(Foto © Scott Butner) Seit letzter Woche ist es unverkennbar. Denn kräftiger kann der Frühling seine Ankunft nicht verkünden. Spätestens jetzt ist es Zeit, Fliegenrute und Rolle wieder fit zu machen. Fischereilich mögen die ersten Wochen der Forellensaison nicht zwingend die besten sein. Doch wenig ist sinnesbetörender als das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf. Mir ist kein Fliegenfischer bekannt, der den Einzug des Frühlings anregender beschreibt als Thomas McGuane in ‘Unendliche Stille’. Doch lies selbst…
von Thomas McGuane aus Unendliche Stille
Im Frühling kommt warmer Wind nach Montana, doch bevor etwas grünt, nisten bereits einige Vögel und beginnen sogar schon zu brüten, Eulen und Winterammern zum Beispiel. Der kleine, bodendeckende Phlox zeigt seine keuschen weißen Blüten; die Weihe verliert langsam ihr Winterweiß; Rotschwanzbussarde tragen Zeug aller Art zusammen – auch den orangeroten Zwirn, mit dem wir Heuballen binden –, um ihre unordentlichen Nester in den Balsampappeln am Bach zu bauen. Der Bach selbst ist an manchen Tagen schon klar und die Forellenschatten fallen aufs Kieselbett, an anderen Tagen ist er milchig vom Hochwasser. Auf den Klippen zerren Murmeltiere das Horstgras ab und schleppen es in ihre Löcher, um den Bau zu polstern. Alle Vögel sind jetzt ausgesprochen laut und singen ohne Zartgefühl; aber die Goldspechte, die von den Wipfeln der höchsten und kahlsten Pappeln kreischen, sind wohl am dreistesten, Purpurstärlinge dagegen die Fleißigsten in der grellen Sonne, die ihr Gefieder schillern lässt. Auf der Sommerweide nördlich unseres Hauses rasten Krickenten in den wassergefüllten Büffelsuhlen vergangener Zeiten; Elstern stürzen sich vom Himmel und fallen über Wacholderbüsche her. Die Wiesenlerche steht auf den Steinen der Indianergrabstätte östlich der Charlie-Wild-Höhe und singt sich das Herz aus dem Leib.
Beim Wandern stoße ich oft auf Gruppen äsender Maultierhirsche, als wäre ich auf der Pirsch, aber am Übergang vom Winter zum Frühling sind die Hirsche so an ihre körperlichen Grenzen gekommen, dass sie nicht allzu wachsam sind. Wenn der Schatten einer Kornweihe über sie hinweggleitet, springen sie nicht davon, wie sie es später tun, und die Ohren hängen an ihnen runter wie an kranken Kälbern. Wenn sie fliehen, lässt das Rudern ihrer Beine den Rumpf nicht so vor Kraft zittern wie in anderen Monaten.
Die Beifußbutterblume ist das Leuchtendste ringsum und so früh dran, dass sie dem zurückweichenden Schnee wie gelber Nebel folgt. Sie ist die erste Blume, die der Grizzly sieht, wenn er aus dem Winterschlaf erwacht. Als Verwandte des Gefährlichen Hahnenfußes, einer giftigen, Entzündungen und Blasen verursachenden Pflanze, ist die Beifußbutterblume wichtige Frühlingsnahrung des Felsengebirgshuhns. Ich stand in einem Feld dieser herrlichen Blume, spürte den Riemen meines Fernglases am Hals und nahm unter dem hohen Gewölbe des Himmels das unentschiedene Scharmützel der Winter- und Frühlingswinde wahr. Im Norden schienen die Crazy Mountains nach Erneuerung zu dürsten und es war gut, sich darauf zu besinnen, dass ihre wie Abraumhalden wirkenden Hänge sich bald in etwas verwandeln würden, von dem ich immer denke, ich könne es mir vorstellen, was mir aber dann doch nie gelingt.
