Lange habe ich darauf gewartet – zur Maifliegenzeit eine Woche an einen Gewässer zu verbringen, dem ein besonderer Ruf vorauseilt. Meine bisherigen Erfahrungen mit der Maifliege glichen dem Auftreten der englischen Fußballnationalmannschaft bei Weltmeisterschaften. Hohe Erwartungen – bittere Enttäuschung. Um diesen Erlebnis vorzubeugen, bemühte ich mich seit langer Zeit in eines der zahlreichen Hotels und Pensionen in der fränkischen Schweiz in den ersten zwei Juni Wochen unterzukommen. Jener Zeit, in der der Maifliegenschlupf an der Wiesent seinen legendären Höhepunkt erleben soll.
Ähnlich begehrt wie WM-Tickets sind die Betten in der oberfränkischen Hotellerie im Juni. Doch anders als der festgelegte Spielplan bei Turnieren, lässt sich der Maifliegenschlupf nicht programmieren. Aussagen wie ”Du hättest letzte Woche/ die Woche darauf hier sein sollen” klingen nachhaltig in den Ohren vieler Fliegenfischer, die den heißbegehrten Urlaub generalstabsmäßig über Monate vorbereitet hatten. Ein wenig Glück spielt für den reisenden Fliegenfischer eine nicht unbedeutende Rolle, möchte man mit Erzählungen von unglaublichen Schlüpfen, Fischen und Fängen zu den physischen als auch virtuellen Freunden heimkehren
Ende Januar dieses Jahres war es aber soweit. Ein Teil der alternden Stammgäste des Hotels meiner Wahl räumte ihren reservierten Platz und meine Buchung für mich und meinen Freund Tobias wurde angenommen. Wir fühlten uns als hätten wir bei der FIFA WM-Kartenauslosung gewonnen. Und ähnlich wie bei der Fußball WM hofften wir darauf, dass zur Zeit unseres Besuches die Hauptdarsteller – Maifliege und Forelle – zu Höchstform auflaufen.
Mit einem mulmigen Gefühl konnte ich die ersten Danicas in NRW bereits Mitte Mai ausmachen. Das sei keine Überraschung versicherte man mir, bei diesem milden Winter. Blütephasen und Schlupfzeiten verschieben sich schon mal um einige Wochen, wenn es die Witterung bedingt. Und so warteten wir zu, ohne uns all zu sehr davon beeinträchtigen zu lassen. Wozu auch – ändern lässt es sich ja doch nicht.
Als dann für unsere Abreise das heißeste Pfingstwochenende seit fünfzig Jahren prognostiziert wurde, stellten wir uns erstmals ernsthaft die Frage, wie die kommende Woche wohl verlaufen würde. Auf jeden Fall besser als die verregneten Juniwochen des Vorjahres, sprachen wir alte Optimisten uns Mut zu. Am Tag der Abreise dann, bei merkbar hohen Temperaturen um sechs Uhr morgens mit Zigarette in der Hand im Hof des Kölner Mehrparteienhaus, flogen mir ein Dutzend Schwalben in der engen Häuserschlucht um die Ohren. Das Sausen des Flügelschlags deutlich hörbar, jagten diese im Tiefflug nach nicht näher identifizierbaren Insekten, in einem nicht enden wollenden Jagdrausch. Zu Recht zeigten wir uns zuversichtlich.
Am frühen Nachmittag in Muggendorf angelangt bezogen wir erneut Quartier im Hotel Eberhard. Von einer ganz anderen Seite zeigte sich die Unterkunft im Vergleich zu unserem letzten Besuch Anfang November 2010. Bis auf das letzte Zimmer belegt, herrschte eine elektrisierende Stimmung in der Mittagsstube. Ja, der Hauptschlupf sei bereits seit mehr als einer Woche im Gang. Viele Fische wurden bislang gefangen. Doch wie die soeben eintretende Hitzewelle sich auf die Fischerei auswirken werde, mochte so niemand wirklich einzuschätzen. Und so saßen wir im Kreis der Fliegenfischer auf der brütend heißen Terrasse, hörten uns Erzählungen an, stellten viele Fragen und scharrten mit den Hufen. Denn eilig hatte es bei 35° niemand außer uns.
