Ganz sanft schimmert ein Licht am Ende des Tunnels. Vier von fünf Monaten der ausgedehnten Forellenschonzeit liegen hinter uns. Mit zunehmender Dauer der Sperrzeit unserer Salmonidengewässer verändern sich aber meine Gedanken. Drehte sich anfangs alles darum eine verheißungsvolle Zukunft zu erahnen, neue Ziele zu entdecken und persönliche Rekorde zu brechen, reise ich mit jeder vergangen Woche in meinen Gedanken immer weiter zurück in die Vergangenheit. Zu Momenten des Glücks die erstaunlich oft mit fischereilichen Nebenschauplätzen zu tun haben. Scheinbar geht es nicht nur mir so…
Vom Zauber des Anfangs
Es war eine hellgrüne, gebrauchte Glasfaserrute der Klasse 6 oder 7 – schätze ich. Hersteller Daiwa- glaube ich. Beides ließ sich mangels lesbarem Aufdruck nicht mehr zweifelsfrei feststellen, und dass sie 8 Fuß 6 Zoll lang war, habe ich erst erfahren, als ich wusste, dass Fliegenruten unterschiedlich lang sein können. Mein Schwager wedelte damit vor meiner Nase herum und fragte, ob ich damit etwas anfangen könne. Wenn ja, werde das Geschenk an ihn zu einem Geschenk an mich.
Schon am nächsten Tag stand ich mit der Rute, nebst Automatikrolle und aufgespulter DT-Leine, auf der Wiese hinter dem Haus meiner Eltern und „peitschte“ die Leine vor und zurück. Was ein richtiger Wurf ist, wusste ich nicht. Youtube war noch nicht erfunden, der „Schattenwurf“ war nur ein Begriff im Manuskript eines unbekannten Autors. Dass das, was ich warf, falsch sein musste, fühlte und sah ich. Die Leine legte sich in immer anderen Kringeln und Kurven ab und am Ende nie so, wie ich das beim Beginn des Vorwärtswurfes vor mir sah. Bewegungsanalytisches ratterte durch das Hirn: Beginn-Krafteinsatz-Tempo-Dauer-Ende, schließlich hatte ich Sport studiert.
Heute weiß ich, dass dieser Moment der Point of no return in meiner fliegenfischereilichen Entwicklung war. Da war etwas Neues, was mich faszinierte und verzauberte, weil es gut sein würde, wenn es fertig war. ….. Ich dachte keine Sekunde über Fische nach, hatte nur Werfen im Sinn und die Wiese sah mich in den folgenden Wochen mit „Fliegenfischen für Anfänger“ von Hans Steinfort in der einen, und der Fliegenrute in der anderen Hand. Allmählich begann ich zu verstehen, wie Rute, Leine und Werfer ineinander verschmelzen müssen, um als Einheit zu funktionieren, sodass ein brauchbares Ergebnis und in seltenen Fällen ein Abbild der Vollkommenheit, ein „Schattenwurf“ heraus kommt.
Ich war in dieser Zeit auf dem Weg: weg von der Sitzangelei und hin zur Pirsch mit Blinker und nun vielleicht – nein gewiss – mit Fliege. Werferisch hatte ich die ersten Klippen überwunden, erinnerte mich wieder an die Fische. Mit welchen Fliegen man diese an unserem Fluss wie und wo fangen kann, wusste ich nicht und stellte mir vor, dass ich das irgendwie herausfinden würde. Dass ich das genauso im Selbstversuch lernen könnte wie das Werfen. Naivität, ein Anflug von Hybris? Auf jeden Fall ein Irrtum: Ich stand an einem 30 Meter breiten Fluss, an dessen Oberfläche absolut nichts zu sehen war, was auf Beute an dieser Stelle schließen ließ. Die ausgeworfene Nassfliege furchte von Fischen unbehelligt durch die Strömung. Eine ganze Woche lang, mehrere Stunden täglich an verschiedenen Flussabschnitten tat sie das und nichts geschah, kein „genialer“ Moment des Erkennens.
Doch die Angelgötter hatten ein Einsehen und ließen mich auf die beiden „einzigen“ Fliegenfischer treffen, die es im Umkreis von 50 Kilometern gab. Natürlich könne man mit der Fliege Fische fangen – nur nicht hier und nicht auf die Weise, wie ich das versuchte. Einer der beiden nahm mich ein wenig an die Hand, zeigte mir, wie man den Wurf verbessern könne und wie man Fliegen selber bindet und wo man in dieser verschwiegenen Wasserwüste Fische findet, die ihre Anwesenheit verraten, indem sie steigen.
