‘Die Urft fließt direkt unter dem Küchenfenster unseres Elternhauses vorbei.
Flußabwärts, wo das Wasser für die Zehnermühle abzweigt, ist der Rauschen. So nennen die Leute in der Gegend das Wehr, weil der Fluß dort zwei Meter in die Tiefe stürzt. Vor dem Rauschen ist die Urft breit, strömt an der Hausmauer unserer Gaststätte entlang, dort stehen die großen Forellen, die mein Bruder, Hermann, als wir Kinder waren, aus einem Fremdenzimmer mit dem Feldstecher beobachtete.‘
So beschreibt Norbert Scheuer einen Abschnitt des 50km langen Eifelflüßchens in seinem Roman ‘Überm Rauschen’ – einer Verfallsgeschichte einer Eifeler Familie, für die Erlebnisse beim Fliegenfischen die dünne Seide sind, die gebrandmarkte Familienmitglieder zusammenhält. Als ich am Gumpen unmittelbar unterhalb von Gemünd im Wasser stehe, muss ich mir nicht wie Scheuers Protagonist Leo erzählen lassen ‘von Forellen und Äschen, die hinter den Brückenpfeilern standen, in den Strömungskanten und Gumpen am Rauschen unterhalb des Wehrs.’
Denn als ich dort ankam – beinahe am oberen Ende der 4,5km langen Strecke in Gemünd – konnte ich mich schon längst vom Vorhandensein kräftiger, gut gewachsener Forellen & Äschen mit eigenen Händen und Augen überzeugen. Auf einer abwechslung- und strukturreichen Strecke, die auch wenn sie beinahe geradlinig entlang einer Hochwasser Schutzmauer durch den Kurpark läuft, gehen langezogene Rauschen in tiefe Rinnen über, ist das Flussbett von unzähligen großen Steinen übersät, haben sich Gumpen unter den längst aufgelassenen Kleinwehren gebildet.
Die Wehrgumpen sind ein Relikt Gemünds industrieller Vergangenheit. Seit dem 15. Jhdt. war das Städtchen von der Eisenindustrie geprägt. In der gesamten Nordeifel befanden sich dutzende Reidtwerke – diese würde man heute als Hüttenwerke bezeichnen – die sich die reichen Holzkohlevorkommen zu Gute machten. Hier wurde Eisenerz geschmolzen, zu Stabeisen verarbeitet und zu Schmiedeeisen weiterverarbeitet, Industriedrahte und Gas- und Siederohre wurden erzeugt. Bis 1860 war die Nordeifel – eine heute von sanftem Tourismus geprägte Naturlandschaft – das industriereichste Gebiet des Rheinlands.
Schwer vorstellbar, dass 1845 in Gemünd mehr Arbeiter in der Eisenindustrie beschäftigt waren, als bei Krupp in Essen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde aber die Holzkohle durch hemmungslosen Abbau knapp und die lange geplante Einbindung in das Eisenbahnnetz erfolgte zu spät. Zudem erwies sich die aus dem Ruhrgebiet stammende Steinkohle, als qualitativ überlegener Energielieferant. Nach und nach verlagerten alle Werke ihre Produktionsstätten nach Dortmund und Essen,bis schliesslich 1860 das letzte Eisenwerk in Gemünd seine Öfen ausmachte und Maschinen und Belegschaft nach Düsseldorf zogen.
Von Gemünds industrieller Vergangenheit ist heute absolut nichts mehr zu sehen – wie auch allgemein wenig von seiner Vergangenheit. Im Herzen der Eifel/ Ardennen und nahe der NS Ordensburg Vogelsang gelegen, wurde das einst mit Bürgerhäusern durchzogene Städtchen im November 1944 schwer beschädigt. Somit zieht Gemünd weniger Touristen an, als das nahe gelegene Monschau. Interessierten Beobachtern begegnet man trotzdem, zumal die fischereilich wirklich interessante Strecke durch den Kurpark verläuft und beide Stadtseiten von mehreren Brücken verbunden werden. Das der kleinen Stadt das Recht auf die Bezeichnung Kneipp Kurort zugesprochen wurde, ist ein Beweis für die ausgesprochen hohe Wasserqualität der Urft. Schon die Römer wussten diese zu schätzen und legten eigens eine Wasserleitung nach Köln.
