Wenn dieser Artikel live gehen wird, werde ich auf einem Zwischenstopp in New York gelandet sein. Nach einem viertägigen Aufenthalt im Big Apple, geht es weiter nach Vancouver, British Columbia. Als Amy meine Frau, mir den Vorschlag machte uns zur Hochzeitsreise an die pazifische Nordwestküste zu begeben, musste ich kurz meine Ohren reiben. Vorsichtig erkundigte ich mich, ob sie sich dessen bewusst sei, dass Kanada und Nordwestamerika von Flüssen und Seen durchzogen ist, in dem ganzjährig Cohos, Sockeyes, Chinook, Pink Salmon, Cutthroats, Bulltrout, Dolly Vardens und Steelhead ihre Auf- und Abstiege durch mächtige, in den Pazifik mündende Flüsse unternehmen.
Völlige Klarheit darüber, dass die romantische Reise im Wohnmobil durch British Columbia, Idaho, Oregon und Vancouver Island äußerst attraktive Fischgewässer kreuzt, wurde die Abmachung getroffen, dass pro Woche ein ganzer Tag mir und der Fischerei vorbehalten sein wird. Plus der gelegentlichen Stunde oder zwei, an einem in Nähe des Campingplatzes gelegenen Flusses oder Sees. Der Barbecue Grill möchte doch auch gelegentlich mit frischem Fisch belegt werden. Amy kann sich für das Fischen nicht begeistern, gesteht aber unbestritten ein, dass von mir geplante Ausflüge oder Reisen uns unweigerlich an landschaftlich besonders reizende Plätze führen. Orte an denen der Kameraauslöser unentwegt betätigt wird. Stellen an denen die Staffelei oder der Skizzenblock ausgepackt wird.
Somit war die Aufgabenteilung klar. Rechercheaufgabe Amy – funky Hotels, kulinarische Highlights, Kunst- und Designtempel in New York, Portland und Vancouver. Rechercheaufgabe Tankred – die Punkte des pazifischen Nordwestens: kanadischen Rockies, Okanagan Tal, Puget Sound, Vancouver Island zu einer spannenden Rundreise zusammenführen, der unsere beiden Interessen verbindet. Bis zur unumgänglichen Flugbuchung, drohte das Projekt einige Male zu kippen, als sich die Gravitation der Planung von der Hochzeitsreise, allzu sehr in Richtung Fischurlaub verschob. Nun gut, Reiseziele und Verweildauer wurden angepasst und korrigiert. Wir hoben ab!
Bereits die Erwähnung Vancouver rief in mir Fantasien hervor, die ich noch vor einigen Monaten, als ich in wenigen Tage Roderick Haig-Browns ‚A River Never Sleeps‘ verschlang, als solche abtat. Wünsche, Träume die ich gerne – irgendwann – einzulösen gedachte. Bevor mir dieses Buch in die Hände fiel, dachte ich beim Fischen in Kanada an den Yukon, vielleicht Saskatchewan. Dass sich in wenigen Autostunden entfernt von der zweit größten Stadt der Nordamerikanischen Nord-Westküste, Vancouver, ein Paradies eröffnet – unfassbare Lachs- und Steelheadwanderungen, der Obstgarten der Nation, riesige Weideflächen für die größte Rinderranch des Landes, Durchzugsstraße und Vermehrungsplätze von Walen, unzählige sprudelnde heiße Quellen und die einzige Wüste Kanadas – war mir vor dem Öffnen dieses Buches in diesem Ausmaß nicht bewusst. Und nun? Nun befinde ich mich bereits in der Anfangsphase eines Trips, der an der Oberfläche kratzt, worüber Haig-Brown in malerischer Sprache spricht. In bildhaften Ausführungen von denen ich hoffe, dass sich diese selbst fünfundsechzig Jahre nach der Ersterscheinung seines Buches ‚A River Never Sleeps‘ einlösen werden.
Roderick Haig-Brown (1909-1979) war ein Gigant unter Angelliteraten. Das literarische Talent wurde ihm dabei in die Wiege gelegt. Zum einen von seinem Vater – Lehrer, Offizier und Gefallener des Ersten Weltkriegs, der zu Lebzeiten hunderte Artikel und Gedichte zu Sport, dem Militär und Pädagogik verfasste. Halb verwaist, zog Roderick Haig-Brown mit seiner Mutter in deren Elternhaus. Das Heim eines wohlhabenden westenglischen Bierbrauers, alter viktorianischer Schule. Die dem jungen Roderick Haig-Brown anvertrauten Tugenden Fleiß, Dienst, Fair Play, Anständigkeit und Anerkennung der Pflichten die gesellschaftlicher Stand und Bildung mit sich bringen, sollten sich jedoch erst später in voller Blüte entfalten.
Den Besuchen mit dem Großvater beim englischen Poeten Thomas Hardy konnte der sechzehnjährige Haig-Brown noch nicht sehr viel abgewinnen und zog es vor mit seinen Onkeln am Anwesen zu fischen und zu jagen. Unter der Obhut des Familienfreunds und Mentors Major Greenhill – der dem jungen Roderick das Können und die Ethik des Sports beibrachte – und insbesondere des Jagdaufsehers ‚Old Fox’, verinnerlichte Haig-Brown die Werte die sein späteres Leben und Wirken maßgeblich beeinflussen werden: Naturschutz und die komplexen Zusammenhänge der Umwelt. In seiner Kindheit keimte somit nicht einzig, die spätere fischereitechnische Expertise Haig-Browns sondern vor allem die Ausgewogenheit zwischen Leidenschaft und verantwortungsvollem Handeln. Das Interesse Haig-Browns ging dadurch weit über den Jagdinstinkt und den Fang von Fischen hinaus und im Zentrum der Ausübung des Fliegenfischens, standen Wissenserwerb und innige Sorgfalt für die Kreatur Fisch und sein Umfeld.
