© Günther Neunteufel // Flüsse, Seen und das Meer: Für viele sind sie mehr als nur Angelgewässer. Seit langer, langer Zeit habe ich wieder eines gefunden, in das ich mich restlos verliebt habe. Bisher glückte mir das nur in der Ferne. Doch hier ist der Gedanke fremdzugehen nicht präsent. Vielleicht gibt es schönere, beeindruckendere, welche mit mehr und größeren Fischen. Und doch fühle ich mich nach langem Suchen endlich so zu Hause, dass ich mir wünsche, es möge nie ein Ende haben. Eine Liebeserklärung an mein Gewässer steht noch aus. Alfred Baudisch hingegen hat seiner ‘Liebe’, der niederösterreichischen Fischa-Dagnitz, nach fast dreißigjähriger Hege und Pflege eine literarische Liebesbekundung gesetzt. Ein Auszug aus ‘Das Federspiel – Gelebtes Fliegenfischen’.
Die Flüssin – Alfred Baudisch
Es gibt wohl kaum einen Fluss, dessen Erscheinungsbild unauffälliger oder zufälliger sein kann, als das der Fischa Dagnitz, einem Flüsschen ohne Tal. Unauffällig, weil die Fischa oftmals schmal und versteckt zwischen Gärten still dahinfließt, und zufällig, weil Spaziergänger den unmittelbar hinter dichten Ufersträuchern verborgenen, lautlos dahinfließenden Wasserlauf erstmals nach intensiven Auslichtungsarbeiten entdeckten. Nachdem wir vor nun bald dreißig Jahren mit Gleichgesinnten den Fluss an einigen Stellen „sichtbar“ gemacht hatten, bemerkte so mancher Spaziergänger zum ersten Mal dieses doch eher sehr überschaubare Kleingewässer. Die Fischa speist auch im Gelände des Schlossparkes von Pottendorf die großen Teiche in der östlichen Parkhälfte und den 2008 revitalisierten Schlossgraben, der nun wieder das vormals im Besitz der Familie Esterhazy befindliche Wasserschloss umschließt. Die Fischa Dagnitz bildet somit durchaus auch große, weitläufige Wasserflächen.
Irgendwann Ende der siebziger Jahre war ich das erste Mal im wahrsten Sinne des Wortes über diesen Niederungsfluss südlich von Wien gestolpert, ohne zu ahnen, welches Kleinod ich damals entdeckt hatte. Bei einem Spaziergang in der Umgebung von Pottendorf, einer kleinen Ortsgemeinde am nördlichen Rand des niederösterreichischen Steinfeldes, stieß ich auf mehrere kleine bis mittelgroße Wasserläufe, deren Verlauf im ersten Moment selbst einem Ortsunkundigen sehr verwirrend erscheinen müssen. Der Fluss und seine Nebengerinne machen es einem an vielen Stellen anfangs nicht gerade leicht, sich zu orientieren und eine beschriebene Stelle nur nach Erzählungen zu finden, denn der Verlauf ändert oftmals Gestalt und Charakter, präsentiert sich einmal ähnlich einem Kreidefluss, dann wieder aufgestaut mit Werkskanälen und Ausleitungen, Zubringerbächen und sogar teichartigen Stillwassern.
„Darüber gestolpert“ meine ich, weil es beim Bemühen, ein Nebengerinne im Oberlauf der Fischa Dagnitz im Sprung zu überqueren, bei einem Versuch blieb, der damit endete, dass ich nur zwei Schritte vom Ufer entfernt, in scheinbar seichtem Wasser mit schmatzendem Gurgeln knietief im weichen Flussgrund versank. Meine erste, feuchte Bekanntschaft mit den Tücken der Beschaffenheit des Flussgrundes verschaffte mir auch gleich einen nachhaltigen Eindruck von den optimalen Wassertemperaturen für die Salmoniden, denn um diese Fische ging es bei meinem Spaziergang natürlich. Welcher Fliegenfischer sucht beim Erkunden eines fremden Gewässers nicht nach deutlichen Anzeichen für das Vorhandensein von Forellen oder Äschen? Und da es reichlich Fische zu entdecken gab, war auch sofort klar, hier musste der Versuch gestartet werden, ihnen mit der Fliegenrute nachzustellen.
