© Amy Frost
Zwei Wochen lang verfolgte ich den Wetterbericht. Anfangs mit Spannung. Je näher aber die Abreise rückte, mit immer mehr Entsetzen. Die Wettervorhersage war furchterregend. Gesprächserinnerungen mit Victor Gubbins, Besitzer und Kartenausgabe am River Eden in Cumbria, über seinen bevorstehenden Trip nach Schottland wurden wach. Langanhaltender Regen, der bereits meinen letzten Besuch an den Eden vergraulte, wollte in den letzten Monaten nicht von mir weichen. Und sein Trip, stand erst bevor – wie meiner jetzt. Und erhöhter Sorge? Begegnet der Gentleman, als auch der Gauner und der Schelm mit Ruhe und Gelassenheit.
Ebenso lange und noch viel länger stand ich im Austausch mit Lee MacGregor – einer beschäftigten, serviceorientierten, hilfsbereiten jungen Dame aus Pitt Meadows – mit Fragen zu Streamern, Sinkraten von Fliegenschnüren, Vorfachstärken und ähnlichem. Und zügig und kompetent wurden diese beantwortet. Vielleicht auch mit der Unterstützung ihres Lebenspartners und Fischers Dan Gerak. Sauber wurde über Telefon und Email ein Ausflug von langer Hand geplant und eine Anzahlung geleistet. Alle Zeichen standen gut, wenn nicht das Wetter wäre. Und doch unterliess ich es in gefühlten 30+ Email, nur einmal nach der tatsächlichen Situation vor Ort zu fragen. Sah ich doch dieses Bild in den letzten Wochen vor mir.
Als ich in Vancouver ankam, war die Wetterlage eine Verbesserung gegenüber Frankfurt, jedoch eine Verschlechterung zu New York. Für den Tag meines Ausflugs war jedoch Sonne und Erwärmung vorhergesagt. Fischer sind ewige Optimisten und maßgeblich zu meiner gelassenen Haltung, hat der warmherzige Ablauf des sich Kennenlernens und die Abwicklung der Buchung mit Lees Mutter beigetragen. Einer rüstigen Dame unbestimmten Alters, die mir aus dem selben Sprachrohr versicherte wie Lee und Dan – Betreiber der FlyFishing Lodge: Es sei beinahe unmöglich ohne Fangerfolg vom Pitt River heimzukehren – gute Witterung vorausgesetzt. Und so unterliess ich es im Zuge dieser Gelassen- und Vertrautheit, den Scherzen und den Spässen, in all den gefühlten 30+ Emails, nach der exakten Adresse der Abholung zu fragen. Wozu auch, hatte ich doch einen Vermerk aus dem Internet von einer Mole, eine Stunde von Vancouver entfernt. Schade, dass mein Navi am Tag der Anreise diese nicht erkannte – destination unknown!
In einem abgeschiedenen Tal, erreichbar via einstündiger Autofahrt von Vancouver, einer 45-minütigen Bootsfahrt den Pitt Lake hoch und weiteren 10km im Truck, entlang einer Holzfällerstrasse und zudem bewohnt von ganzen sieben Familien, entfaltet das schickste Handy nicht seine Möglichkeiten. Als ich also an der vermeintlichen Anlegestelle um 7.30 niemanden vorfand, blieb nichts anderes übrig als im Büro der Pitt River Lodge, erneut mit der rüstigen Mrs. MacGregor in Kontakt zu treten. Bedauerlich, dass diese ihre produktivsten Zeit zu fortgeschrittener Stunde erlebt und unter Einsatz aller geistigen und vor allem emotionaler Kräfte, mir geduldig wenn auch leicht verstört, ohne den Einsatz technischer als auch physischer Hilfsmittel die korrekte Anlegeadresse mitteilt. Ein halbe Stunde später, in der es wieder zu Regnen beginnt, erreichen meine Frau und ich das auf uns wartende Boot mitsamt Lenker Dan Gerak, Guide Jamey Cloete und dem vor Ort lebenden Vadim Rubinov – auf Scouting Tour fürs Erlebnisurlaubsreisebüro: Heliskiing, Jagen, Fischen – gesegnetes BC.
