Im Oktober 2011 fuhr ich das erste Mal an die Flensburger Förde. Aufmerksam auf mein Ziel Bockholmwik – neben Langballigau, Holnis und Westerholz das bekannteste Revier für die Fliegenfischerei auf Meerforelle in der Region – wurde ich auf der mittlerweile etwas veraltet wirkenden, aber mit einer Reichhaltigkeit an Informationen ausgestatteten Homepage der Fliegenfischerschule Mittelweser. Davon angeregt, reservierte ich im September eine kleine Ferienwohnung für die Zeit um Allerheiligen. Ich wollte mich für einige Tage, eingehüllt in mehreren Lagen Bekleidung wie ein Michelinmännchen fühlen. Mich an die nahegelegenen Strände auf zu machen und für mich selbst festzustellen, was erwachsene Männer und Frauen dazu veranlasst, mit feuchten Augen den Blick sehnsüchtig in die Ferne gerichtet, in sich gekehrt und nach Worten ringend, die Faszination Meerforellen beschreiben zu versuchen.
Die Meerforelle wird gerne als der Fische der tausend Würfe bezeichnet. Kein Wunder, den der Anblick der wenn auch nicht unendlich erscheinenden Ostsee, verursacht Kopfkratzen. An welcher Stelle platziere ich meinen Streamer? Das rare Erlebnis eines Meerforellenbisses liegt wohl am ehesten in der Abwesenheit der Fische zu finden, als im wählerischen Fressverhalten. Natürlich gibt es beliebtere Standorte als andere – Tang- und Muschelfelder – doch letztendlich gilt: Entweder sind die Schwärme da, oder eben nicht.
Am Strand angekommen, strippe ich nun mehrere Meter Schnur von der Rolle, um den an das Vorfach geknüpften Magnus, so weit als mir möglich in Richtung Dänemark zu werfen. In Aufregung vergaß ich den buschigen Streamer zu nässen, um dessen Abtauchen zu beschleunigen. Zweiter Wurf also. Und obwohl ich die Fliege mit reichlich Speichel versehen hatte, trieb diese nach der Landung noch immer an der Oberfläche. Noch ehe ich aber den Magnus mit scharfem Zug unter Wasser befördern konnte, schob sich ein weit geöffnetes Maul aus dem Meer und umschlang meinen ‘trockenen’ Streamer. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich es nicht für möglich halten. Meine Beobachtung von Meerforellen in den nächsten Tagen, die mit ihrer Rückenflosse die Oberfläche durchbrachen und sich somit zur Schau stellten, lässt mich vermuten das der Verzehr von oberflächennaher Nahrung weniger selten ist als ich dachte.
Das Feuerwerk an Akrobatik nach dem Haken des Fisches, liess mich nur noch staunen und den Griff meiner Rute umklammern. Sprung auf Sprung folgte meinem Bemühen, den wahrlich nicht besonders großen aber weit über seine Gewichtsklasse kämpfenden Fisch in Richtung meines Keschers zu bewegen. Als unter dem Nachlassen der Spannung in der Schnur, nach einem weiteren zornigen Sprung, mir mein Streamer entgegen geflogen kam, war es um mich geschehen. Der nächste Meerforellensüchtige reihte sich somit ins Glied.
Dass ich in den nächsten Stunden noch drei weitere Meerforellen haken und im Drill verlieren sollte, erwies sich letztendlich als Segen, da ich doch tatsächlich im wenig gut beschilderten ‘Schongebiet (01.10. – 31.12)’ meinen Streamer auswarf. Erst als ich an eine Bacheinmündung gelangte, wurde ich auf diesen Hinweis aufmerksam. Meine Aufregung der vergangenen Stunden ob der zahlreichen Bisse sank rasch – doch das Suchtgift Meerforelle zeigte Wirkung. Dieses Verlangen wurde in den nächsten Tage, durch den Verlust zweier weiterer Fisch – diesmal weit entfernt von Schongebieten – verstärkt.
FAST FORWARD ENDE OKTOBER 2012
Ausreichend Abwechslung während des Jahres unterdrückte diese Infektion, doch die Reisevorbereitungen im September brachten das Begehren nach einer Meerforelle am Haken wieder an den Tag. Schliesslich war es in der letzten Oktoberwoche wieder so weit. Bestückt mit Watstock und Schnurkorb, wanderte ich den steinigen Strand entlang. Wiederum ein Magnus der Größe 8 an das Vorfach geknüpft, wollte ich in diesem Jahr vollenden, wovon ich im letzten Jahr bloss einen Vorgeschmack erhielt.