Als ich erfuhr, dass meine Firma mit den Kundeberatern einen zweitägigen Team Boxenstopp in Gemünd, zur Ermittlung der Zufriedenheit mit der Arbeitsplatzkultur des eigenen Unternehmens beschlossen hatte, kannte meine Freude keinen Halt mehr. Wie so oft an den Flüssen in der Eifel, ist die Ausgabe einer Fischereitageskarte an den Nachweise über ein oder zwei Übernachtungen in einer Unterkunft im Landkreis geknüpft. Eine weitere Nacht in Gemünd wurde angehängt und mit meinen Kölner Freund Veit, rasch ein Treffen an der Urft vereinbart. Er gehört nämlich dem Fischereiclub vor Ort an und während gelegentlicher Feierabendbiere, liess ich mir von Saiblingen, Forelle & Äsche in stattlicher Größe berichten.
Während meine KollegInnen die Pausen zum Austausch über die Qualität der internen Führungskultur, Mitarbeiterorientierung und Teamzusammengehörig- keit nutzten, bevorzugte ich es die ‘identifizierten Handlungsfelder’ alleine am Spaziergang entlang der Urft zu verarbeiten. Vorbei am Trafohäuschen, dem die Verbundenheit der Gemündner mit dem Fliegenfischen anzusehen ist, indem die Spielplatz zugewandte Seite mit Fischer und Forelle bemalt ist. Weiter am Fahrradweg Richtung Urfttalsperre entlang, rauf auf eine der vielen Brücken, beides hervorragende Gelegenheiten Forelle & Äsche an ihren Standorten, bei Beutezügen, als in auch Ruhephasen zu beobachten. Und so steckte ich bereits am Vorabend meines Ausflugs ans Wasser, Markierungsnadeln in mein Gedächtnis, wo ich die beiden Regenbogenforellen cruisen sah, auf welcher
Kiesbank die enorme Äsche stand, die ihre Fahne in der Strömung schwang.
Am nächsten Morgen ging es früh aus dem Bett und nach einem beherzten Frühstück und der telefonischen Abstimmung mit Veit, der soeben Köln in Richtung Eifel verliess, rein ins Wasser an der am weitesten flussabwärts gelegenen Stelle meiner Erkundungstour. Der Wasserstand war wie häufig im Spätsommer sehr niedrig. Da ich am Vortag bereits Forellen beim Nymphen beobachten konnte, entschloss ich mich zu einem Spider in Größe 16. Schwer genug um die Wasseroberfläche zu durchbrechen, jedoch leicht genug um selbst in träger Strömung nie bis an den Grund zu sinken. An jeden Ausflug ans Wasser begleitet mich ein unerschütterlicher Optimismus, dass der heutige Tag ein ganz besonderer werden wird. Und als ich mit dem ersten Wurf eine eine jugendliche Bachforelle landen konnte, war ich davon überzeugt, dass der niedrige
Wasserstand und die starke Abkühlung der letzten Woche, sich nicht nachteilig auf die Fischerei dieses Tages auswirken wird.
Zwanzig Meter weiter nähere ich mich dem Pool, an dem ich am Vortag die zwei
Bachforellen ausmachen konnte. Vorsichtig wate ich in den immer tiefer werdenden Abschnitt. Und egal wie vorsichtig ich mich bewege. Ich sende Bewegungswellen aus, die sich langsam wogend über den klaren, stillen Gumpen wälzen. Ich verharre auf der Stelle, sehe dem Fischreiher nach der sich durch mich von seinem Platz hat verscheuchen lassen und ahme ihn nach. Bewegungslos lasse ich meinen Blick über das klare Wasser schweifen und warte einige Minuten, um den ersten Wurf zu machen. Nach einigen Würfen verhält sich die ruhig auf mich zu treibende Schnur ungewöhnlich, treibt nicht mehr leicht schwebend auf mich zu, sondern stoppt und wird schwer. Anschlag in einen kräftigen Widerstand und der Haken sitzt. Ganz kurz keimt das Gefühl eines Hängers auf, wäre da nicht das leichte Zittern in der Rutenspitze, das auf ein muskulöses Kraftpaket am anderen Ende der Schnur hindeutet. Und noch bevor ich diese Gewissenheit verinnerliche, treibt die erschlaffte Fliegenschnur auf mich zu. Verdammt, Vorfachbruch.
