© Amy Frost
Mai 2015 in der Nähe Harrogates in North Yorkshire. Einem wohlhabenden Städtchen im Norden Englands, beliebt bei der englischen und europäischen Aristokratie bis anfangs des 20. Jahrhunderts. Der alte Glanz der Kurstadt ist ungebrochen, auch wenn mittlerweile die Einkaufsstraßen des Kurstädtchens vermehrt von WAGS (Wives and Girlfriends) von Fußballern (Leeds United, Middlesbrough FC, Bradford City) bevölkert werden. Doch weder die eleganten georgianischen und viktorianischen Bauten, noch die heilende Kraft der Quellen die Harrogate zu seinem Ruhm verschafften, zogen mich an. Der nahe gelegene River Wharfe und einer seiner berühmtesten Angler waren der Anstoß meiner Reise.
Im letzten Jahr hatte ich das Glück, projektbezogen die Bekanntschaft mit Oliver Edwards zu machen. Einem der innovativsten Fliegenbinder der letzten Jahrzehnte. Einem dem das Fliegenbinden nicht einem freudenspendendem Selbstzweck diente, sondern um Lösungen herbeizuführen für Herausforderungen, die in den populären Büchern zu Fliegenbinden & -fischen seiner Zeit keine Beachtung fanden. Die führenden Werke damals waren oder wurden von Autoren geschrieben, deren Erfahrungen an den Kreideflüssen Südenglands für den Angler der nordenglischen Gebirgs- und Kalksteinflüsse (Wharfe, Eden, Ribble, Hoden, Ure) mindestens genauso weit entfernt waren, wie Yorkshire Pudding von Palatschinken. Die Zutaten mögen sich ähneln – das Endergebnis könnte aber nicht unterschiedlicher sein.
Als Oliver Edwards in den 50er Jahren erstmals eine Fliegenrute zur Hand nahm, sah die Welt noch ganz anders aus. In seiner Heimat North Yorkshire kaufte man Fliegen beim Gemischtwarenhändler. Dass Sortiment bestand aus 20-30 Spider Mustern. War ein oder mehrere des traditionell im 3-er Team gefischten Spiders Set-Up erfolglos, tauschte man einen für einen anderen aus. Der Trockenfliege wurde so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt. Man fühlte sich der Tradition verpflichtetet und das Fischen mit der Nassfliege, egal ob stromauf oder stromab, galt als die erfolgsversprechendste, für den besonderen Charakter der heimischen Flüsse optimierte, Form des Fangs von Forelle & Äsche.
Beim Besuch einer örtlichen Bibliothek stieß er auf Frank Sawyers ‘Keeper of the stream’ und die Frage ob Sawyers PTN und seine Technik des ‘Induced Take’ ähnlichen Erfolg am strukturreichen River Wharfe zeigen würde, drängte sich förmlich auf. Dem großen Vorbild gleich getan, begann Oliver Edwards sich für den Mageninhalt seiner Beute zu interessieren – den Verzehr überließ er hauptsächlich Familie und Freunden. Die wohl interessanteste Entdeckung die er dabei machte: die bekanntesten Baetiden Vertreter die Sawyer mit seiner PTN imitierte – Large Dark Olive, Medium Olive, Iron Blue, Pale Watery – fanden sich auch in den Mägen der Obduktionen die er an Salmoniden durchführte. Was die Nymphen mit den breiten abgeflachten Körpern und den kräftigen Beinen darstellen sollten, darüber konnte Oliver Edwards nur rätseln.
Ohne Furcht und ohne Scheu ob der unzähligen lateinischen Begriffe, stürmte der Handwerkersohn von nun an die Bibliotheken auf der Suche nach Biologiebüchern, um seine Obduktionsfunde fortan zuordnen zu können. Denn Heptageniidae Nymphen – March Brown, Yellow May, Large Brook Duns und Olive Uprights – machten einen sehr großen Teil der Nahrung von Fischen in seiner Heimat aus. Wie auch Köcherfliegenlarven für die trotz intensivster Recherche keine Bindevorlagen gefunden werden konnten. Warum auch? Waren diese doch allesamt Insekten, die für Sawyer am Avon eine untergeordnete Rolle spielten und in der Literatur aus dem Süden keine Beachtung fanden. Also mussten diese Muster erst entworfen werfen.