Zwischen den Pappeln unterhalb des Hauses steht ein gekrümmter Riese, dessen auffälliger Wipfel so gespreizt ist, als wolle er aufgeben. In einer Gabel seiner oberen Äste hat ein großer Virginia-Uhu ein einzelnes Küken aufgezogen, und wenn die Sonne herauskommt, ermuntert die Mutter es, sich auf den toten Ast nördlich des Nests zu wagen. Obwohl der Jungvogel fast so groß ist wie sie, verrät ihn seine flaumige Schlaffheit. Er scheint nicht zu wissen, was von ihm erwartet wird, und starrt mich verwundert an, während der Wind ihm einzelne Daunen nimmt und sie zu den mit Wildrosen bewachsenen Hängen trägt. Die Mutter, die mit ihren stechenden gelben Augen herabschaut, sieht aus wie Satans Frau. Wann immer ich sie entdecke, hat sie mich schon lange im Blick. Sie beobachtet mich immer von ihrem Baum herunter, als hege sie einen Plan für mich.
Durch die noch winterwelke Landschaft jagen die Tiere sich wie Schulkinder in der Mittelstufe. Die Eisvögel rufen und die Wiesenlerche singt trällernd und melodiös in den Wind, während sie auf einem Stacheldrahtzaun sitzt. Einige unserer Kälber sind sehr aufgekratzt; andere haben einen buckligen Rücken, lassen die Ohren hängen und an ihren Beinen klebt Durchfall. Die Kühe haben begonnen, sich gegenseitig zu »reiten«, und unsere fünf Bullen brüllen von ihrer abgetrennten Weide südlich der Landstraße. Wegen des langen, kalten Regens haben zwei Kälber Lungenentzündung bekommen. Eins hat hohes Fieber und starrt zu Boden, das andere leidet an Lungenverdichtung und wird nie richtig auf die Beine kommen. »Für sie wäre es genauso gut, wenn sie stirbt«, sagte der Tierarzt. Über der Koppel, auf der die kranken Kälber stehen, jagen sich balzende Rauchschwalben und paaren sich.
Ich sattle ein Pferd, um auf der Suche nach Frühlingsgras über die Weiden zu reiten. In diesem Jahr ist alles spät dran. Wir liegen zwei Wochen hinter der nur fünfundzwanzig Kilometer entfernten Kleinstadt zurück. Ein einjähriger Bock liegt tot bei der ersten Quelle, fast schon verschlungen von Kojoten, die sich auf die Gedärme gestürzt und sich nun mehrere Meter vom Kadaver zurückgezogen haben. Ein Segen für die Kojoten, die so redlich zu diesem Mahl gekommen sind wie die Wölfe von Pennsylvania, die nach der Schlacht von Monongahela die Leichen von Braddocks Soldaten aufgefressen haben. Die Schöpfung registriert alles mit gleichmütigem Blick. Als ich jünger war, waren diese Manifestationen der Grausamkeit des Lebens angenehm frei von Vorahnungen. Inzwischen besitzen sie eine Schwere, die dem kurzen Leben von Insekten ebenso Würde verleiht wie der schrecklichen Schlachthausreise des Viehs und natürlich uns selbst, die wir nicht mehr sind als zwei Handvoll nur vom Schöpfer geliehener Mineralien. Der alte Mann im Schaukelstuhl, den ich auf meiner Fahrt in die Stadt auf seiner Veranda sitzen sehe, starrt in eine ungeheure Ferne. So gewiss, wie Hauseigentümer stolz auf ihre Grundstücke am Strand, am See oder am Golfplatz sind, so gewiss schauen wir doch alle in den Abgrund, der vor uns liegt; und manche – der Mann im Schaukelstuhl etwa – scheinen in diesem Anblick vollkommen zu versinken.
Die obsessive Geschäftigkeit, über die Thoreau klagte, wurzelt in Angst; in Angst vor der Sterblichkeit, vor dem Schmerz des Verlusts und der Trennung. Nur in der Betrachtung der Natur können wir jenen Blick auf die Ewigkeit zurückgewinnen, der unsere Vorfahren getröstet hat. Die Überreste des jungen Bocks an der Quelle erklingen in den Klippen über unserem Haus wieder, in den Rufen der jungen Kojoten, die unter den Sternen des Weltalls mit ihren brandneuen Stimmen die Zukunft erproben.
