’Thinking Outside The Box’ – Über den Tellerrand schauen: für die einen ein überstrapazierter Büro-Jargon der sich in weniger missverständlichen Phrasen wie, ‘der Fantasie freien Lauf lassen’, ‘kreativ denken’, oder ‘aus einem anderen Blickwinkel betrachten’ besser vermitteln lässt. Für psychologieaffine Mitmenschen aber einfach ein Begriff, der seinen Ursprung im Neun-Punkte-Problem hat. Einer praktischen Übung des Problemlösens die aufzeigen möchte, dass es zur Überwindung von Hürden und Hindernissen notwendig sein kann, außerhalb eines vorgegebenen Rahmens zu denken.
Als erfolgreichem Marktforscher im Ruhestand, der auf 30 Jahre mit Fliege und Rute in der Hand zurückblickt – von den englischen Kreideflüssen, über Island, bis nach Neu Seeland – war es ihm sicherlich nicht fremd bei der Ausarbeitung einer Marketingkampagne, Produkte und Techniken von allen möglichen Seiten zu betrachten. Nachdem ich selbst lange in der Marktforschung gearbeitet habe, weiß ich auch nur zu gut, wie dankbar der Forscher für Meinungen ist, die Anwendungsgebiete für eine Produkteinführung offenbaren, an die selbst die Entwickler nicht dachten. Und selbst wenn der Gang ans Wasser, als Auszeit vom beruflichen Alltag verstanden wird, lässt sich der Forschergeist, bei der Beschäftigung mit allen Dingen ‘fly fishing’, nicht vollständig ausschalten.
So werden also in den 21 Kapiteln des 272 Seiten langen Buches, überlieferte Grundsätze und Prinzipien des Fliegenfischens – die Wegbegleiter bei der Entwicklung des Anglers Peter Hayes und von uns allen – auf ihren ‘Wahrheitsgehalt’ geprüft. Mit einem zwinkernden Auge untertitelt Hayes sein Werk dann auch ‘Emerging Heresies – Entstehende Häresien’. Doch dass er wie Johanna von Orléans dafür auf dem Scheiterhaufen landet, oder sein Werk den Flammen übergeben werden muss, wird er wohl nicht zu befürchten haben – auch wenn das an der ein oder anderen Stelle bereits gefordert wurde ;-) ;-)
Worum geht es also in diesem Buch? Ist es eine Anleitung? Nicht gänzlich, aber doch auch! Ist es eine Erzählung privater Erfolge und Misserfolge am Wasser? Zum Teil, aber nicht ausschließlich! ‘Fly Fishing Outside The Box: Emerging Heresies’ ist schwierig zu kategorisieren. Es ist der Versuch eines engagierten – Technik, Methoden und Gewässerökologie – Fliegenfischers, über die Jahrzehnte beinahe in Stein gemeißelte Erfahrungen worauf es beim Fang von Forelle & Äsche ankommt, kritisch zu hinterfragen und bei Gelegenheit dafür zu plädieren, dieses Wissen in die Mülltonne des Entbehrlichen, weil aus seiner Sicht Fehlgeleiteten zu entsorgen. Ohne dabei jedoch das Kind mit dem Bad auszuschütten. Denn zugleich rehabilitiert Peter Hayes, Vergangenes, Vergessenes und weit Zurückliegendes von Anglern und Fliegenfischern, die aus seiner Sicht weit mehr wissen und können mussten, als die Fortschrittsanbetung der Moderne diesen zumindest 125 Jahre lang zugestehen wollte.
Dabei beabsichtigt Peter Hayes nicht im geringsten, uns von seiner Denkweise zu überzeugen. In einleuchtender Argumentation weist er schlicht auf einen anderen Pfad, der sich ihm als analytischen Geist über Jahrzehnte des Experimentierens eröffnete. Von Fliegendesign, Ausrichtung von Insekten am Wasser – ein äusserst spannendes und augenöffnendes Kapitel -, Lichtbrechung, wie Fische Tippets und Vorfächer wahrnehmen, warum es vorteilhaft sein kann, Fliegen ‘misslungen’ ausgeworfen abzusetzen und weshalb die Angelindustrie uns noch immer missglückte Produktentwürfe vorsetzt. Mit nicht allem konnte ich als Leser einverstanden sein, noch mass ich allem die Wichtigkeit zu, zu der Peter Hayes den Leser ermutigt. Aber wie wenige Bücher zuvor, liess mich das Gelesene innehalten und mich gut überlegen, ob an dieser Beobachtung etwas dran sein könnte.
Manche Rezensenten von ‘Fly Fishing Outside The Box: Emerging Heresies’ sind der Meinung, dass dieses Buch ein gewisses Verständnis überlieferter und praktizierter Methoden voraussetzt, um die Fülle der ‘anderen’ Betrachtungsweisen einordnen zu können und deshalb für den Einsteiger ins Fliegenfischen vielleicht weniger förderlich ist. Dem stimme ich nur bedingt zu, da Peter Hayes an keiner Stelle darauf verzichtet die gegenwärtige Praxis detailliert zu zerpflücken. Warum er diese aber aus seiner Beobachtung für irregeleitet hält, wird anschaulich mit viel Humor und typischer britischer Tiefstapelei detailliert beschrieben. Weshalb also wie die meisten von uns gegen bereits Verinnerlichtes ankämpfen, wenn man von Anfang viele methodischen Überlegungen anders anpacken kann? Worin ich den anderen Rezensenten aber bedingungslos zustimme ist, dass die Lektüre keine einfache ist. Stellt sie ja viel Übernommenes und Erlerntes auf den Kopf, sodass dieser beim Lesen gehörig in Schwindel gerät.
Wer sich nun also dazu geneigt sieht, seinen Sommerurlaub damit zu verbringen, sich seine Gehirnzellen von spannenden Konzepten, anstatt von der sengenden Sonne verbrutzeln zu lassen, findet unter nachstehendem Link eine Kapitelzusammenfassung. Über den Tellerrand zu schauen hat selten jemanden geschadet – in aufgeklärten Zeiten.
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Heribert Hahne says
Der letzte Satz ist mir aus der Seele gesprochen.
Tankred Rinder says
Auch weil Dein Tun und Handeln dem offenbar entspricht, Heribert . LG Tankred