Fortan wurden also Forellen & Äschen immer naturgetreuer wirkende, semi-realistische Imitationen von Steinklammereren, Köcherfliegenlarven und Steinfliegennymphen vorgesetzt. Schon bald hagelte es auch Kritik aus den eigenen Reihen. Für Sammler und nicht für Angler seien seine Kreationen erdacht. Doch die Erfolge der Muster am Wasser, konnten diesen Vorwurf schnell im Keim ersticken. Und so blieb es nicht bei Vorführungen auf Fliegenfischermessen. Die Einberufung in die englische Nationalmannschaft an Fliegenfischern, um sein Land bei Meisterschaften zu vertreten war die logische Konsequenz seiner taktischen Finesse.
Von Natur aus weder scheu noch zurückhaltend, ließ er jeden teilhaben an seinen Entdeckungen und seinem Wissen. Ob auf Messen oder in den angesehensten Zeitschriften des Landes. Dass dabei auch gelegentlich einige Federn gerupft wurden, dafür macht Oliver Edwards seinen direkten, umumschweifenden Yorkshire Charakter verantwortlich. Ich schreibe es seinem messerscharfen Verstand und seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu, Dinge ins rechte Licht zu rücken und das Kind beim Namen zu nennen, wenn die Situation es erfordert. Auf seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft wurde ich im Zuge meiner Projektrecherche vorbereitet und so war sich Oliver Edwards wirklich nicht zu schade, mir beratend bei einem Projekt beizustehen. Und trotz seines fortgeschrittenen Alters und der schmerzenden Knochen die sechzig Jahre im Wasser so nach sich ziehen, war es für ihn nicht abwegig, mich auf meiner Rückreise vom River Annan zu treffen, um mir die Möglichkeit zu geben, auch einmal im River Wharfe für ein paar Stunden zu fischen.
Also hielt ich Ausschau nach einer Pappelreihe an einer leicht zu übersehenden Wegabfahrt in der Nähe Harrogates. Weniger leicht zu übersehen würde der Morris Minor Traveller am Straßenrand sein, der auf mich wartete. Seinem für die engen Landwege wie geschaffenen Lieferwagen aus den 60er Jahren aufgebaut auf einem Holzrahmen, den er die letzten 35 Jahre fährt – aus Nostalgie wie er mir mitteilte. Aus dem bereits eine Hand aus dem Fenster ragte, die in kreisförmiger Bewegung wie ich sie zuletzt beim Bundesheer sah mir signalisierte, unseren Wagen nicht anzuhalten, sondern umgehend zu folgen. Bis wir an ein Feld gerieten an dem sich meine Frau Amy bald nach Harrogate verabschiedete, während Oliver Edwards mir eine Führung seines Gewässers gab. Drei Ruten in der Hand – eine mit klassischem Spider Nassfliegen Set-up, eine fürs Nymphenfischen und eine für die Trockenfliegenfischerei – die nach und nach an bestimmten Stellen im Gebüsch abgelegt wurden, um griffbereit zu sein für sich verändernde Strukturen und Bedingungen.
Die Selbstverständlichkeit mit der er nicht nur seine Muster, sondern auch die an die Gewässerabschnitte am Besten geeignete Taktik wechselte, war verblüffend. Erfahrung und Wissen zu seinem Stammgewässer spielen dabei sicherlich eine wichtige Rolle. Es liegt aber bestimmt auch einem Forscher- und Entdeckergeist zu Grunde, seinen Erfolg in der Anpassung oder auch Erneuerung der eigenen Taktik zu suchen. Dass dabei auch vor modernen Praktiken wie Czech Nymphing und Klink & Dink nicht Halt gemacht wurde, zeugt von einem offenen Geist auf den man in England ohnehin vergleichsweise oft stößt.
In regem Email Austausch vor unserem Treffen, unterließ es Oliver Edwards nicht, mich auf die mürrischen Wharfe Forellen hinzuweisen. Zum Großteil wilde Fische ohne nötigen Stützbesatz, die durch das Nahrungsreichtum nicht sofort auf jede Goldkopfnymphe einsteigen, die an ihnen vorbeitreibt. Meine Erwartungen auf ein vernünftiges Maß gedrosselt, genoss ich es ohnehin, mit Oliver ‘in seinem Büro’ auf seinen Plastikstühlen unter dichten Büschen zu sitzen. Den unterhaltsamen Erzählungen zu lauschen, mir von seinen Bindeauftritten in Deutschland erzählen zu lassen. Die erste Stunde im Wasser verbrachte ich damit, mit einsatzbereiter Kamera in seinem Windschatten zu stehen. Und die Mürrischkeit der Fische sollte sich wirklich bewahrheiten, während der kalte Nordwind bei strahlendem Sonnenschein die Wasseroberfläche kräuselte.