Fischen macht Spass – man erfreut sich der Natur, egal ob man Fische fängt oder nicht. Dieses Mantra wird gerne unter Fliegenfischern ausgetauscht. Beim Anblick der mächtigen schneebedeckten Berge, der Wolken die sich an ihren Spitzen fangen und sich im tiefen grün des Sees – die Ufer gesäumt von hochragenden Tannen – widerspiegeln, will sich dieses Gefühl nur mäßig einstellen. Mächtig beeindruckt von der atemberaubenden und majestätischen Szenerie, ertappe ich mich nämlich dabei folgende Frage zu stellen. Ist es verwerflich unter Berücksichtigung der Wetterlage und meiner Ärgernis über die eigene Idiotie, mir Sorge über den Return on Investment meiner Pitt River Expedition zu unternehmen?
Der Besuch des nahegelegenen Flusses verkraftet zeitliche und finanzielle Aufwände und der witterungsbelastete Ausflug endet resigniert, doch nicht niedergeschlagen im nächsten Wirtshaus. Führt der Ausflug um mehrere hundert/tausend Euro ins benachbarte oder entfernte Ausland, steigert sich die Enttäuschung über Misserfolge, exponentiell zu den Erwartung an das außergewöhnliche Erlebnis.
Doch der Blick in den über die letzten Wochen stark aufgefüllten, glasklaren Pitt Lake verscheucht vorsichtig die keimenden Zweifel. Man wird ja noch zu träumen wagen. Und nach dem freundlichen Empfang durch Lodgebesitzer /Bootslenker Dan und die anderen Ausflügler, wich die Sorge über den restlichen Verlauf des Tages, als auch wie ich wohl von diesen wahrgenommen werde. Beschäftigte mich doch folgendes John Gierach Zitat: Creeps and idiots can’t conceal themselves for long on a fishing trip.
Interessiert die Tagesprognosen aufgesaugt, taktische Empfehlungen verinnerlicht, Erzählungen von kampfstarken Bulltrout unter Staunen gelauscht, mache ich mich bereit zum Umsteigen in den Pick-up Truck am nördlichsten Ende des Sees. Dort suhlen sich Robben auf dem im Wasser treibenden, geschlägertem Holz. Diese reizend anzusehenden, gefräßigen Fischräuber sind das beste Indiz, dass die Bulltrout ihren langen Aufstieg aus dem Meer bereits unternommen haben. Und zum ersten Mal am heutigen Tag, werde ich von einem Gefühl der Sicherheit überkommen, tatsächlich einen aussichtsreichen Tag vor mir zu haben. Weder das Wetter, noch mein zu spät kommen, noch das Wissen darüber, heute am 31.05. die erste von einhundertvierzig Guidingtouren von Jamey pro Jahr in Anspruch zu nehmen, werden mich darum bringen einen wirklich erinnerungswürdigen Tag zu erleben.
Der Pitt River entspringt in den Gletschern des Garibaldi Provincial Park nördlich von Vancouver und verläuft nach Süden durch die Coast Mountains. Er mündet im den Gezeiten unterworfenen Pitt Lake, tritt aus diesen wieder aus um sich später mit dem längsten British Columbia Fluss, dem Fraser River zu vereinigen. Trotz der kurzen Länge im Oberlauf – 50km – entwickelt sich der Pitt River aufgrund der vielen Zuflüsse und dem Schmelzwasser der zahlreichen Eiskappen zu einem beeindruckenden Fluss, der sehr viel Wasser führt. Das in der Regel glasklare, grünlich schimmernde Wasser kann zu Beginn der wärmeren Jahreszeit eine milchig trübe Färbung annehmen. Die Strömung ist stark und das Wasser für gewöhnlich kalt. Die zum Großteil kieseligen Ufer sind leicht zu bewaten und selbst die gelegentlichen Geröllbänke stellen keine größere Behinderung dar. Haben doch Millionen von Jahren an Erosion dazu beigetragen, dass diese gleichförmig abgerundet wurden.
Die Fischerei an Pitt River ist bestimmt von seinen jahreszeitbedingten Fischwanderungen. Nur 40km von der Pazifikküste entfernt stehen die Chancen prächtig von Juli bis September Sockeyes (Rotlachse) noch silbrig und frisch, vor ihrer namensgebenden Verfärbung zu erbeuten. Anschliessend daran, von September bis November drängeln sich Cohos (Silberlachse) durch das ganze Flusssystem. An der gesamten Westküste British Columbias wird der Aufstieg der Cohos mit Spannung erwartet und das Fischen auf Cohos ist für viele Bewohner eine Lebenseinstellung. Zur kältesten Zeit – von Januar bis April – suchen Steelhead ihren Weg in die zahlreichen Nebenflüsse und Bäche, um geschützt vor den im Winterschlaf befindlichen Schwarzbären und Grizzlys, für die nächste Generation ins Meer wandernder Regenbogenforellen zu sorgen.