Vom Schulunterricht ausgeschlossen aufgrund sich häufender Trinkgelage und Fehlstunden, gesellte sich der siebzehnjährige Haig-Brown zu seinem in Seattle lebenden Onkel, um sich im Staat Washington als Holzfäller zu verdingen. Nach Ablauf seines US Visas überquerte er kurzerhand die Grenze ins benachbarte Kanada und verbringt dort weitere drei Jahre als Holzarbeiter, als Fallensteller, auf einer Fischfangflotte und gelegentlich als Guide für Sportfischer. 1931 kehrt er schließlich nach London zurück um dort seine ersten Bücher Silver: The Life of an Atlantic Salmon und Pool and Rapid zu schreiben. Die Eindrücke Kanadas und British Columbias im speziellen suchen ihn jedoch stets heim und 1932 kehrt er dorthin zurück. 1934 heiratet er seine Frau Ann, mit der er sich von nun an in Campbell River auf Vancouver Islands bis zu seinem Tod niederlassen wird.
Zeit seines Lebens, während dem er von 1941-1974 als Zivilrichter und von 1970-1973 als Universitäts Rektor tätig war, verfasste Roderick Haig-Brown fünfundzwanzig Bücher – darunter gefeierte Kinderbücher. Seine naturschützerischen Tätigkeiten als Kurator von Nature Conservancy of Canada, Berater der BC Wildlife Federation und des Federal Fisheries Development Council, der International Pacific Salmon Fisheries Commission, sowie von Trout Unlimited, schränkten seinen literarischen Output seit Mitte der sechziger Jahre maßgeblich ein.
Zu diesem Zeitpunkt lag die Erstveröffenlichung von ‘A River Never Sleeps’ bereits zwanzig Jahre zurück. Und doch findet sich dieses Buch zu Recht auf den Topplätzen der Muss-man-gelesen-haben Listen des Verlegers und Journalisten Nick Lyons und der Schreiber Thomas McGuane und Charles Rangeley-Wilson. Der universelle Charakter und die Anziehungskraft dieses Buches, das gleichermaßen Anerkennung findet unter Fischern als auch Naturfreunden, liegt begründet in Haig-Brown’s Liebe für seine Umwelt. Haig-Brown war ein sehr respektierter, erfolgreicher Fischer dessen holistisches Interesse für das Umfeld in dem sich Fische finden wichtiger waren, als die Fischerei selbst. Die Suche nach dem Verständnis der Zusammenhänge natürlicher Ereignisse rückt ins Zentrum seines Schreibens. Für ihn war es von größeres Bedeutung zu erkennen wann und warum Fische ihre Standplätze und Jagdreviere beziehen, anstatt Hot Spots auf ihre Funktion als Fangstellen erster Güte zu reduzieren.
‚A River Never Sleeps‘ ist die persönlichste und autobiografischste aller Veröffentlichungen Roderick Haig-Browns. Schöpft das Buch doch aus den schillernden Erfahrungen seiner Kindheit, Jugend und dem abenteuerlichen Werdegang vom Holzfäller zum Zivilrichter und den zahlreichen Tagen, die er im und am Wasser verbringt. In zwölf Kapiteln die sich dem Fischfang und den Beobachtungen zu den Veränderungen in Flora und Fauna vom Jahresanfang bis zum Jahresende widmen, führt uns Haig-Brown an das Wunder der Lachs- und insbesondere Steelheadwanderungen heran. Die Kindheitstage der Entdeckung seiner Leidenschaft für das Fischen an den Flüssen der südwestenglischen Grafschaft Dorset, verlaufen dabei im Tandem mit der Erforschung der großen Steelhead, Lachs, Cutthroat Flüssen als auch der Regenbogenforellenseen British Columbias, während seiner Erwachsenenzeit.
‚A River Never Sleeps‘ ist ein thematisch zeitloses als auch sprachlich wenig alterndes Buch, dass der Frage des warum wir fischen auf den Grund geht. Wie in anderen vor und nach ihm, rückt dabei die Überzeugung in den Mittelpunkt, das im Zentrum der Leidenschaft Fliegenfischen, Mysteriosität schlummert, die sich mit den Erfolgen als auch der unweigerlichen Enttäuschungen des Fischfangs nicht erfassen lässt. Fischen mit Rute und Leine, dient den meisten Anglern keiner Funktion, sondern transzendiert die Verbundenheit die wir verspüren, wenn sich das Ende der Schnur schwer anfühlt.
“I still don’t know why I fish or why other men fish, except that we like it and it makes us think and feel. But I do know that if it were not for the strong, quick life of rivers, for their sparkle in the sunshine, for the cold grayness of them under rain and the feel of them about my legs as I set my feet hard down on the rocks or sand or gravel, I should fish less often. A river is never quite silent; it can never, of its nature, be quite still, it is never the same from one day to the next. It has a life of its own beauty, and the creatures it nourishes are alive and beautiful also. Perhaps fishing is, for me, only an excuse to be near rivers. If so, I’m glad I thought of it.”. Roderick Haig-Brown 1946
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Anonymous says
Bis zur unumgänglichen Flugbuchung, drohte das Projekt einige Male zu kippen, als sich die Gravitation der Planung von der Hochzeitsreise, allzu sehr in Richtung Fischurlaub verschob…
hehe. Wer kennt das nicht.. :D
Tankred Rinder says
Haha, doch was wäre der Urlaub ohne das zähe Ringe, das Verhandlungsgeschick, den Kompromiss? Ähnlich erfüllend wie der Fang von Fischen, die List und Können unterfordern.
BG Tankred