1997 wurde mit Richard Hoffmanns Fischers’ Craft and Lettered Art: Tracts on Fishing from the End of the Middle Ages ein Buch veröffentlicht, dessen zögerlich formulierte – in seiner Essenz aber gewagte These – die uns bis dahin übermittelte Geschichte des Fliegenfischens von Grund auf verändern würde. Hoffmanns Aussage: ‘es existieren zwingende Fakten, Fliegenfischen sei bereits im 13. Jahrhundert in ganz Europa weit verbreitet praktiziert worden’, beschäftigt Angelhistoriker seit damals.
Ebenfalls berührt von dieser Meinung wurde Andrew Herd, Betreiber der brillanten Website www.flyfishinghistory.com. In seinem vorliegenden Buch ‘The Fly‘ verfolgt Herd somit, anhand akribischster Recherche die Anfänge des Fliegenfischens zurück bis in die Spätantike. Mazedonien, in viel späterer Folge Süddeutschland, die Schweiz und Spanien werden hierin als die Wiege des Sports bezeichnet, auch wenn ein überwiegender Großteil aller Entwicklungen tatsächlich ab dem 15. Jahrhundert aus England kamen.
Inhaltlich – analog mit der historischen Entwicklung Europas, nach dem Niedergang des römischen Reichs – klafft eine weite Lücke an schriftlich überliefertem Material, von der Spätantike bis in die Neuzeit zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Das Dunkel des Mittelalters sorgte auch beim Thema Fliegenfischen für spärlich gesätes schriftliches Material. Das erschwert die Arbeit des Historikers einen lückenlosen Übergang darzustellen: von der ersten Erwähnung Forellen mit der Fliege zu fangen, bis zu einer umfänglichen Auflistung von Kunstfliegen (The Tegernsee Manuskript, Treatyse of Fishing with an Angle) zum Fang derselben.
Ab diesem Moment an aber strotzt ‘The Fly‘ nur so von detailliertem, stets humorvoll erstellten Chronologien der Entwicklung aller Aspekte des Fliegenfischens. Herd gelingt die meisterhafte Leistung, alle Fortschritte und Erneuerungen der Flugangelei im historischen Kontext seiner Zeit zu erfassen. Entlang zweier parallel verlaufenden Stränge erfasst Andrew Herd mit Witz und Enthusiasmus für Vollständigkeit, jeden kleinsten Aspekt der Weiterentwicklung von Material und Techniken und deren Bedeutung für den gesamten Sport.Zum einem die geschichtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ereignisse und deren Entwicklung, und zum anderen die Zusammenhänge und Verhältnisse dieser fortschrittlichen Errungenschaften auf den Sport sowie seine Protagonisten –
Zurückgreifen kann Herd dabei glücklicherweise auf reichhaltige Literatur aus hauptsächlich dem angel-sächsischem Raum, welcher Fliegenfischen mit mehr Stoff versorgte als alle anderen Sprachräume gemeinsam.
Musste sich Herd zur Zusammenstellung einer mittelalterlichen Historie noch auf rare klösterliche Sammlungen spanischer und bayrischer Provenienz verlassen, so kann er bei der Erfassung der Schriften ab Ende des 15. Jahrhunderts, auf weitläufige staatliche sowie private und somit leicht zugängliche Sammlungen zurückgreifen.
Herd’s Vermögen gesellschaftliche, politische und ökonomische Zusammenhänge zu erstellen, wird an kaum anderem historischem Zeitpunkt deutlicher, als dem Moment nach der Erfindung des Buchdrucks. Und nicht ohne ein kleines Zwinkern in den Augen, erinnert uns Andrew Herd an die Veröffentlichung von neun Millionen Buchveröffentlichungen zwischen 1455 – 1500; zu einer Zeit als vier Fünftel der Bevölkerung des Lesens nicht mächtig waren.
Besonders eindringlich wird in ‘The Fly’ auch die Beharrlichkeit unserer fliegenfischenden Vorfahren in Erinnerung gerufen. Die Weiterentwicklung des Sports in seinen Ursprüngen, verdanken wir nur zu einem geringen Teil kommerziellen Interessen. Enthusiasten des Fangens von Fischen mit künstlichen Fliegen, griffen auf die sich in Umwälzung befindlichen und dabei stetig verbesserten Produktionsprozesse zurück, um Material- und Produktverbesserungen in kleinsten Segmenten des öffentlichen Handels herbeizuführen.
Herds aussergewöhnliche Gabe der Interpretation von überlieferten Texten, lässt ihn längst geglaubte Weisheiten unter anderen Gesichtspunkten betrachten. Somit stößt sein rastloser und erforschender Geist auf alternativere Betrachtungsweisen zu anderen Schreibern, denen es weniger gelingt ihre 21. Jahrhundertperspektive abzulegen, wenn es um die Betrachtung historischen Stoffes geht. Heute selbstverständliche Konzepte – z.B. false casting – entwickelten sich nebulös und deren ursprünglicher Zweck diente anderen Zielen, als ihr moderner Gebrauch.
‘The Fly‘ ist ein ausführliches Werk von dem man behaupten kann, dass es sicherlich zu meinen Lebzeiten kein umfassenderes Buch zur historischen Entwicklung von Fliegenfischen geben wird. Seine Abhandlung reicht bis in die frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhundert und widmet sich somit nicht den Fortschritten im Loch Style Fishing, Micro Pattern Fischerei sowie der letzten, sich in der Erschließung befindlichen Grenzen unseres Sports, dem Fliegenfischen an unseren Meeresküsten bzw. dem offenen Meer.
Andrew Herd’s leidenschaftliche und äußerst unterhaltsame Annäherung an eine kohärente, analytische und zutiefst informative Aufarbeitung der Geschichte des Fliegenfischens, machen dieses Buch schon jetzt zu einem Klassiker, welches noch Lange der Maßstab für die geschichtliche Betrachtung der Entwicklung von Fliegenfischen sein wird.
Unbedingt lesen!
Andrew Herds Titel hatte großen Einfluss auf unser eigenes Buch – ‚Nymphenfischen: Geheimnisse entlarvt‘
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