Ende Mai lassen sich die ersten Bull Trout (Stierforelle) im Pitt River sehen. Eine Forelle die eigentlich ein Saibling ist und in Dolly Varden und Arctic Char (Wandersaibling) ihre nächsten Verwandten hat. Der überdimensionierte Kopf und das Maul geben der Bull Trout ihren Namen. Mit einem durchschnittlichem Gewicht von 4-12 Pfund sind Bull Trout die Lieblingsfische der Guides am Pitt River. Aggressiv und in guter Fresslaune, stürzen sich diese mit Vehemenz auf den Köder und liefern einen entschlossenen Kampf.
An der Pitt River Lodge angekommen – zahlreiche Wathosen und Watschuhe, Ruten und Rollen in allen Größen, Längen und Stärken hängen auf der Veranda – drängt mein Guide die verlorene Zeit gut zu machen. Rasch wird das Schlauchboot an den Truck angehängt um die nächsten Kilometer flussaufwärts zurück zu legen. In der Zwischenzeit lichtete sich der Himmel und die dichte Bewölkung wird von der Sonne aufgebrochen. Meine Zuversicht wächst. Selbst Gedanken ob des Fangerfolgs reihen sich mittlerweile weit hinter die Faszination mit der umwerfenden Landschaft, der Abgeschiedenheit des Orts und der außergewöhnlichen Anreise. Just in dem Moment, werden meine Gastgeber sich der Verantwortung gegenüber ihrem ersten Besucher der Saison bewusst werden. Ja, Bulltrout wurden bereits gesichtet, doch den großen Andrang aufsteigender Fische erlebt der Pitt River ab Mitte Juni. Und vor mir hatte in diesem Jahr, noch kein Gast seinen Köder nach diesen kampfstarken Fischen ausgeworfen. Meinem überschwänglichen Optimismus, begegnet man mit nüchterner, abwartender Vorsicht.
In einer Webbiegung lässt man mich und Amy, sowie Vadim auf seiner Scouting Tour, aussteigen. Der Weg durch den Wald ans Flussufer wird beschrieben und in zehn Minuten erwartet man uns zum Einstieg in das Schlauchboot. Man vertraut darauf, dass ich den nächsten Treffpunkt leichter finde, als den Meeting-Point an der Mole heute morgen. Und so schlage ich mich mit meiner Gruppe an Städtern durchs Dickicht, mein linkes Ohr dem lauter werdenden Rauschen des Wasser folgend, während das rechte unvertraute Tiergeräusche zu orten versucht. Bärensichtungen sind keine Seltenheit – wenn auch von weniger gefürchteten Schwarzbären – und Elche werfen ihre Jungen im Frühsommer. Den Rat des Kanada Reiseführers, pfeifend durch Wälder zu streifen, hatte ich in der Aufregung in wenigen Minuten ein Boot zu besteigen, zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen. Das laute Scheppern der Fliegendosen und Kleinstutensilien an meiner Watjacke, verriet uns wahrscheinlich jedoch meilenweit und ohne unerwartete Begegnungen fanden wir uns in wenigen Minuten am Wasser ein, wo auch bereits etwas später unser Guide mit dem Schlauchboot eintreffen wird.
Der erste Anblick des Flusses – türkisgrün und glasklar, mit guter Sicht bis auf den Grund in einigen Metern Tiefe – bleibt unvergesslich. Dass wir uns trotz dieser augenscheinlichen Idylle in wilder, unberührter und abgelegener Natur befinden wird uns beim Anlegen der Schwimmwatwesten von unserem Guide noch einmal in Erinnerung gerufen. Gerät einer von uns über Bord unter eine Blockade an treibenden Holzstämmen – so lautet die Anweisung – unternimmt keiner einen Rettungsversuch, sondern bleibt im Boot. Ein Mann über Bord ist weniger schlimm als zwei, so gnadenlos sich das auch anhören mag.