Dann kam der Tag der in meinem Gedächtnis auf ewig eingebrannt sein wird: Über die Kiesbank, auf der hin und wieder Äschen stiegen, ließ ich die selbst gebundene „Delta Wing Caddis“ treiben – ich weiß nicht mehr zum wievielten Mal – und erwartete nichts. Plötzlich verschwand meine Fliege in einem Steigring. Ich reagierte erst nicht und dann doch mit einem viel zu heftigen Anhieb. Am Haken hing ein 25cm großes Äschlein und fiel mir mehrere Male aus den vor Aufregung zitternden Händen ins Wasser, bevor ich es lösen konnte. Die Welt veränderte sich: die Farben des Oktobers leuchteten intensiver, das Wasser murmelte vertrauter und ich fühlte mich dort angekommen, wohin ich gewollt hatte.
Von nun an fing ich Äschen mit der Trockenen, viele Äschen in diesem klaren Wasser der Vorkormoranzeit auf den Kiesbänken meines Heimatflusses. Und über den Winter band ich Adams, Large Olive, Red tags, Peter Ross, Alexandra, Hares Ear und Pheasant Tail, die Fliegen meiner frühen Jahre.
Mein erster Fliegenfischerfrühling war eine Jahreszeit voller Erwartung und Vorfreude auf das Kommende. Ich erinnere mich an die Begegnungen mit Eifelflüsschen, an die Rur in Monschau, die Olef, die Kyll, an den Wisserbach im Bergischen, an maigrüne, dunkle Tunnel aus Erlen und an Sonne, die in Bahnen durch die Bäume fingert. Ich erinnere mich an Eintagsfliegenschwärme im Hochzeitstanz, an singende Amseln, bedrohlich aussehende Stiere auf zu überquerenden Wiesen, an ein unfreiwilliges Vollbad, an Traumstellen voller Forellen und an Hunger und Durst, weil der Zauber des Anfangs, in der Furcht etwas zu versäumen, mich die Flüsse und Bäche hinauf und hinunter trieb. Ich fühle noch die Steinfliegen, die in meinem Nacken landeten und erinnere mich an Abenddämmerungen, in denen ich müde und unschlüssig, ob ich noch weiter fischen oder aufhören sollte, an Ufermauern lehnte.
In diesen Tagen fischte ich im „Akkord“. Nur gelegentlich konnte ich mir eine kurze Pause abringen, um den Frühling, den Gesang der Vögel, die Köcherfliegen über dem Wasser wahrzunehmen. Manchmal musste ich mich zur Ruhe zwingen – und zum Beobachten. Ich erkannte Traumstellen nicht als solche, konnte die Gewässer noch nicht richtig zu lesen. Manche Strecke erschien mir wie ein verschlossenes Buch. Aber es war ein Frühling und Sommer, der an Erfahrungen, Erlebnissen, Irrtümern und ungestümer Freude reicher war als alle Sommer vorher.
Jedesmal, bevor ich nach Hause fuhr, nahm ich mir einige Minuten Zeit, mich vom Flüsschen zu verabschieden, suchte die ein oder andere Stelle noch einmal auf, verweilte dort und hörte den Vögeln zu. Diese Frühlingstage haben sich in meinem Gedächtnis eingebrannt. Ich erinnere mich an Glücksmomente, den Zauber des Anfangs , als ich mich unbändig über jeden gefangenen Fisch freuen konnte……… Manchmal hätte ich diese Zeit gern zurück. Als gestandener Fliegenfischer vermisse ich die vielen neuen Eindrücke, die Unsicherheit des Ausgangs, die Vorfreude und das Glück des Erfolgreichen, das, was alles zusammen den Zauber des Anfangs ausmacht, ….“der uns beschützt und der uns hilft zu leben” und der mich als Erinnerung mein Leben lang begleiten wird.
Werner Berens verließ im Alter von 5 Jahren mit seinen Eltern die staubige „Rübensteppe“ seiner frühen Kindheit und kam in eine Landschaft voller klarer Bäche, Baggerseen und Teiche. Vor 30 Jahren „entdeckte“ er das Fliegenfischen und fischt seitdem ausschließlich mit der Fliege. Altersmäßig reitet er in den Sonnenuntergang und hat sich vorgenommen, mit 120 nach der Landung einer Äsche jenseits der 50cm kurz und schmerzlos in die ewigen Jagdgründe zu wechseln.
Discover more from Forelle & Äsche | Fliegenfischen | Fliegenbinden
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Leave a Reply