So gelangte ich nach einigen Erkundigungen an das Wiener Original, den wertgeschätzten Angelgerätehändler, Fliegenbindefachmann und Buchautor, Norbert Eipeltauer. Er verstarb 1989 und blieb vielen als Legende in Erinnerung. Sein Geschäft lag etwas versteckt in einem Souterrainlokal im vierten Bezirk am Kühnplatz. Bei ihm konnte man damals Fischereischeine für den Oberlauf der Fischa Dagnitz für den Abschnitt von Haschendorf bis in die Au zwischen Siegersdorf und Pottendorf erstehen. Dieses Niederungsflüsschen entspringt einem Grundwasserquellteich und schlängelt sich ganz typisch durch flaches Agrarland, Kleingemeinden und Waldstriche.
Mein Freund Peter und ich versuchten gerade, den Nimbus ernsthafter Fliegenfischer zu erlangen, und wurden also im Geschäft von Herrn Eipeltauer vorstellig, um hier eine Tageskarte zu erstehen. Dies war nach einem kurzen Gespräch nicht weiter schwierig, kannte mich Herr Eipeltauer ja bereits von einigen ausschweifenden Beutezügen in seinem Laden. Noch heute, mehr als vierzig Jahre später, binde ich mit seiner kleinen, von ihm zugeschliffenen Hechelklemme aus Messing, die er mir mit den Worten „Nehmen‘s halt meine!“ übergab, weil er im Moment keine andere fand und mir sonst keine verkaufen hätte können. Als ich damals auch noch seinen Empfehlungen für eine spezielle Rute zum Fischen mit der Nymphe nicht widerstehen konnte, erwarb ich bei ihm kurzerhand meine erste Fliegenrute aus dem House of Hardy, eine „Favourite“, Schnurklasse 5/6 und 8,6 Fuß lang. Sehr rasch wurden mir damals in meiner Begeisterung die Grenzen eines Junglehrergehalts aufgezeigt. Dennoch wollte Herr Eipeltauer anscheinend unser Wissen und unsere Qualitäten „überprüfen“, was das Fliegenfischen betraf, da er uns ganz zwanglos in ein Gespräch verstrickte. Wir waren dafür nicht undankbar, hofften wir doch auf einige zusätzliche Informationen über das erstmals von uns zu befischende Gewässer. Natürlich erstand ich auch gleich sein damals kürzlich bei Paul Parey erschienenes Buch „Streamerfischen“, denn die Fischa wurde ja darin auch mehrmals erwähnt. Vor allem wurde von wahren „Forellenmonstern“ mit Gewichten bis zu zehn Kilogramm Gewicht berichtet und so das Interesse des Lesers nachhaltig geweckt. Erst später kam ich dahinter, dass hier oftmals die Warme Fischa gemeint war, die, nur wenige Kilometer von der Fischa Dagnitz entfernt, eigentlich überhaupt nichts mit derselben zu tun hatte und mit dieser in keiner Verbindung stand. So wurde auch in „Brehms Tierleben“ 1914 im dritten Band über die „Fische“ eine Bachforelle erwähnt, die im Jahre 1851 in der Fischa bei Wiener Neustadt erbeutet wurde, sie war 92cm lang, 24cm hoch und wog stolze elf Kilogramm. Auch hier handelte es sich wohl um die Warme Fischa.
