Letztes Wochenende, Abschluss der Forellensaison. Einige Regentage während der Wochenmitte ließen den Wasserpegel um rund 15cm ansteigen. Die Agger führte noch immer sehr klares Wasser, doch die Bedingungen waren insgesamt viel besser als in den Wochen zuvor. So verabredete ich mich mit meinem Freund Fabian und wollte ihm mein neues Hausgewässer zeigen. Ein Fluss der mir in den wenigen Wochen der Vereinsmitgliedschaft sehr viel Freude bereitete und den einen oder anderen tollen Fisch bescherte. Auf die Offenbarung die er an diesem Tag preisgeben würde, waren wir beide – ich noch weniger – nicht so ganz vorbereitet.
In Anlehnung an das Paretoprinzip, eine Faustregel die allen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler bekannt sein dürfte, spricht man davon, dass 20% aller Angler, 80% aller Fische fangen. Ob diese Angler magische Fähigkeiten besitzen, wage ich zu bezweifeln. Was sie aber verinnerlicht haben ist – auch ohne viele Jahre in weiterführenden Bildungsinstitutionen, aber sicherlich nicht ohne ausreichend Zeit am Wasser zu verbringen – , dass 20% Prozent der vor uns liegenden Wasserabschnitte 80% aller Fische beherbergt. Die Frage die sich durch diese Erkenntnis aufdrängt ist natürlich: lasse ich meine Fliegen eigentlich die meiste Zeit durch Wasser treiben, in dem nur in den wenigsten Ausnahmen Fische stehen?
Fliegenfischer, egal ob Neuling oder erfahren, hängen viel zu oft den Erfolg beim Angeln an der Wahl der richtigen Fliege auf. Wenig überraschend auch: ist die ans Vorfach geknüpfte Fliege ja das letzte Glied in einer langen Reihe von Entscheidungen, die darüber entscheiden ob ein Fisch auf unser Angebot einsteigt. Das beste Angebot trifft aber auf wenige Abnehmer, wenn andere Faktoren nicht zusammenspielen, das Produkt in die Nähe des Konsumente zu bringen. Das gilt im Online-Handel, Einkaufstrassen und Gewässern. Und der Abnehmer hält sich zumeist dort auf, wo Infrastruktur die besten Voraussetzungen schafft, mit wenig Aufwand, Schutz vor Aggression und erträglichen Lebensbedingungen, seine Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Und idealerweise hat man das ganze Angebot für sich alleine, oder sichert sich zumindest die besten Plätze. Die Überlegung, dass die besten Forellen – spreche man ihnen menschliche Eigenschaften zu – mit Liegepritschen Handtuchauflegern und Geheimniskrämern des Angelsports viel gemeinsam haben, lässt mich kurz erschaudern.
Die Wahl der richtigen Fliege ist sicherlich nicht sekundär. Sieht man sich aber Mageninhaltsaufnahmen an, wird man feststellen, dass nicht selten eine Vielzahl an unterschiedlichen Insekten und anderen Wasserbewohnern, gleichzeitig dass Bedürfnis nach Nahrung erfüllen. Wer Wochenende für Wochenende nur Wienerschitzel isst, wird zur Abwechslung zum Schweinsbraten von der Oma auch nicht nein sagen. Ob Schopf, Karree oder Bauch gleich gerne gegessen wird, ist dann wohl abhängig von Zubereitung und Hunger. Und von der Schlachterplatte bleibt ja auch selten was übrig. Und egal wie voll wir sind, eine kleine – aber wirklich nur kleine – Nachspeise geht auch noch, wenn sie uns aufgetischt wird. Bevor man sich also Gedanken macht, mit welcher Fliege man das unwiderstehliche Angebot ausspricht, gilt es zu verstehen ob dort wo ich die Fliege präsentiere, überhaupt die Bedingungen herrschen um die fundamentalen Bedürfnisse von Fischen zu erfüllen. Denn nur eine kleine Fläche an Wasser erfüllt diese Grundbedürfnisse.
Schutz vor Strömung
Unterstand und Zuflucht vor starker Strömung ist der erste und wichtigste Anspruch den Forellen an ihren Standort stellen. Auch wenn ihre Körperform sie bestens ausstattet, sich im reissendem Wasser fortzubewegen, wird man sie in strömungsberuhigten Zonen finden. Was nicht heisst, dass sie nur dort anzutreffen sind. Schließlich bringt die Strömung Nahrung zu ihnen. Also halten sich sich oft am Rand von flott fliessendem, zuweilen reissendem Wasser auf. Strömung ist auch dort am schwächsten, wo Hindernisse und Gegenstände – Steine, Kanten, Wurzeln – einen Schutzraum bilden. Nicht immer sind strömungsentschleunigte Stellen offensichtlich. Denn je rauher der Flussgrund, desto mehr reibt sich das Wasser an Gegenständen am Boden. So ist die Fließgeschwindkeit dort auf einer Säule die mehrere Zentimeter vom Grund aufragen kann, deutlich langsamer als an der Oberfläche. Unterwasser Turbulenzen an dicht aneinander gereihten Steinen erzeugen ruhige Kissen zwischen den Hindernissen, sodass selbst an oberflächlich betrachtet, schnellem Wasser am Flussgrund mit Fischen zu rechnen ist.