Die Flüsse führten länger Hochwasser, als ich mich je erinnern konnte. Befischbare Gewässer zu finden, war nicht einfach. Ich fuhr nach West Yellowstone, eine Region, die hoch oben in mehreren Quellgebieten liegt. Jedes Jahr preisen die Fliegenfischerläden dort eine neue Fliege an, die Schneidertage für alle Zeit der Vergangenheit angehören lässt. Dieses Jahr war es ein winziges Dingsbums, das einem kleinen, sich windenden Wurm ähnelte. Als ich ein paar davon kaufte, betrachtete ein anderer Angler – ein Heubauer in buntem T-Shirt, auf dem »Ablaichen bis zum Exitus« stand – sie nur in meiner offenen Hand und wiegte den Kopf hin und her, während er an die kollektiven Forellenselbstmorde dachte, die das harmlose kleine Ding bewirkt hatte. Vielleicht wunderte er sich aber auch nur darüber, wie jemand auf diese Fliege reinfallen konnte.
Ich fuhr in den Yellowstone Park, Richtung Firehole River. Die Touristen hielten überall und blieben mitten auf der Straße mit für Amerikaner so untypischer Unangepasstheit stehen, dass es wohltuend nervte. Ich parkte auf einem Hochufer über dem Fluss, montierte meine Angel und begab mich an grasenden Büffeln vorbei an das herrliche Gewässer. Dampf von heißen Quellen, Geysiren und Fumarolen trieb sonderbar über das zeitlose Wasser des Firehole und einige Büffel weideten entlang des Wegs zum sumpfigen Ufer, in dessen Nähe ein paar Fische aufsteigende Eintagsfliegen nahmen. Eigentlich hätte ich mit Pale Morning Duns recht erfolgreich sein sollen, aber der böige Wind aus dem Canyon hatte den Schlupf verzögert.
Es gab viele Angler; manche waren verzweifelt und warfen nur halbherzig, andere fischten unverzagt mit erhobenem Kopf weiter; wieder andere waren ungewöhnlich kostümiert, im neuen tarnfarbenen Jägerstil, und fischten wie die Neuseeländer mit dunkel gefärbten Schnüren. Doch die Forellen verweigerten sich all diesen dringenden Bitten. Die wenigen auftauchenden Eintagsfliegen wurden vom Wind übers Wasser getrieben und es lohnte sich für die Fische nicht, sie zu jagen.
Also fuhr ich weiter zum oberen Madison, wo es auch nicht gerade ruhig war. Ich beschloss, mich in den Lärm zu stürzen, hielt an einem Gemischtwarenladen, kaufte Kaugummi, sah mir den Cartoon auf der Verpackung an und montierte meine Ausrüstung. Ein kleiner Junge kam, zeigte mir seine Fliegenbox aus Plastik und fragte, warum er den ganzen Tag nicht einen Fisch gefangen habe. Ich gab ihm drei der geheimnisvollen, sich windenden Würmer. Ohne viele Worte vermittelte ich ihm die Vorstellung, mich seit langem auf diese bemerkenswerte Fliege zu verlassen. Ich sah wieder Hoffnung in seine Miene zurückkehren, während er versuchte, den tieferen Sinn dieses absurden, auf einen kleinen Haken gewickelten neuen Gebildes zu ergründen. Damit verstieß ich allerdings bereits gegen meine wichtigste Regel, um mehr Fisch zu fangen: Nicht nachdenken – die Fliege gehört ins Wasser!
Der Wasserstand des Madison war eindeutig zu hoch. Aber ich würde auf Biegen und Brechen weitermachen, weil ich keine andere Möglichkeit hatte. Ich startete oben an einem langen, verzweigten Lauf, warf die neue Fliege in die Strömung und beobachtete meine Schnurspitze, während sie zu mir zurücktrieb. Bis auf ein paar Grundberührungen verzögerte nichts die Drift meiner Nymphe und es verging einige Zeit, während der mein Arm langsam müde wurde, weil er die Rute die ganze Zeit hoch und die Schnur aus dem Wasser hielt. Ich kämpfte mich durch die Weidenbäume an einer Schotterbank und arbeitete mich einen weiteren Lauf entlang – mit dem gleichen Ergebnis. Ich schämte mich, dem Jungen die drei nutzlosen Fliegen gegeben zu haben. Durch drei Läufe schlug ich mich noch, zwei Stunden lang, bei fünfmaligem Wechsel der Fliege: Peeping Caddis, Gold Ribbed Hare’s Ear, Prince Nymphe, Squirrel Tail, zuletzt die altehrwürdige English Pheasant Tail in Größe #16. Ich versuchte, das Vorfach ohne Drag tief ins Wasser tauchen und das Ende der Fliegenschnur hinterhertreiben zu lassen, um auf diese Weise die Bewegungen der unten treibenden Nymphe zu spüren. Aber keine Chance: Der Fluss führte zu viel Wasser.
