© kharlovka.com
In bewegten Zeiten wie diesen davon zu träumen, auf der russischen Halbinsel Kola auf Bachforellen fliegenzufischen, wird beim einen oder anderen vielleicht Stirnrunzeln auslösen. Doch wie sang Sting damals 1985, als der ‘Eiserne Vorhang’ noch von Stettin bis Triest, fast undurchlässig mit festen Pflöcken in den Boden gerammt stand? “Russians love their children too”. Wer weiß schon wie langes es, angesichts des wieder erstarkten Alpha-Tier Getues zwischen NATO und der Russischen Föderation, noch möglich sein wird, an eines der wirklich wenig verbleibenden Paradiese dieser Welt, für das Fliegenfischen auf Bachforelle zu reisen.
2014 machten mein Kumpel Veit und ich, auf unserer Rückreise vom Fliegenfischer Trip an die englischen Midlands Reservoirs, Halt in London. Wir wollten uns einen Abstecher in den Nobel-Tackleladen Farlows nicht nehmen lassen. Souvenir-Einkäufe getätigt (Schnäppchen gibt es auch dort zu finden), Atmo aufgesaugt – riesige präparierte Lachse, Meer- und Bachforellen an den Wänden, Verkäufer in Tweed und Schlips, feinste britische Akzente die durch den Laden hallten – traten wir an die Kasse und bekamen beide eine DVD in die Einkaufstüte gestopft. Atlantic Salmon Reserve stand darauf.
Im Eurostar nach Köln den Laptop aufgeklappt, Disc eingelegt, saßen wir die nächsten 60 Minuten der Fahrt mit offenen Mündern da.
Mitte der 90er machte sich der Russlandkenner und viel gereiste Lachsfischer Peter C. Power daran zu erkunden, welche Möglichkeiten durch die Öffnung Russlands gegenüber dem Westen, sich für den Fliegenfischer ergeben. Irgendwo mussten die Atlantischen Lachse doch auch dorthin ziehen. Erfahren mit den im Westen bekannten Destinationen – Norwegen, Island, Schottland – reizte die Aussicht auf eine riesige, relativ menschenleere Gegend mit all ihren Möglichkeiten, als auch ihren Tücken. Die Halbinsel Kola sollte es werden, am nordwestlichen Zipfel Russlands, an der Grenze zu Finnland und Norwegen, mit der regionalen Hauptstadt Murmansk, Stützpunkt der russischen Nordflotte.
Die blühendste Fantasie konnte nicht ausmalen, worauf Peter Power dort stoßen würde. Riesige, in weiten Teilen unberührte Landschaften, inmitten der arktischen Tundra. Flüsse die von Lachsen und Bachforellen wimmelten. Natürlich hatten die Gewässer, mit im postkommunistischen Russland typischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Null Umweltbewusstsein, überbordende Wilderei durch Menschen, die von einem zerfallenden Staat sich mehr oder weniger selbst überlassen wurden. Scheinbare Gesetzlosigkeit die Korruption und Ortsganoven begünstigte. Und trotz allem war die Fischerei besser als alles ihm bekannte, aus unserem westlichen System. Beschnitten und reguliert durch die Vorherrschaft von Industrie und Wirtschaft.
Über Jahre hinweg im Austausch mit lokalen Politikern, wurde mit deren Unterstützung, inmitten der Tundra auf einer Fläche von von 8.000km², das Atlantic Salmon Reserve gegründet und ein Camp bestehend aus ein Dutzend Hütten errichtet. Für den Betrieb wurde ausschließlich aus der örtlichen Bevölkerung, bestehend aus Samen und Russen rekrutiert. Angler und Wilderer wurden über Nacht Guides. Ehemaligen Soldaten wurde mit der Bewachung der Küste und der Flüsse, um vor weiteren Wildereien zu schützen, eine neue Aufgabe gegeben. Militärhelikopter wurden aufgekauft, um interessierte Angler in das anfangs bescheidene Camp zu fliegen. Heute besteht das Atlantic Salmon Reserve aus zwei sehr komfortablen Lagern und beschäftigt mehr als 100 Einheimische. Für die Region und die dort Ansässigen, wurde das 2003 ins Leben gerufene Projekt ‘Atlantic Salmon Reserve’, zu einer immens wichtigen, ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlage.
Denn Peter Power ging es um viel mehr, als eine weitere Trophy-Fish Destination zu eröffnen. Nachhaltigkeit in allen Unterfangen stand schon seit eh und je an oberster Stelle, für das ambitionierte Unterfangen. Um das fragile Ökosystem zu schützen, führen designierte Holzstege ins Camp, um die Flora vor den Fusstritten der Angler zu schützen. Robben und Nerze werden als Teil eines sich selbst regulierenden Systems verstanden, die einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit der Flüsse beitragen. Für Brennholz werden keine Bäume gefällt, sondern Millionen Tonnen an Treibgut, an den Stränden der Barentssee gesammelt. Die Flussufer im Gelände des Camps wurden nicht anglerfreundlich gestaltet und befindet sich ein Baum oder Felsen im Weg des perfekten Wurfs – so be it! Die erstaunliche Landschaft mit all ihrem Reichtum für weitere Generationen zu erhalten und den Besuchern ein Naturerlebnis besondere Güte zu ermöglichen, waren schon immer das Ziel des Idealisten Peter Power.