Das Signal zum Ausritt blies um 18.30, als sich die Luft vor den Bäumen mit erst einer Handvoll, dann schnell Dutzenden, gefolgt von Hunderten Maifliegen wohin man sah, gegen die noch immer gleißende Abendsonne füllte. Das lange Warten hatte endlich ein Ende und voller Erwartung marschierten wir die zweihundert Meter ans Wasser. Wasser, dass in der Zwischenzeit übersät war mit Ringen, mit lautem Platschen in den rascheren Zügen, mit Maifliegen Duns die wie stolze Segelschiffe während einer Regatta den Fluss hinuntertrieben. Zu auf die nächste Bach- oder Regenbogenforelle, die Position bezogen um mit relativ wenig Aufwand eine Proteinpackung nach der anderen zu verspeisen.
So verflog die Zeit bis 22:00, bis es immer schwieriger wurde seine Fliege am Wasser auszumachen und wir Fischer von den Fängen ebenso gesättigt waren, wie die Forellen von den Maifliegen. Auf dem nach Hause Weg noch Halt gemacht an der Brücke über die Wiesent oder der hohen Ufermauer, um ein letztes Mal für diesen Tag die im Sekundentakt steigenden Forellen bei ihrer Fressorgie zu beobachten. Und zu reflektieren über das Erlebte, sich im Mondlicht zu erfreuen am langsam abklingenden Schlupf. Zurück auf der Terrasse, die Fischer im Austausch zu ihren Fängen, Handys und Fotos herumgereicht, Erzählungen von der einen – der wirklich großen – die sich partout nicht fangen lassen wollte, oder vom Band ging, herrschte einstimmige Überzeugung. Die Wiesent zur Maifliegenzeit ist sensationell! Wen überrascht es, dass diese Meinung seit den englischen Ausflüglern im 19. Jahrhundert, bis spätestens Charles Ritz’s regelmäßigen Besuchen in Oberfranken kein Geheimnis mehr ist.
Am nächsten Morgen, nachdem wir auf den Rat der fischenden Kollegen hörten, dass ein früh morgendlicher Gang an die Wiesent – als Kreidefluss mengen- und temperaturkonstant mit Wasser aus weiten Hohlräumen unter dem Kalkgestein versorgt – keine wesentlichen Unterschiede auf die Fischerei ausübe, wurden die Auswirkungen der bereits früh, sehr hoch ansteigenden Temperatur auffällig bemerkbar. Keine Insektenaktivität in Sicht, keine Fische die sich an der Oberfläche zeigten. Was tun? Wie ein Gentlemen Halfordscher Schule geduldig den Fluss auf- und ab spazieren um diesen einen, oberflächennah fressenden Fisch auszumachen? Oder doch mit beschwerter Nymphe bis an den Grund der stellenweise zwei bis drei Meter tiefen Wiesent zu gelangen? Der Großteil der anwesenden Fischer entschloss sich für letztere Methode, konnten sich die Erfolge doch zeigen lassen.
So entwickelten wir unter den Umständen – Mittagstemperaturen bis 35°, greller Sonnenschein und wolkenloser Himmel, über die nächsten Tage eine erfreuliche Routine. Bis zwölf Uhr mit der Nymphe ans Wasser, 3-Gänge Mittagessen, Nachmittags fliegenbinden, um achtzehn Uhr wieder ans Wasser um noch vor dem nächsten, spät einsetzenden Schlupf wieder bereit zu sein. Und bereit zu sein stellte sich von einen Tag auf den anderen herausfordernder dar. Gestern Duns, heute Emergers – vorhersehbar war die Fischerei in keinster Weise. Und dachte man an einem Abend, das Erfolg bringende Muster entdeckt zu haben, wurde diese Annahme am nächsten Tag wieder auf den Kopf gestellt. Dem Wetter sei Dank, dass die Nachmittage über den Bindestock verbracht wurden und bald stand ein gutes Repertoire an Maifliegen zur Auswahl.
