„Ich messe keinen Fisch mehr, der erkennbar unter 50cm ist.“ Erstaunte Blicke, Kopfschütteln. Aber der Besitzer des Maßbandes bestand darauf, wegen Überlastung nur noch die Fische der genannten Größenklasse zu messen. Der Satz und die zugehörige Szene wird mir ewig in Erinnerung bleiben als treffendes Glanzlicht eines goldenen Fischtages an rauschenden Gebirgswassern.
Doch von vorne: Es war Sommer und die türkisblauen Gewässer der Alpen riefen nach Fliegenfischern, die raus wollten, raus dem fliegenfischereilichen the same Procedure as every time: Der jährliche Ausbruch aus den heimatlichen Flachland- und- Mittelgebirgsgefilden. Geplant waren Tage, an denen man morgens nach dem Frühstück mit der gewohnt klapprigen Leihwagenkiste ans Wasser fuhr und sich durch den Tag müde fischte. Tage voll mit strahlendem Sonnenschein an Flüssen voll mit Hot Spots, Gumpen, Rauschen, Rieselstrecken, mit Regenbogenforellen, Bachforellen und Äschen. Tage, an denen man müde, hungrig, zufrieden vom Fischen und still geworden zu Abend aß, die Fänge und ihr Zustandekommen bei einem Glas Wein oder ein- zwei Bier Revue passieren ließ, um in Erwartung des nächsten Tages in einen traumlosen, tiefen Schlaf zu fallen.
Aber kein Sommer ist wie der andere, kaum ein Woche wie die nächste. Die Flüsse waren hellbraun und hoch, die Wassermassen wälzten die Gebirgserde zu Tal. In der ganzen Region hatten schwere Gewitter an den Tagen vor dem Hinflug Verwüstungen hinterlassen. Zwar schien die Sonne wieder und das Land atmete durch, aber die Flüsse würden noch einige Zeit zu tun haben, bis sie mit den Wasser- und Erdmassen fertig waren und wieder im gewohnten türkisblau fließen konnten. Ein einziges Flüsschen hatte sich, aus tiefen Quellen gespeist und von erdführenden Zuflüssen verschont, seine Klarheit bewahren können. Die „Kleine Drau“ präsentierte ihre vorsichtigen Äschen im langsamen, tiefen, klaren Wasser, und an ihr stauten sich die Fliegenfischer, die nirgendwo anders mit Aussicht auf Erfolg hätten fischen können.
Die Zeit verging und aus dem Hellbraun der Flüsse wurde allmählich ein karamellfarbenes, niedrigeres Wasser. Wie jedes Mal bei Wutte war ein Fischertag in Slowenien vorgesehen und der klapprige Leihwagen wurde gegen einen etwas weniger klapprigen ausgetauscht. Zu dritt schraubten wir uns über die Haarnadelkurven des Paulitschsattels etwa 70 Kilometer bis Ljubno, holten dort die Tageskarten für die Savinja ab. Es war ziemlich heiß um die Vormittagsstunden, das Wasser des auch von Gewittern heimgesuchten Flusses wurde langsam klar, aber die Fische wollten nicht. Merkwürdigerweise versprechen sich Fliegenfischer in solchen Situationen von Platzwechseln Erfolg, obwohl das völlig widersinnig ist, weil an einem anderen Abschnitt einer wenige Kilometer langen Strecke das Wetter auch nicht anders sein wird, sagt die Logik.
Doch was folgt beim Fischen schon den Gesetzen der Logik? Wir fanden uns nachmittags am sogenannten Chickenpool ein, einem tiefen, leicht zugänglichen Pool direkt hinter dem Vereinsheim des örtlichen Anglervereins, in den die Strömung hineinschießt. Man hatte uns vor dem Pool gewarnt. Fußfaule und halb lahme Fliegenfischer gingen dort hin. Die Fische dort würden die Bindeanleitungen der gebräuchlichen Fliegen auswendig kennen, was sie zu heiklen Fischen mache. Gut oder auch nicht, aber schließlich ist es gleich, wo man nichts fängt. Und wenn Letzteres schon sein muss, dann wenigstens dort, wohin man ohne Klettertouren kommt.
Heikle Fische überzeugt man mit naturalistisch gebundenen Kleinstnymphen- wenn überhaupt. Erst als zwei der offenbar völlig unheiklen Forellen mir das entsprechend dünne Fluocarbonvorfach zerrissen hatten, ich mit Mühe, Not und viel Drillfingerspitzengefühl eine feiste 40er Bachforelle landen konnte, begannen die “Erfahrungsgrundsätze” zu wanken. Ein Seitenblick sagte mir, dass Detlef 30 m unterhalb mit gar nicht kleinen Trockenfliegen einen Biss nach dem anderen hatte. Von rechts hörte ich Heinz oberhalb meiner Position plötzlich recht unterschubladige Vokabeln rufen, während ihm gerade eine auf 80cm geschätzte Forelle stromauf wie eine Lokomotive davon zog, einmal um einen Felsblock schwamm und sich verabschiedete.