Während ich in der Fliegenweste kramte, kann ich einige Regenbogenforellen gemächlich durchs Wasser schweben sehen. Also ruhig bleiben, neue Fliege ran, besser auf den Knoten des feinen 0.14mm Vorfachs achten und einfach weitermachen. In der hochsommerlichen Fischerei bei kristallklarem Wasser bevorzuge ich so feines Vorfach wie möglich. Die durch den niedrigen Wasserstand aufgeregten Fische, versuche ich nicht mit dicken Vorfächern und großen Fliegen, noch mehr zu beunruhigen. Und während ich so dastehe und darauf warte das die Ringe auf dem Wasser, die ich selbst bei leichtester Bewegung auslöse, wieder in die Stille des Pools übergehen, kreuzt fünf Meter vor mir eine Forelle meinen Standplatz. Als ich noch überlegte, ob ich die Regenbogner womöglich aufscheuchte, trieb mich ein unerklärlicher Impuls dazu, meine Fliege vorsichtig in Richtung des cruisenden Fisches zu werfen. Achtsam, um den aus meiner Sicht bereits auf mich aufmerksam gewordenen Fisch, nicht mit meiner Fliegenschnur zu überwerfen, lege ich mein langes Vorfach seitlich über ihm ab. Wieder treibt die Schnur gemächlich auf mich zu, zuckt plötzlich einen Zentimeter flussauf. Diesmal hielt der Knoten und einige bange Minuten später halte ich die erste Forelle guter Größe in meinen Händen.
Eine viertel Stunde später und eine weitere Forelle um die 40cm im Kescher, läutet das Telefon und Veit hat aus Köln kommend Gemünd erreicht. Gerne hätte ich den Pool noch länger befischt, doch bereitwillig folge ich den Ratschlägen reviererfahrener Fliegenfischer und lass mich ohne Widerstand dazu verleiten, den produktive Gumpen zu verlassen. Auf dem Weg flussaufwärts an ein kilometerlanges Stück, das vermeintlich von Einheimischen aufgrund der etwas schwierigeren Befischbarkeit gemieden wird, überqueren wir eine Brücke. In der Mitte des Flusses fällt uns eine große Forelle auf, die im knietiefen Wasser auf einer Schieferplatte steht. Während wir den Prachtfisch beobachten stellen wir fest, dass dieser dort nicht nur Stellung bezogen hat um sich auszuruhen, sondern gelegentlich nach rechts oder links ausschwingt um eine Nymphe auf ihrem Weg an die rettende Wasseroberfläche abzufangen.
Trotz der Schwierigkeit diesen Fisch anzuwerfen, beschliessen wir einen Versuch zu unternehmen. Ein Rückhand Rollwurf ist die einzige Möglichkeit die Fliege zu werfen, und für den Anschlag bietet sich eine 30cm Öffnung im dichten Gebüsch. Nachdem ich bereits zwei schöne Forellen fangen konnte, lasse ich meinem Begleiter den Vortritt. Nach zwanzig Würfen mit seiner Gammarus Imitation – einer beliebten und zahlreich auftretenden Futterquelle in der Urft – übergibt mir Veit den Platz, um mein Glück versuchen. Wie bereits ich zuvor, begibt sich Veit nun auf die Brücke um Anweisungen zu geben. Einen Meter weiter raus, Schnur zurück ziehen um die Fliege in Position zu bringen usw.