Da mein Besuch zeitlich beschränkt war und wir noch eine dreistündige Autofahrt zu unserem englischen Zuhause vor sich hatten, beschlossen wir, nach der gemeinsamen Speed-Erkundungstour uns jeweils einen anderen Abschnitt vorzunehmen. Wer auch immer zuerst Erfolg haben werde, soll den anderen darüber informieren. Dass ich der Erste von uns beiden sein sollte, der den Anrufbutton seines Handys drücken würde, hatte ich mir nicht ausgemalt. Doch nach nur wenigen Würfen in einen vielversprechend erscheinenden Lauf, tauchte meine Trockenfliege unter und eine sehr schöne Wharfe Forelle hatte sich an meiner leicht beschwerten Nymphe vergriffen.
Zarte Ringe an der Oberfläche veranlassten mich dann dazu, die Nymphe abzunehmen und die Klinkhammer gegen einen Olive Upright Emerger einzutauschen. Die ersten Bisse danach konnte ich allesamt nicht verwandeln und vermutete kleine Äschen hinter den Attacken, deren blitzschnelles Zupacken und wieder Ausspucken meine Reaktionsfähigkeit überforderte. Der nächste Biss aber erschien wie aus dem Bilderbuch, als eine herrliche Forelle zügig aus der Tiefe aufstieg, meine Imitation beäugelte und nach ihr schnappte bevor diese über einem Knick im Flussbett verschwinden konnte. Dass dieser Fisch letztlich ausstieg, bevor ich ihn in meinen Händen halten konnte, war bedauernswert.
Die Zeit der Abreise war gekommen. Da es Oliver Edwards bis zu unserem Abschied nicht besser erging und er bis dahin auch nur eine Forelle vorweisen konnte, hielt mein Bedenken ob der mageren Ausbeute in Grenzen. Dass das Abfallen des Windes und der leichte Anstieg der Temperatur mit Beginn der Abendstunden das Fischen spürbar verbesserte, freute mich für Oliver Edwards. Zu gerne hätte er mir seinen Hausfluß, den River Wharfe, in besserer Laune vorgestellt.
“Hi Tankred,
I’m not sure if you’ll receive this now, or when you’re back home. Anyway I trust your journey South to your In-Laws went without a hitch.
It’s a pity that our fish were so unwilling, and also that damned wind didn’t help…anyway you did okay on a typical tough few hours, for a ‘first timer’ on our stretch.
…So my day (evening really) was 7 hooked… 5 landed….and all (except the first one when you were there) came between 7 and 9pm….not a good day for our water…it should be twice that number….Ah well that’s fishing.
Chat later……O.”
Im englischen Magazin Flyfishing & Flytying habe ich einmal die Bemerkung gelesen, dass jeder Fliegenbinder der für sich den Anspruch erhebt in der Kunst geübt zu sein, eine von Oliver Edwards Heptageniidae Nymphen binden können sollte. Bis zu dieser Könnensstufe muss ich noch sehr viel üben. Wer sich für die Muster von Oliver Edwards interessiert, dem lege ich sein Meisterwerk aus dem Jahr 1994 ‘Flytying Masterclass’ (dt. ‘Meine Besten Fliegen’) ans Herz, das kürzlich wieder aufgelegt wurde und bei Coch-Y-Bonddu Books zur Zeit sehr günstig zu kaufen ist. Eine Sammlung eigener Kreationen plus eine Handvoll Muster anderer höchst begabter Fliegenbinder wie Hans van Klinken und Roman Moser. Die Druckserie der Zeichnungen dieser Muster verschönert bereits mein Arbeitszimmer.
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Chris Raper says
Hello Tankred,
You lucky man not only do get fish on my home waters but you also get to fish with Mr Edwards himself that must have been a blast for you Mr DJ,
Regards to Amy G&T in the Club House still on me.
All the best Chris
Tankred Rinder says
Hello Chris,
one of the best few hours I had this year. A genuinely friendly and helpful man – truly funny on top of that. I felt honoured and privileged being invited to join him on his club water. Unforgettable. Thanks for the invite, Amy and I will make it happen and come and visit you!
Best wishes, Tankred