Die Ausläufer des verheerenden Unwetters, das in Nordrhein-Westfalen neun Leben kostete, die fränkische Schweiz aber nur streifen wird, bringt die erhoffte – wenn auch geringfügige – Abkühlung mit sich. Auf die Maifliegen und die Forellen hatten sich die Temperaturschwankungen jedoch noch nicht ausgewirkt und wie aufgezogen setzte der Schlupf nicht vor 19 Uhr ein. Die Intensität schien sich jedoch gesteigert zu haben. Beäugten in den Anfangstagen die Forellen – speziell in den langsameren Abschnitten – die künstliche Fliege gewissenhaft, wurde an den letzten Tagen jegliche Vorsicht über Bord geworfen. Schoßen diese in den ersten Tagen sichtbar aus der Tiefe und liessen sich bis zum Anbiss – oder der Verschmähung – sekundenlang unter der künstlichen Fliege abtreiben, so kannten sie an den letzten zwei Tagen vor der Abreise keinen Halt mehr. Gesichtet, angeworfen, richtige Drift erwischt – bei dem nicht endenden Angebot aufsteigender Nymphen und abtreibender Duns, bewegten sich die Forellen nur wenige Zentimeter nach links oder rechts – und mit etwas Glück wurde die eigene Fliege, dem wenige Zentimeter daneben treibenden natürlichem Pendant der Vorzug gegeben. Spannende, aufregende, zum Rasen bringende Fischerei – begleitet von gelegentlich Flüchen, gefolgt von hohen Serotonin Ausstößen.
Faszinierend an der Maifliegenfischerei ist die Möglichkeit, einen Blick auf ansonsten tief in Unterständen versteckte Forellen zu werfen. Auch wenn ich nicht behaupten würde, dass große Forellen völlig ihre Scheu verlieren, so geben sie sich doch eher erkenntlich, als zu anderen Zeiten. An der Wiesent war zudem beobachten, dass Regenbogenforellen ihren Standplatz in der Flussmitte suchten, die größeren Bachforellen hingegen dicht gedrängt am überhängenden Ufer. Aus der Position waren sie nicht leicht anzuwerfen, bei der Fischerei vom Ufer aufgrund der großen Tiefe des Flusses. Überhängendes Gras fing die Fliegenschnur auf, beim Versuch die Trockenfliege ganz knapp am Ufer zu platzieren. Flussabwärts die Fliege auf den Ring zutreiben zu lassen brachte auch keinen Erfolg. Erkennen konnte man sie aber. Meistens kleine, wohlgeformte Ringe ohne viel Aufsehen. Und so, an einem Nachmittag an dem der Fluss tot erschien, liess ich meine Nymphe eine halben Meter vom Ufer entfernt durch die tiefe Rinne treiben. Dort wo ich in den Tagen zuvor vermeinte eine gute Forelle gesehen zu haben. Meine Vermutung bestätigte sich – wie nach dem Anschlag bereits klar wurde. Wiesent, du hast uns sehr begeistert!
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Walter Reisinger says
Das ist richtig, allerdings sind Karstflüsse auch kreideflussähnlich.
Ein kleiner Auszug aus unserem neuen Buch – “Charakteristisch sind jedenfalls die ganzjährig gleichmäßige Wasserführung und sommerkalte Wassertemperaturen, die reiche Entwicklung höherer Wasserpflanzen und ungetrübtes Wasser auch nach längeren Niederschlagsperioden. …………………..Gemeinsam ist den echten Kreideflüssen und den grundwassergespeisten Karbonatbächen der fischereilich besonders bedeutsame Massenschlupf der Maifliege (Ephemera danica).”
BG Walter Reisinger
Walter Reisinger says
Ein sehr schöner Bericht, allerdings möchte ich hier etwas richtig stellen, was immer wieder publiziert wird. Die Wiesent ist kein Kreidefluss. Kreideflüsse gibt es nur im südwesten Englands und in der Normandie. Allerdings haben Flüsse wie die Wiesent, u.a. einen kreideflussähnlichen Charakter.
Walter Reisinger
Tankred Rinder says
Danke für die Richtigstellung Walter – kreideflussähnlich bedeutet aber nicht Karstfluss, oder? Denn die findet man in Europa wiederum nur am Balkan und Slowenien und Italien, falls ich richtig informiert bin. LG Tankred