Es ist die Frage aller Fragen. Eine die früher oder später jeden von uns ereilt: Was mache ich mit meinem Leben? Gestalte ich dieses im Einklang mit meinem inneren Selbst? Hinterlässt mein Tun bleibende Werte? Bewegt es andere zu sinnstiftendem Handeln? Im besten Fall drängt sich diese Frage auf, dank der Eindrücke aus zufälligen oder bewussten Begegnungen mit inspirierenden Menschen. In weniger günstigen Fällen, die aber noch immer Gelegenheit zum Kurswechsel bieten, überrumpeln dich Sinnfragen durch ungewollt herbeigeführte Ereignisse: Schwere Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, Trennung von nahestehenden Menschen, oder beliebig andere einschneidende Erlebnisse.
Schlimmstenfalls stellen sich uns diese Fragen erst am Totenbett. Wusstest du, dass die Nummer Eins Antwort von Sterbenden auf die Frage, welche Dinge sie am meisten bereuen, folgendermaßen lautet: «Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie es andere von mir erwarteten.»
Mir stellte sich die Frage nach den wahrlich wichtigen Dingen im Leben während eines vor kurzem im pittoresken unterfränkischen Sinntal verbrachten Wochenende. Die Frage drängte sich nicht nur wegen des namengebenden Flusses in dem idyllischen Fleckchen Deutschlands im Grenzgebiet von Hessen und Bayern auf. Vor allem die Geschichte rund um meinen Freund Dirk von Manteuffel der sich den Traum vom eigenen Pachtgewässer erfüllte, drängte diese Fragen ins Bewusstsein. Im Verbund mit einigen anderen die unterschiedlicher nicht sein könnten, was Alter, Herkunft und Interessen abseits des Fliegenfischens betrifft, konnte er nämlich die Rückgabe der Pacht eines Gewässerabschnitts an der fränkischen Sinn an die Fischereigenossenschaft abwehren.
Der gemeinsame Nenner der diesen heterogenen Trupp an Menschen vereinte, war die Frage, was zu tun sei, um das in Gefahr befindliche eigene Paradies vor Verlust zu schützen. Denn was ein Pächter alleine nicht mehr realisieren kann, gelingt viel einfacher im Verbund mit mehreren Gleichgesinnten. Das gemeinsam Verbindende über das Trennende zu stellen, sollte in den nächsten Wochen und Monaten die Maxime aller echten Demokraten in Deutschland und Österreich sein.
Von einem kleinen Paradies darf tatsächlich gesprochen werden, was ich an diesem einen Wochenende kennenlernen durfte. Ein relativ wenig bewohntes Tal an den Ausläufern eines Mittelgebirges, der Wegesrand gesäumt von (Streu-)obstbäumen an deren Fallobst man sich bedienen darf, feuchte Felder in denen die nur mehr selten vorkommende Schachbrettblume blüht, durchzogen vom etwa 70km langen Mischgewässer Sinn, die in die Fränkische Saale kurz vor deren Zusammenschluss mit dem Main mündet.
Hauptfischarten sind Äsche, Bachforelle, Döbel, Barbe, Nase, Hecht und Mühlkoppe und die ein oder andere, aus dem oberhalb angrenzenden Los zugewanderte, stattliche Regenbogenforelle. Wie es scheint eine andere Form von Erfüllung des eigenen Traums, einer noch viel kleineren Gruppe an Fliegenfischern aus dem nahen Frankfurt. Auch darin darf man den Sinn des Lebens sehen. Auch wenn mir der Wunsch nach permanent mehr und Größerem doch irgendwie wenig bedeutet. Persönlich bevorzuge ich doch die Besatzmaßnahmen des Trupps rund um Dirk: Bachforellensetzlinge / Jährlinge die allesamt aus der Aufzucht mit Rhön-endemischen Forellen entstammen.
Was natürlich nicht heißt, dass ich mich über den Fang einer gut gewachsenen, schön gezeichneten, die Flossen intakte Regenbogenforelle nicht freute. Aber ebenso groß war die Begeisterung über die buttergelben Bäuche der heimischen Forellen, die gerade mal die Hälfte an Länge und Gewicht auf die Waage brachten, und sich nun schon bald zum ersten Mal am Laichgeschehen beteiligen werden. Die zahlreichen Äschen, auch wenn keine mehr als 25cm maß, vermittelten ebenfalls ein in zumindest diesem Abschnitte weitestgehend gesundes Gewässer. Dass man beim ersten Besuch eines unbekannten mittelgroßen Gewässers nicht sofort mit dem Fang der wenigen, aber ohne Zweifel vorhandenen Elternfische zu rechnen ist, sollte einem klar sein.
Paradiese geraten von Zeit zu Zeit aber auch in Gefahr durch äußere Einflüsse. Sei es durch Ackerränder die zu nahe an die Flussufer rücken, oder die Erneuerung von Eisenbahnbrücken die die behutsame Pflege des eigenen kleinen Juwels zu Nichte zu machen scheinen. Die Sorge um, und der Einsatz für die kleinen und großen Geschöpfe des erweiterten Zuhauses, wird plötzlich wichtiger als die Ernte aus demselben. Aus der Gewissheit anderen Lebewesen durch sorglichen Umgang eine Aufwertung ihres Lebensraums zukommen zu lassen, lässt sich eine andere Form von Sinnhaftigkeit ableiten. Die von Jahr zu Jahr kräftigeren Spuren des eigenen Einsatzes dann auch ablesen und der Gesundung eines Gewässers zusehen zu können, erfüllt zurecht mit ersichtlichem Stolz.
Möge mich das Bewusstsein für Ganzheitlichkeit das ich an diesem Wochenende erkennen durfte noch lange inspirieren – ich habe nämlich schon lange nicht soviel Zufriedenheit bei einem Angelausflug erlebt, wie vor kurzem an der fränkischen Sinn. Mein guter Freund Dirk – ich ziehe meinen Hut vor Dir!
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Christian says
Lieber Tankred,
bei Lesen Deines Beitrages “Sinn des Lebens” über Deinen Angelkumpel Dirk und dessen Pachtgewässer musste ich innerlich schmunzeln, konnte ich doch viele der von Dir beschriebenen Gefühle nachvollziehen.
Uns ist das große Glück zuteil geworden, einen Abschnitt eines Salmonidengewässers zu pachten, ein richtiger Fluss mit wilden Bachforellen und (man höre und staune) mit Äschen von teilweise beeindruckender Größe. Außerdem ist es gelungen, eine Gruppe Gleichgesinnter zu finden, die sich über dieses Gewässer ebenso freuen, es wertschätzen und in unserem Sinne mit befischen.
Was will man als Fliegenfischer mehr? Ich jedenfalls empfinde das von Dir beschriebene Glück, freue mich über jeden Tag, den ich dort verbringen kann und bin seitdem – was das Fliegenfischen in meiner Heimat anbelangt – restlos glücklich! Auch wenn woanders exotische Gewässer und große Fische locken schätze ich diese Art des Abenteuers vor der eigenen Haustür am meisten.
Ein wenig irre muss man vielleicht sein, eine Gewässerpacht erschien mir gerade am Anfang als völlig absurder Gedanke. Aber erst mal in dieses kalte Wasser gesprungen, mit Enthusiasmus und Engagement erfüllt, ist es ein tatsächlich (bisher) ganz praktikabler Traum…
In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön für Deine Ausführungen, einen schönen Angelherbst Dir und viel Erfolg mit Deinem Blog und dem Verlag (das nächste Buch steht schon auf meiner Weihnachtswunschliste)!