Schutz vor Räubern
Ruhiges Wasser alleine erfüllt aber noch lange nicht das elementare Schutzbedürfnis vor Vögeln, Vier- und Zweibeinern. Und um der Bedrohung von Räubern aus dem Weg zu gehen, suchen Forellen Stellen mit rauher Wasseroberfläche auf. Denn Vögel können nicht durch eine gewellte Oberfläche sehen. Aus dem Grund kann man sich Forellen an Rauschen gut nähern und an glatt und ruhig strömenden Läufen weniger. Der Kontrast zwischen Licht und Schatten – speziell an sonnigen Tagen – spielt auch eine wichtige Rolle bei der Wahl eines Stand- oder Fressplatzes. Vom gleißenden Licht aus fällt es schwer einen klaren Blick in den schattigen Bereich zu werfen. Die Tiefe des Wasser ist die offensichtlichste Schutzzone vor gefräßigen Räubern und im Dunkel eines Pools fühlen sich Forellen besonders geschützt. Aber Wasserpflanzen, ausgespülte Ufer und Wurzeln, Furchen, Mauern, Felsen und Gesteinskanten bilden allesamt ideale Standplätze um sich vor Feinden zu verstecken. In welch scheinbar kleine Lücken sich selbst große Fische zwängen können, werden sicherlich schon viele einmal erlebt haben – meist mit fatalem Ausgang.
Temperatur und Sauerstoff
Die beiden Faktoren sind untrennbar miteinander verbunden. Bei hohen Wassertemperaturen brauchen Fische bis zu viermal soviel Sauerstoff um zu funktionieren. Bei sehr niedrigen Wassertemperaturen hingegen verlangsamt sich der Metabolismus und verzögert die Verdauung aufgenommener Nahrung. Da ihre Aktivität an die von Insekten geknüpft ist, die bei Temperaturen zwischen 8°-10° in die Gänge kommt und zwischen 10°-15° ihren Höhepunkt erlebt, finden Forellen ebenso bei diesen Wassertemperaturen ideale Bedingungen vor. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel – eher im unteren als im oberen Temperaturbereich. Luft-und Wassertemperatur unterstützt somit den Standort von Forellen aufzuspüren. Tiefe Rinnen und Pools während der kälteren Jahreszeit, Bach- und Flußeinläufe, Wehre und unterhalb von Rauschen, wo während Hitzeperioden sauerstoffreiches Wasser anzufinden ist.
Nahrung
Und erst wenn die drei zuvor genannten Bedürfnisse erfüllt sind tritt die Beschaffung von Nahrung in den Vordergrund – lässt gelegentlich aber alle anderen Faktoren in den Hintergrund rücken. Die erste Regel der Forellen bei der Futterbeschaffung gehorchen: die Energiezufuhr der erbeuteten Nahrung, muss den Energieaufwand zur Beschaffung übertreffen. Der Beutefisch wird über mehrere Meter verfolgt, wenn sich der Kalorienschub lohnt. Auf die dicke Sedge, die fette Schnake, den üppigen Käfer bewegt sich auch eine große Forelle zu, bevor sie diese Happen einem kleineren Verwandten überlässt. Besonders wenn Nahrung kurzfristig im Überfluss vorhanden ist, schalten selbst große Forellen manchmal die Furcht vor Räubern aus. Massenschlüpfe sind der beste Beweis dafür. Denn dann gehorchen sie der zweiten Regel bei der Nahrungsbeschaffung: bei kurzfristigem Nahrungsreichtum der leicht einzusammeln ist, übertrifft der Wunsch nach Protein, den nach Schutz. Es stellt sich natürlich die Frage: werden erst vorsichtige Forellen groß, oder Forellen mit zunehmender Größe vorsichtig? Es ist nämlich auffällig, dass beim Steigen zu beobachtende Großforellen meist an Luxusstandplätzen zu finden sind, die alle bisher genannten Eigenschaften erfüllen. Schutz vor Strömung und Räubern, ausreichend Sauerstoff- und Nahrungszufuhr!
Hoheitsgebiet
Nobelstandorte mit ausreichend Schutz und guter Nahrungsversorgung werden von Einzelgängern eingenommen. Neugierige Eindringlinge werden dort verscheucht, Nahrung ist im Schutz durch Hindernisse leicht beizukommen, Ruhezonen und Rückzugsgebiete sind leicht erreichbar. Beim Lesen von Gewässern gilt also Standplätzen dieser Art unsere ganze Aufmerksamkeit, möchten wir mit den besten Fischen in Kontakt kommen. Territorialverhalten und Futterneid sorgen zugleich dafür, dass an den vielversprechendsten Stellen, oft mit den besten Forellen Kontakt gemacht wird. Aus selbem Grund trifft man meist mit den ersten Würfen bereits auf die Bewohner dieser Luxusstandplätze. Nahrung wird von dort aus als erstes wahr genommen und auch vor Fressfeinden verteidigt. Interessanterweise verschwindet Territorialverhalten im Stillwasser und Fische aller Größen, wenn zwar nicht im Verbund, folgen den sich ständig von Wind ändernden Strömungen.