Immer wieder lege ich die Rute über meine linke Schulter, um die Fliege mit einem Rollwurf in die richtige Drift zu bekommen. Und plötzlich erhebt sich Veits Stimme zu einem aufgeregten jajaja, als die Forelle ihre Position verlässt,
nach links schert, ihr Maul öffnet und meine 16-er Nymphe inhaliert. Noch ehe die Worte verklingen, vernehme ich die Spannung meiner Schnur. Doch der Anhieb – ja der – findet leider nicht seinen Weg durch die kleine Lücke im Geäst. Der Anschlag verpufft, der Kontakt ist nicht hergestellt, der Haken sitzt nicht, auch wenn ich den Widerstand am Ende der Schnur für eine Sekunde lang fühle. Durch den leichten Schnurbauch, wäre der Anschlag entgegengesetzt der Flussrichtung die bessere Variante gewesen mit diesem Fisch sicheren Kontakt herzustellen, anstatt die Rute durch die Lücke im Gebüsch zu befördern. Oh well, you live and learn!
Nachdem sich die Enttäuschung über die vertane Chance gelegt hatte, begeben wir uns in den grünen Tunnel. Haben wir den steilen Abstieg erst geschafft, stellt sich die Fischerei einfacher heraus als es aus der Höhe des Radwegs aussieht.
Zugegeben, das Ufer fällt beinahe vertikal ab und Einstiegsstellen müssen gut gewählt werden. Die Urft hat sich hier über Jahrtausende in das Schiefergestein gefressen und beim Waten gilt es vorsichtig zu sein auch wenn das Wasser nicht besonders tief ist, wie an diesem kühlen Spätsommertag. Das Werfen gestaltet sich aber weniger schwierig als angenommen und die auf der steilen Böschung hoch ragenden Bäume, behindern selbst Rückschwünge kaum. Hier unten zeigte sich die Urft von einem anderen Gesicht. Tiefe Rinnen entlang ehemaliger Fabriksmauern, die heute das Fundament eines Rad-und Spazierwegs bilden. Kleine Gumpen der ehemaligen kleinen Wehre, zahlreiche Steine in allen Größen bieten Schutz und Unterstand für Forelle & Äsche. So können wir auf dem Weg flussaufwärts an vielen Stellen gute Fische ausmachen.
Die Nervosität der Fische aufgrund der niedrigen Wasserstände war an diesem Tag augenscheinlich. Zeugten die einen von Unruhe mit ihren stark zitternden Flossen, dem ruhelosen Zucken auf der Stelle, bewegten sich andere auf die exakte Höhe von uns Fischern vor und beobachteten das unbekannte Objekt am Ufer, still aus ihren Augenwinkeln und drückten sich dabei fest und bewegungslos auf den Grund. Sinnlos diese Fische anzuwerfen, vergeudete Zeit. Und trotzdem sollten noch weitere Fische – und keine unter 35cm – heute noch an den Haken geraten. Zugegeben, die Bachforellen hatten sich verschanzt und Äschen die wir sahen, waren durch nichts aus der Ruhe zu bringen, geschweige denn zum Anbiss zu verleiten. Und dennoch bleibt dieser Ausflug an die Urft, auch aufgrund der erschwerenden Hindernisse – massiver Temperatursturz, kristallklares Niedrigwasser – und der für diese Verhältnisse, aus meiner Sicht guten Ausbeute von vier Regenbogen- und einer Bachforelle, in sehr guter Erinnerung. Den nächsten Besuch kann ich kaum erwarten.
Tageskarten:
Strecke Gemünd
Nationalparktor Gemünd
Kurhausstraße 6
53937 Schleiden – Gemünd
Telefon: 02444 – 2011
Fax: 02444 – 1641
E-Mail: info@natuerlich-eifel.de
Preis: 25€ (plus zwei Übernachtungen vor Ort)
Discover more from Forelle & Äsche | Fliegenfischen | Fliegenbinden
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Daniel Gnädig says
Sehr sehr schön… Danke für deinen sehr schönen Artikel über meine Heimat und mein Heimatgewässer…
Tankred Rinder says
Hallo Daniel,
es freut mich sehr, dem Reiz Deiner Heimat mit dem Artikel gerecht geworden zu sein. Urbanes Fliegenfischen ist kaum idyllischer auszuüben als an der Urft in Gemünd. Mein nächster Besuch kommt ganz bestimmt.
Beste Grüße, Tankred