Meerforellenexperte und Glücksburger Tackleshop Besitzer Karl Mayer bestätigte, was ich bislang von der Meerforellenfischerei annahm. Beim Reservoir-Fishing angesammeltes Wissen und Erfahrung ist auf die Fischerei an der Ostsee übertragbar. Da die Meerforelle eine scheue Kreatur ist, beschliesse ich an den ersten beiden Tagen, bei der spiegelglatten Wasseroberfläche am von dichtem Wald gesäumten Strand, eine Intermediate Schnur zum Einsatz zu bringen. Auch wenn man im relativ seichten Wasser (1-3 m) mit einer Schwimmschnur sein Ausreichen findet, versuche ich in dieser Situation, die von der eingeholten Schnur ausgehende Wasserverdrängung im wellenfreien Wasser dadurch zu vermeiden. Leichte bis mittlere Kräuselung des Wasser unterstützt uns dabei, um die von unserer Schnur ausgehende Bewegung vor dem scharfen Instinkt der Meerforelle so gut wie möglich zu verbergen.
Die automatisierten Bewegungsabläufe und die Gleichförmigkeit der Umgebung – ein Kilometer Wasser vor uns, mehrere Kilometer links und rechts – erschweren manchmal die abverlangte Konzentration aufrecht zu erhalten. Speziell im Herbst gilt es regelrecht nach den Schwärmen zu suchen. Um möglichst konzentriert und effizient das vor mir liegende Wasser zu befischen, richte ich meine Würfe auf einen imaginären ausgebreiteten Fächer aus. Systematisch werfe ich die mentalen Ankerpunkte an. Und stellt sich nach diesen 25 – 30 Würfen kein Biss ein, ist es getrost an der Zeit einige hundert Meter weiter zu gehen und die Suche erneut zu beginnen.
Meerforellenfischen ist harte Arbeit. Insbesondere bei auflandigem Wind wird die Geduld auf die Probe gestellt, wenn der Distanzwurf von einer Böe ergriffen und mehrere Meter zurück befördert wird. Auch in dieser Situation schafft eine Intermediate Schnur Abhilfe. Unterstützt doch das schlanke Profil der Leine ungemein gegen den Wind anzukommen. Außerdem verlangt das permanente und insbesondere im Herbst und Winter, recht schnelle zurückstrippen der Schnur, von FischerInnen auf Meerforellen doch ein wenig Kondition ab. Ungeachtet des vielleicht bereits schmerzenden Wurfarms unterlasse ich es nie, den Streamer am weit nach hinten ausgestreckten Arm so nahe ans Ufer heranzuführen wie nur möglich. Diese Zone erweist sich als die letzte Chance für eine unentschlossene Forelle, die den Streamer bereits seit Dutzenden Metern verfolgt doch noch zu packen, bevor die Fisch-/ Garnelen-/ was auch immer Imitation sich für immer aus der Reichweite der Jägerin begibt.
Im letzten Jahr noch drehte eine meinen Streamer verfolgende Meerforelle erst zwei Meter vor mir ab. Der heftige Schwall den der Fisch unmittelbar vor mir hinterliess, liess mich beinahe aus der Wathose fahren. Ähnlichen Schrecken verursachte mein einziger Fang während des diesjährigen vier Tage Urlaubs – gefühlte tausend Würfe später – der sich ebenso im Uferbereich aus dem knietiefen Wasser löste. Tosend schob sich ein ‘silberner Barren’ mit entblößtem Rücken mehrere Meter mit Vehemenz auf den seitlich an mir vorbeigeführten Streamer. Der Angriff auf meinen Köder war blitzschnell und spektakulär. Schlagartig – furios – chaotisch: anders lässt sich die Attacke nicht beschreiben.
Im Drill stelle ich gerne die Belastungsprobe meiner Ausrüstung auf die Probe. Schließlich weiß ich auch nicht ob mein Gegenüber sich vielleicht bereits der Laichverfärbung unterzogen hat. Einem Drill kann ich sehr viel abgewinnen, zeige aber einer 45cm Meerforelle am 0.25 Vorfach an der 5/6 Rute schnell wer hier Herr ist. Bereits so manches Mal musste ich den Drill von Forellen beobachten, die des Fischers Rute ähnlich stark krümmten, wie die Tangbüschel die ich unweigerlich aus der Ostsee zog. Es gibt keinen Grund den Stress des Fisches ob des gefangen werden, zum eigenen Vergnügen zu verlängern.
Somit konnte ich nach kurzem Kampf mit einigen akrobatischen Sprüngen, diese wunderbare Meerforelle über den Kescher führen. Zufrieden ging mein letzter Tag für dieses Jahr an der Flensburger Förde zu Ende. Im nächsten Jahr komme ich bestimmt wieder!
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