Als das Atlantic Salmon Reserve Conservation Project ins Leben gerufen wurde, war es ihm wichtig, in diesem riesigen Gebiet nicht nur den Wanderfischen besondere Aufmerksamkeit und Schutz zukommen zu lassen. In den Oberläufen der gigantischen Flüsse und in unzähligen Seen, finden sich nämlich Bachforellen, Arktische Saiblinge, Hechte und Barsche von seltener Qualität ein. So wurden explizite Angebote für Forellenangler ein wichtiger Bestandteil des Schutzprogramms. Obwohl selbst in erster Linie Lachsangler, empfindet Peter Power sehr viel Sympathie für das sich regelmäßig einfindende Kontingent an Forellenfischern – 135 der 500 jährlichen Gäste.
Meist weniger betucht als die Stammkundschaft mit Zweihandruten, verbringen diese ihre Zeit nicht im komfortablen Camp, sondern werden mit Helikoptern tief in die Tundra geflogen, um von Zeltlagern aus ihrer Leidenschaft nachzugehen. So ganz nebenbei erfüllen die Forellen Fliegenfischer in Zusammenarbeit mit den englischsprachigen, russischen Guides eine wichtige Rolle im Naturschutzprogramm und notieren und berichten über etwaige Vorkommnisse in der Wildnis, gegen die Auflagen des Arterhaltungsprogramms. Ausgestattet mit Satellitentelefonen und Schlauchbooten machen sich kleine Gruppen an Fliegenfischern dann auf, den gigantischen Bachforellen des Litza und Kharlovka Wassersystems nachzustellen.
Die Fotogalerie und das Filmmaterial des Atlantic Salmon Reserve ist atemberaubend. Die Dichte an Ausnahme fischen muss unbeschreiblich sein und blickt man in die glänzenden Augen der Interviewpartner, möchte man am liebsten auf der Stelle den Hörer in die Hand nehmen um festzustellen, ob in der kurzen Saison – Ende Juni bis Ende August – noch ein Platz frei ist. Die reelle Chance auf einen Fisch des Lebens, lässt mit Sicherheit die Strapazen des Zeltlebens, während des Sommers in der Tundra vergessen. Bis es einmal soweit sein wird, werde ich mich meinen Träumen von 8 Pfund Forellen hingeben. Unter der Mitternachtssonne nördlich des Polarkreises, im Zeltlager mitten in der Tundra, mit einer verschworenen Gruppe an globalen Fliegenfischern, in Begleitung ihrer russischen Guides. Denn letztlich verbindet uns mehr, als uns trennt.
Mehr Information zum Atlantic Salmon Reserve, den Flüssen Kharlovka, Litza, Rynda und Zolotaya, gibt es unter kharlovka.com Der Besuch der Homepage erfolgt auf eigene Gefahr – die Versuchung, das Budget für den Familienurlaub anzuzapfen, ist vorprogrammiert.
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christoph says
Hallo Tankred!
Seitdem ich 2016 die Gelegenheit genutzt habe ein Woche an Kharlovka und Litza auf die mächtigen browntrouts zu fischen und die Tundra hautnah zu erleben, schlafe ich keinen abend ohne die Erinnerung an diese Tage ein. Suchtpotential ist zweifellos vorhanden und hat bei mir dazu geführt, dass ich auch 2017 im sommer wieder dort sein werde. Wunderbaren organisatorischen Hintergrund gibt Carsten Dogs von pukka destinations. Auch mich hat diese Reise in ganz neue Dimensionen bezgl. des Budgets geführt aber für mich ist klar, dass sich jeder Cent lohnt. Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
TL und schöne Weihnachten
christoph
Tankred Rinder says
Hallo Christoph,
vielen Dank für das freundliche Angebot, mir ggf. meinen Lesern für Rückfragen bereit zu stehen. Ich bin von den Möglichkeiten dort absolut begeistert. Carsten und Pukka kenne ich gut und es ist immer von Vorteil, die Reiseplanung im Heimatland abzuwickeln. Dann wünsche ich Dir jetzt schon eine tolle Woche oder zwei auf der Kola im Sommer 2017. Davor noch aber ein fröhliches Fest und einen guten Start ins kommende Jahr. Tight lines Tankred
Heribert Hahne says
Sehr schoen! Meine auch die Entwicklung zum Positiven. Kenne Kola von 3 Reisen – eine war zum reinen Lachsfischen an die Nord-Fluesse und 2x an die Suedwest Kueste (Lachse etwas kleiner aber Unmengen von Meerforellen). Das war Anfang der 90er Jahre. Da gab es teilweise noch die Zustaende, wie sie in diesem Artikel angedeutet werden und die Infrastruktur lag am Boden. Vor allem draengten die Amerikaner (und damit deren Preispolitik) sehr stark nach Kola. Und die Russen folgten dem recht willig. Das war auch mit der Grund, warum ich mit meinem kleinen Reiseunternehmen nicht Fuss fassen konnte. Sehr schade. Wir hatten ausschliesslich supernette Menschen kennengelernt und die Fischerei war gut bis sehr gut. Sehr zu begruessen was Peter Power da geschaffen hat. Laesst hoffen, dass da ein kleines (raeumlich “grosses”) Paradies fuer Fliegenfischer fuer die Zukunft erhalten bleibt.
Tankred Rinder says
Servus Heribert,
interessant Deine Erfahrungen zu Kola hier zu erfahren. Mir war es nicht bewusst, dass damals schon so viele Übersee-Anbieter dorthin drängten. Hinter der Arbeit von Peter C Power steckt scheinbar sehr viel Engagement, für alle Facetten eines Destination Reiseunternehmens. Beginnend bei der ausschließlichen Einstellung von Einheimischen, bis zur Einbindung von Wissenschaft in das Naturschutzprojekt. Hut ab – hoffentlich bleibt es noch lange so. LG Tankred