Mein erster Gedanke: Köderwechsel, größere Haken, dann Versuche in Richtung, worauf beißen sie am besten. Quintessenz: Es war völlig gleich, was ich an das Vorfach knüpfte: kleine Nymphe, mittlere und große Nymphen, Trocken- und Nassfliegen, Wollybugger. Die Bach-und Regenbogenforellen-alle ab 35cm aufwärts- bissen auf alles, was man in oder auf das Wasser warf. Und sie bissen sofort. Und sie waren überall: Am eigenen Ufer, mitten in der Strömung und am anderen Ufer. Kurz hintereinander zwei 45er, dann eine knapp über 50, dann eine fast 60er und danach wieder die 40er Klasse. Eine ganz Große vom anderen Ufer schlitzte in der Mittelströmung aus. Meine Mitfischer „arbeiteten“ ebenso konzentriert und erfolgreich.
Drillkunststücke reihten sich aneinander, wenn der Fisch in der Randströmung des gegenüber liegenden Ufers biss und dann dort stehen blieb, während die reißende Mittelströmung so in die Leine drückte, dass man die Bremse öffnen musste, um Vorfachbruch zu vermeiden. Mit hochgereckten Armen die Leine aus dem Wasser heben, mit dem 5er Getackle den Fisch vom anderen Ufer erst in die Strömung und dann am eigenen Ufer wieder aus der Strömung drillen. Drillartistik vom Feinsten an mittlerweile 18er-20er Vorfachspitzen. Der ein oder andere aufgebogene oder ausgeschlitzte Haken war nicht zu vermeiden. Und was für Fische das waren: fett, rund und muskulös, vor Kraft strotzend schossen sie in die Strömung.
Gelegentlich überkreuzten sich während der Drills unsere Leinen, weil jeder Biss hatte. Detlef verschwand hilferufend beim Biss einer Großen in einem Uferstrauch am eigenen Ufer, weil der Fisch sich in den Kopf gesetzt hatte, sich zwischen die Wurzeln des ausladenden Geästes zu begeben. Wir fingen etliche von diesen Kraftpaketen, verloren auch einige der 70er Klasse, die zu spitz gebissen hatten, in der harten Strömung und schließlich durfte Heinz als viel beanspruchter Meister des Maßbandes den Tagesrekord mit einer sicher gelandeten 63er feisten Regenbogenforelle aufstellen, bevor wir nach diesem Einmaltag am Abend den Fluss verließen.
Nach solchen Tagen kommen Zweifel, ob das alles so richtig ist, was man zu wissen glaubt. Man reimt sich dann eine Erklärung zusammen. Die unsere lautete, dass die Fische wohl die Tage der Gewitterhochwässer in der Region unter und hinter Steinen verbracht hatten und nun, als das Wasser wieder zurückging und sichtig wurde, die entgangene Nahrungsaufnahme nachholen wollten. Und noch eine andere Frage stellt sich. Ist das der Fliegenfischerhimmel oder die Fliegenfischerhölle, wo wir an diesem Tag waren? Ist das Fliegenfischerglück oder der Gipfel der Langeweile und des Anspruchslosen: Fische, die überall und auf alles beißen, die aus einer „filigranen“ Passion mit dem Kerngedanken der Selbstbeschränkung ein Event für’s Grobe, für die Unersättlichkeit machen?
Ich habe mich für den Fliegenfischerhimmel entschieden, weil man so selten dort ist. Als Ausgleich für die weitaus zahlreicheren Nicht- und Wenigfangtage ein zwei Mal im Fliegenfischerleben aus dem Vollen schöpfen, dass die Rute sich unaufhörlich biegt, das darf man, das darf ich. Deshalb lassen wir, wenn wir zusammen kommen unter der “Überschrift” “Weißt du noch….” den Tag lebendig werden. Und manchmal beim Fliegenbinden schickt mir die Erinnerung Bilder vom Drill der Kraftpakete am Chickenpool an der Savinja und lässt mich zufrieden zurückschauen im Bewusstsein, dass sich die Fülle dieses Tages nicht wiederholen wird und dass ihn das gerade deshalb so wertvoll macht.
Werner Berens „entdeckte“ vor 30 Jahren das Fliegenfischen und fischt seitdem ausschließlich mit der Fliege. Altersmäßig reitet er in den Sonnenuntergang und hat sich vorgenommen, mit 120 nach der Landung einer Äsche jenseits der 50cm kurz und schmerzlos in die ewigen Jagdgründe zu wechseln.
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Sepp Prantler says
Die fast schon philosophische Frage, ob solche Tage der Himmel oder die Hölle des Fliegenfischers sind, sollte sich jeder selbst beantworten.
In diesem Beitrag ist das sehr gut gelungen! Gerade an einem viel befischten Gewässer sind solchen Tage selten. Und dann ist es der Himmel. Würde der Himmel zur Selbstverständlichkeit, verwandelt er sich in die Hölle.
Und oft ist es gut, solche Momente nicht zu hinterfragen, sondern im Bewußtsein der Besonderheit einfach zu genießen!
LG Sepp
Tankred Rinder says
Erlebt man aber Ausnahmetage wie diese früh in der anglerischen Laufbahn, führt kein Weg darum herum, die Besonderheit dieses Moments so bald es geht auch zu realisieren. Sonst kann jeder Angeltag der sich an diesem Ereignis nicht messen lässt ebenfalls zur Hölle werden.
LG Tankred