Die Rute der Gewichtsklasse 8 zusammengesteckt, wird ein fast-sinking Polyleader an der Schwimmschnurschlaufe befestigt und ein bloß ein Meter langes Vorfach in der Stärke 0.35 angeknüpft. Schliesslich wird mit einem Rapala Knoten – zur natürlicheren Führung des Streamers – ein Clouser Minnow in der Hakengröße 1/0 an das Vorfach geknotet. Und los gehts.
Die Fischerei ist in der Regel ‘raft and wade’ und mit dem Schlauchboot driftet man von einem verheißungsvollen Flussufer zum anderen. Guide Jamey lenkt das Boot geschickt durch sich ändernde Strömungsläufe und durchsucht dabei ständig den Fluss nach Fischen die sich an den Grund drücken. Das Klatschen der Wellen an das Schlauchboot und das Rauschen des Flusses, wird von Zeit zu Zeit durchbrochen durch des Guides aufgeregte Frage an seine drei Insassen: Habt ihr diesen Fisch gesehen? Der war riesig! Doch egal wie sehr wir uns anstrengen, mit unseren Blicken die Wasseroberfläche zu durchbrechen, keine länglichen Flecken wollen sich unseren Augen erschliessen. Ich frage mich, ob man mir einfach Mut machen möchte, dass Fische ganz bestimmt hier sind und es jetzt einfach an mir liegt, diese an den Haken zu bekommen.
Überzeugt davon, dass wir soeben über einige ruhende Bull Trout hinweg getrieben sind, steuert das Boot ans Ufer. Bevor es an Land geht, forme ich noch schnell meine Hand zur Kelle, beuge mich über das Boot und nehme einige Schluck des frischen Flusswassers auf, welches unbedenklich zu trinken ist. Die Größen der Fliegen sind anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, doch der Blick durch meine Streamerbox mit seinen Winzlingen der Größe 6 überzeugte den Guide rasch, für die fressfreudigen Bull Trout größere Kaliber einzusetzen.
Ich werde angewiesen, ähnlich wie ein Lachsfischer gerade aus bis leicht schräg ab, ans andere Ufer zu werfen, die Schnur rasch zu menden um der Fliege am schnell sinkendem Vorfach, in der starken Strömung die Gelegenheit zu geben sich auf Grundnähe zu begeben. Befindet sich die Fliegenschnur in ungefähr 45° zum Flussufer, beginne ich mit raschem Strippen den Streamer einzuholen. Erfolgt kein Biss, mache ich einen erneuten Wurf an die selbe Stelle. Bleibt auch dieses Angebot unbeantwortet, setze ich ein bis zwei Schritte nach vor und wiederhole diesen Ablauf. Während dieser Zeit postiert sich mein Guide auf erhöhter Stelle um so besser das Spiel meines Streamers verfolgen zu können und eventuell einen Fisch an einer Stelle ausmachen zu können.
Konsequent halte ich mich an die Instruktion des Guides und arbeite mich Meter für Meter durch den wirklich vielversprechenden Lauf. Als sich am Ende der Strecke noch immer kein Biss eingestellt hat, weist mich Jamie an, mich noch einmal an den Beginn des Laufes zu begeben. Er kenne den Standplatz, er könne die Schatten von Bull Trout wahr nehmen und hier müssten wir den ersten Fisch haken. Der Fluss ist an der Stelle breit, Bull Trout seien nicht besonders scheu und der Umstand das ich bereits einmal durch den Lauf fischte, sollte unsere Beute nicht davor abhalten sich auf den Streamer zu stürzen, wird dieser erst einmal wahrgenommen. Er vermute die Fische näher an der Strömung und ich möge doch mit dem Einholen der Fliege eher beginnen.
Doch bis auf einen Hänger stellt sich vorerst nichts ein. Schon nähere ich mich dem Ende des Laufes und meine gespannte Erwartung ist dem Platzen nahe. Erneut geht der Wurf ans andere Ufer, schwingt mit der Strömung in meine Richtung und ich beginne den Streamer zurück zu strippen. Und doch erlebe ich wieder nur einen Hänger. Dachte ich zumindest! Bis der vermeintliche Hänger einen riesigen Schwall an der Wasseroberfläche erzeugt und abgesehen davon nur schlaffe Schnur hinterlässt. Das passiert mir nicht noch einmal schwöre ich mir und beschliesse auf jeden zukünftigen ‘Hänger’ mit einem Anschlag zu reagieren, auch wenn ich damit 5 Canadian Dollars tiefer ins Geröll bohren soll.