Ich fuhr weiter an einen kleinen Nebenfluss des Oberen Missouri. Er befand sich in einer hochgelegenen Gegend mit so langen Wintern und solcher Feuchtigkeit, dass es da und dort torfig und sumpfig anmutete. Das Wort Bach schien für ihn angemessen zu sein und deutete bereits auf bröckelnde Ufer und sanfte Kurven hin. Die Meisenhäher und die bunten Reisstärlinge ließen einen kurzen, feuchten Sommer erwarten. Aber der Wasserstand war genau richtig, nicht zu hoch, nicht zu tief. Hier würde etwas gehen.
Ich ging über die ebenen, stark duftenden Wiesen, auf denen Kanadakraniche einander ihre Liebe entgegenkrächzten. In Tümpeln abseits des Flusses schwammen Schwarzhalstaucher anmutig herum und stießen den Kopf manchmal ins Wasser wie kleine Haubentaucher. Wo Bewässerung den Grundwasserspiegel abgesenkt und herrlichen, wurmreichen Schlamm freigelegt hatte, schritt der elegante Wilsonwassertreter vorsichtig auf der Suche nach Nahrung dahin. Auf der Ranchstraße, die an einem kleinen Staubecken langführte, glitt ein Lastwagen mit Düngemitteln durch Wolken von Eintagsfliegen. Dieser Landstrich war erfüllt mit dem funkelnd verströmenden Hauch von Lebendigkeit: Wildgräser und leuchtend gelbe Flecken von blühender Balsamwurzel; Wasser, das im Frühlingslicht Feuer zu fangen schien. Während ich hoch auf einem Ufer über dem Fluss meine Fliegenschnur durch die Ringe meiner Rute fädelte und auf die wilden Hügel mit frischem Salbeigestrüpp im Osten sah, merkte ich, dass es Abend wurde und ich vergessen hatte, etwas zu essen.
Das Wasser floss um die Felsen, staute sich vor ihnen und strömte mit nervöser Hast gegen meine Beine, als ich flussaufwärts auswarf. Da und dort waren kleine, spiegelglatte Bereiche unbewegten Wassers und in einem dieser Bereiche stoppte meine Schnurspitze. Ich hob meine Rute an und spürte jene Kraft, die für den Angler mehr als nur Gewicht ist.
Eine Regenbogenforelle jagte direkt flussabwärts; mit aller Macht des Flusses im Rücken war sie darauf aus, mich und meine durch teure Angelausrüstung vorgegaukelte Stärke zu besiegen. Der ganze in mir aufgestaute Druck aus der zähen Fischerei ruhte nun auf den kräftigen Schultern dieses Fisches und ich stolperte und wälzte ihm nach, übte wenig Druck aus, versuchte mich zu erinnern, ob das Vorfach Windknoten hatte, und wusste, dass der winzige, widerhakenlose Haken nur eine schwache Verbindung war. Immerhin hatte ich es geschafft, diesen Fisch an die Angel zu bekommen, und vorläufig waren wir vollauf miteinander beschäftigt.
Als die Forelle in der Strömung anhielt, leuchtete ihr rosafarbener Streifen durch das kalte grüne Frühlingswasser herauf. Und genau so bleibt sie mir im Gedächtnis, wo sich solche Bilder ansammeln, in einem Reservoir, aus dem man immer wieder Zufriedenheit schöpfen kann. Ich führte die Forelle in die langsamere Strömung in Ufernähe, stützte den kühlen Bauch des Fischs im Wasser mit der Hand und ließ das Tier frei.
Im Café in der Stadt gab es hausgemachte Suppe, eine Jukebox, ein Telefon und in den Nischen genug Licht, um die Zeitung zu lesen. Alles erschien ziemlich vollkommen.
‘Unendliche Stille’ gibt es im Shop von Forelle & Äsche Verlag zum Preis von 14,90€ zu kaufen.
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Peter Ebert says
Nette Story, habe mir dieses Werk zugelegt und bin immer noch begeistert…
Tankred Rinder says
Als wäre man mitten drin…’Unendliche Stille‘ kann man immer wieder und wieder lesen. Und, man schnappt auch technische Dinge hier und da auf. Großartig… ich liebe dieses Buch!