Fabians Fang letztes Wochenende ließ mich nicht mehr los. Dicht am Ufer, knapp vorbei an einer ins Wasser ragenden Wurzel, platzierte er seine Nymphe genau dort, wo dieses Prachttier alle Voraussetzungen vorfand, zu dieser stattlichen Größe heran zu wachsen. Da mir trotz einiger sehr schöner Fänge in diesem Jahr, der Fang solch einer Ausnahmeforelle nicht gelang begann ich zu grübeln. Natürlich wäre es leicht gewesen mich darauf auszureden, dass ich ihm an der besten Stelle den Vortritt ließ, dass ihm seine dreißig Zentimeter größere Körperstatur beim Euronymphen größere Reichweite verleiht, ja sogar dass seine 11ft Rute gegenüber meiner 10ft ihm in diesem Moment, an dieser besonderen Stelle den besonderen Vorteil verlieh.
Dass ich meine Fliegen häufig nicht an die richtige Stelle werfe, dass mir die Botschaft die mir das Flussbild vermitteln möchte, nicht bei mir ankommt ist mir aber mindestens genauso eine Überlegung wert. Also nichts wie ran ans Bücherregal und ‘Reading Trout Water, Stackpole Books, 2010’ von Dave Hughes hervorgekramt. Ein Titel das in diesem Winter neben meinem Lesestuhl einen prominenten Platz einnehmen wird. Auf 300 Seiten wird in diesem außergewöhnlichen Buch, dass sich einzig mit dem Thema Verständnis von Forellenstandplätzen beschäftigt, jede nur denkbare Flussart unter die Lupe genommen. Auf Flussabschnitte und ihre Besonderheiten, sowie die Attraktivität die diese auf Forellen ausüben, oder die Ablehnung die diese hervorrufen, wird detailliert beschriebn in ca. 150 Fotografien eingegangen.
Selbstredend können Bücher, die am Wasser gesammelten Erfahrungen nicht ersetzen. Die Sensibilität für ein Thema zu schärfen, dass schaffen sie aber allemal. Gerade jetzt während der Schonzeit, vielleicht in Kombination mit einem Spaziergang am Wasser, unabgelenkt durch das Verlangen einen Fisch zu fangen. Um die Theorie in die Praxis umzusetzen bleiben uns noch einige Monate – genug um sich durch dreihundert Seiten zu arbeiten. Außer ihr kommt auch in den Genuss der Winterfischerei auf Äschen. Doch die bevorzugen wiederum ganz andere Wasserstrukturen und Standplätze.
Discover more from Forelle & Äsche | Fliegenfischen | Fliegenbinden
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Peter says
Mal wieder ein erstklassiger Bericht!
Danke und weiter so!
Peter
Tankred Rinder says
Danke für das Lob, Peter – gebe mir Mühe auch in Zukunft Deine Erwartungen und Wünsche zu erfüllen.
Tight lines, Tankred
Heribert Hahne says
Den Worten von Dariusz habe ich nichts hinzuzufuegen – ausser, dass ich ein Buch besitze, dessen Titel lautet READING THE WATER. Es ist kein Sach- oder Fachbuch. Es ist ein Buch voller “Stories and Essays of Flyfishing and Life”. Autor ist eine West-Kanadierin mit Namen Mallory Burton (ISBN 1-879628-10-4 [pbk.]). Ein wirklich lesenswertes Buch fuer die winterlichen Abende.
Ansonsten muss ich Dir in allem was Du hier geschrieben hast, beipflichten. ‘Das Wasser lesen’ (nicht ‘lassen’) ist fuer mich seit Anbeginn meines Fliegenfischerdaseins ein wesentlicher Bestandteil meiner Erfolge gewesen. Das predige ich auch jedem jungen Angler – bis heute sind sie mir ausnahmslos dankbar fuer diese Predigt.
Tankred Rinder says
Hallo Heribert,
du scheinst zu wissen, dass ich dem Lesen mindestens genauso verfallen bin wie dem Beiträge erstellen – danke für die Empfehlung. Lese ich Schilderungen früherer Zeiten, gewinne ich den Eindruck, dass Elementarkenntnissen damals sehr, sehr viel mehr Beachtung geschenkt wurde. Technik hat man sich – so mein Eindruck – erst danach beigebracht. Gerne hätte ich mich von Dir einweihen lassen – Amen. LG Tankred
Dariusz says
Hallo Tankred,
ein wirklich toller Artikel und natürlich eine wunderschöne Ausnahme Forelle. Ich bin auch der Meinung , dass das Gewässer lesen der Schlüsselfaktor zum erfolgreichen fischen ist.
Gruß aus Berg.Gladbach
Dariusz
Tankred Rinder says
Danke für das Lob Dariusz,
du hast 100% recht. Ein wirklich komplexes Thema, dass man sich mit viel Beobachtung und Zeit erarbeiten muss. Aber dass macht Fliegenfischen halt erst so richtig spannend. Grüße aus Köln, Tankred