Lektion gelernt und sicher im Wissen, die Fische konnten bereits ihren Weg bis den Oberlauf des Flusses finden, machen wir uns hoffnungsvoll auf den Weg an die nächste verheißungsvolle Stelle. Abgesehen von der Mobilität durch das Schlauchboot, ist der Trip im Beisein eines Guides an einem riesigen unbekannten Gewässer nicht mit Gold aufwiegbar. Bevor wir an den nächsten Spot gerieten, hätte ich auf mich alleine gestellt bereits an unzähligen Stellen Halt gemacht und mein Glück versucht. Doch so navigiert uns Jamie vorbei an vermeintlich vielversprechenden Stellen, hin an ein tiefes unterspültes Loch, an einigen in das Wasser ragenden Baumstämmen. Von der Seite unzugänglich lasse ich den Streamer Meter direkt unter mich abtreiben, lasse diesen in der Strömung spielen, füttere immer mehr Meter nach bis die Fliege an den Auslauf des Lochs gerät. Tatsächlich stellt sich hier der erste Biss ein, doch die erhoffte rohe Gewalt am anderen Ende der Schnur folgt nicht, und eine kleine Cutthroat Forelle scheute nicht davor zurück den großen Streamer zu attackieren. Sehr schön anzusehen – aber nicht wozu ich hier bin.
Ich geniesse meinen Tag und bin davon überzeugt meiner ersten Bull Trout näher zu kommen. In meinem Guide vermeine ich Anspannung festzustellen. Zweifelt er an seinen Fähigkeiten mich an die richtigen Standplätze zu lotsen? Hadert er mit der richtigen Wahl der Fliege? Macht er sich Gedanken dazu, dass der Aufstieg der Bull Trout noch nicht so richtig in die Gänge gekommen ist? Hat er Bedenken bezüglich meiner Fähigkeit die Fliege an der richtigen Stelle zu platzieren und im geeigneten Moment mit der richtigen Einholgeschwindigkeit zurück zu führen?
Der Stolz meines Guides, mir einen unvergesslichen Tag zu bescheren, ist ihm vom Gesicht abzulesen. Und je heiterer das Wetter wird, desto düsterer scheint seine Miene zu werden. Dunkle Sorgenwolken brauen sich in ihm zusammen. Zwei Stunden bereits gefischt – und nicht viel dafür herzuzeigen. Letztlich steht auch einiges am Spiel. Der eigene Ruf, Kunden zu den Fischen zu führen würde durch einen Misserfolg beeinträchtigt. Dem Selbstbewusstsein wäre dies nicht förderlich. Trotz dieser merkbaren Angespanntheit habe ich absolutes Vertrauen, dass sich der erwünschte Erfolg früher oder später einstellen wird.
Den Gedanken kaum zu Ende gesponnen, während des zweiten Wurfs an neuer Stelle, werde ich aus meinem Sinnieren gerissen. Noch bevor der quer zur Strömung eingeholte Clouser Minnow mit spürbarer Wucht attackiert wird, vernehme ich die Maschinengewehrfeuer Worte meines Guides: ‘Yeah, Yeah, Come on take it’.
Und endlich stellt sich ein, wovon ich in den letzten Wochen träumte. Der harte Biss, der zornige Versuch mit wuchtigem Schütteln des Kopfs sich des Hakens zu entledigen, und die instinktive Umkehr in die Strömung, um mit rasanten Fluchten flussab sein Heil zu finden. Der Grund weshalb Bull Trout – denen man nachsagt ‘pound for pound’ kräftiger als Lachse zu kämpfen – unter Guides und Fliegenfischern so beliebt sind, wird mir bewusst als ich über Stock und Stein dem Fisch am anderen Ende der Schnur nacheile. Gelingt der Bull Trout erst die Flucht in die Hauptströmung, wird es unmöglich diese wieder in den flacheren, strömungsberuhigten Bereich zu lotsen.
Mit viel seitlichem Druck gelingt es mir den Fisch zur Umkehr der Flucht zu bewegen und nach mehreren Minuten, und weiteren Ausreißversuchen knapp vor dem Ufer, gibt sich die erste Bull Trout des Tages geschlagen und lässt sich von Jamey an der Schwanzwurzel fassen und sicher landen. Glücklich reicht mir Jamey den Fisch für ein rasches Foto, der in Stellung gebrachten Kamera durch meine Frau Amy. Kurz fassen wir beide uns und berichten einander was soeben geschah. Jamey vom Nervenkitzel der Beobachtung des attackierend Fisches, der sich aus den Tiefen erhob, meinem Streamer in kurzer Distanz folgte, bevor er mit weit aufgerissenem Maul sich auf die Fliege stürzte. Ich über das Ungestüm des aufgebrachten Kopfschüttelns der Bull Trout, das sich bis in mein Handgelenk überträgt.
Die Erleichterung und Freude steht uns beiden ins Gesicht geschrieben als wir uns wieder in Stellung bringen. Ich bis zur Hüfte im Wasser, Jamey zwanzig Meter unter mir am Ufer. Erneut wollte ich eine Bull Trout zum Zupacken zu bewegen. Noch einmal wollte mein Guide das aus nächster Nähe beobachten. Unser Wunsch sollte nicht unerfüllt bleiben und weitere zwei Mal wird Jamey, mit einem raschen Handgriff zur Verletzungsvermeidung Bull Trout zwischen 4-6 Pfund für mich landen – Fische die ich im Drill doppelt so schwer vermutete.
Bull Trout sind wunderschöne Salmoniden. Die helle Körperfarbe ist bestens angepasst an das in den Coast Mountains und im Pitt River vorherrschende Granitgestein. Wie an anderen Saiblingen, sind die äussersten Enden der Bauch-, Brust- und Afterflosse weiss gefärbt. Den gräulich, silbrigen Körper zieren gelbe, orange und lachsfarbene runde Flecken. Wandernde Bull Trout sind größer als ihre ortsgebundenen Artgenossen. Typische Pitt River Bull Trout wiegen um die 4 Pfund – Exemplare bis um die zehn werden jährlich gefangen. Ich konnte mich an den umwerfenden Fischen nicht satt sehen und kam mittlerweile so richtig auf den Geschmack. Ohnehin nicht hungrig – als auf weitere Bull Trout – wurde Lunch also im treibenden Boot verzehrt. Schliesslich wollte ich erneut die volle Kraft einer Bull Trout in meinem Arm spüren.
Der nächste Stop war ein mittelgroßer Seitenarm des Hauptflusses. Von meinem Guide wurde ich an den Kopf eines relativ langsam fliessenden Pools geschickt. Als ich den ungefähr fünfzig Meter langen Pool, bis zur Hälfte abgefischt hatte ohne einen einzigen Biss zu vermerken, schlug ich Jamey einen Ortswechsel vor, was dieser nicht guthiess und mich zur Geduld anhielt. Den Rest des Pools müsse ich durchfischen, denn er sei überzeugt Fische in diesem zu finden. Zumindest konnte ich ihm einen Fliegenwechsel abringen, und ich knüpfte eine meiner mitgebrachten Muster an. Seinen Rat die Fliege im langsamen Abschnitt etwas gemächlicher einzuholen setzte ich um und auf den Taktikwechsel erfolgte prompt der ersehnte Biss.
Die Vermutung in dem Pool noch weitere Fische vorzufinden trat umgehend ein und innerhalb einer Stunde stürzten sich sieben weitere Bull Trout auf die eine Fliege oder die andere. Darunter auch der beste Fisch des Tages mit geschätzten sieben Pfund. Einen schöneren Abschluss für diesen wundervollen Ausflug and den Pitt River hätte ich mir nicht wünschen können. Non-stop action mit jeder Menge Fischen. Wäre es nicht an der Zeit für meine Rückkehr nach Pitt Meadows gewesen, hätten wir noch einige Stunden weiter machen können und die eine oder andere Bull Trout zu meinen acht des Tages hinzufügen können. Fangberichte der Hauptsaison von Juni-Juli, mit um die dreißig gefangenen Bull Trout pro Tag, hören sich definitiv nicht mehr nach Bull an.
Weitere Info unter Fly Fishing British Columbia und Pitt River Lodge
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meintokonoma says
Wunderschöne Bilder! Da möchte man sofort auch beim schlechten Wetter hin! :)
Tankred Rinder says
Da bin ich absolut bei Dir, es war umwerfend. Und das Wetter? Bereitete uns nur im Vorfeld Kopfzerbrechen. Mit jeder Minute wurde es besser.
The sun shines on the righteous!