Um diese kurze Episode zur Person von Norbert Eipeltauer und der von ihm überaus wertgeschätzten Fischa Dagnitz abzuschließen, noch ein kurzer Nachsatz. Wir stellten ihm also nach einiger Zeit des Plauderns, er konnte ja stundenlange Monologe halten, die uns als relative Greenhorns entlarvende und etwas peinliche, aber doch sehr wichtige „Gretchenfrage“, wo denn in „seinem“ Revier besonders empfehlenswerte Stellen zu finden wären, und ob er uns vielleicht einen Tipp geben könnte, da wir doch das erste Mal an sein Wasser zum Fischen kämen. Vereinfacht gesagt, wir wollten wissen, wo finden wir Fische, möglichst reich an Zahl und Größe? So kann man natürlich nicht fragen, aber seine Antwort fiel dann auch ganz typisch für ihn aus. Er meinte in seiner unnachahmlichen Art, nachdem sein Blick lange suchend gegen die Decke seines Kellergeschäftes gerichtet war und dann langsam tiefer sank und über den Brillenrand hinweg auf uns „Bittsteller“ fiel, wobei er mit den Armen ruderte und mit den Händen wild gestikulierte, „Am besten schaun’s gleich unterhalb von … oder nein, besser Sie versuchen’s gleich bei der … wenn man in den Ort hineinkommt, da steht so eine Tafel … auf der linken Seite, nein, warten Sie, Sie sollten zuerst stromauf … da kommt eine Brücke … aber Sie könnten genauso gut dort, wo die Straße eine leichte Biegung …“, und dann etwas heftiger durchatmend, fasste er kurz zusammen, „es is‘ eh überall gut, die Fische sind ja leicht zu finden, Sie werden sicher gut fangen!“ Mit diesen Worten entließ er uns. Das Wasser war glasklar und wir fingen nur ein paar kleine unvorsichtige Fische, die Ausbeute war ziemlich mager und wir waren uns sicher, dass wir alle guten Angelstellen sorgfältig gemieden hatten.
Vom ersten Augenblick an ließ ich mich von der reizvollen Fischerei an diesem kleinen Fluss einfangen. Wie schwierig die Fischa Dagnitz wirklich sein kann, sollte ich in späteren Jahren noch so manches Mal recht deutlich erfahren. Ihr Reiz hat mich bis zum heutigen Tag nicht mehr losgelassen. Und hätte mich mein Freund P. nicht aus dem Wasser gezogen, dann wäre ich wahrscheinlich niemals mehr dem Schlamm im Wehrstau der Heiss-Mühle entkommen, der mich bis zu den Oberschenkeln wie einbetoniert in meinen Watstiefeln festhielt, nachdem ich die Wassertiefe ob seiner Klarheit und die Tücke des grundlosen, weichen Bodensedimentes grob unterschätzt hatte.
In einem Artikel für ein deutsches Anglermagazin habe ich vor einigen Jahren den Versuch unternommen, die Faszination dieses Flüsschens einzufangen, wobei die Wortwahl im Titel dieses Kapitels, „Die Flüssin“, bewusst verwendet wird, da es sich um einen „weiblich“ anmutenden Fluss handelt, die Fischa Dagnitz, im Gegensatz zu den viel selteneren „Männlichen“, wie beispielsweise „Der Inn“ oder „Der Lech“. Damals habe ich mir die Frage gestellt, warum zieht es so manchen von weither an diesen kleinen, unscheinbaren Flusslauf? Warum fährt ein Tiroler mit einer Fliegenrute im Gepäck quer durch Österreich bis an dessen östliches Ende an die Ausläufer der pannonischen Tiefebene ins absolute Flachland, gibt es doch in den Alpentälern und auf den Bergen im Westen unseres Landes augenscheinlich keinen Mangel an glasklaren Forellenbächen und rauschenden Flüssen!
Was konnte einen stets sehr freundlichen Japaner dazu veranlassen, immer wieder mit seiner gesplissten Bambusrute drei Stunden in einem geliehenen japanischen Kleinwagen aus Budapest ins niederösterreichische Steinfeld zu chauffieren, musste er doch ohnehin auf Grund der nicht unbeträchtlichen Entfernung nach einigen wenigen Stunden des Aufenthaltes am Wasser bereits wieder die mehrstündige Heimfahrt antreten, während die tanzenden Maifliegen noch Türme über den Baumkronen bildeten. Aus welchen Gründen verbrauchen durchaus ehrenwerte und arbeitsame Menschen Ende Mai Anfang Juni eine ganze Reihe von Urlaubstagen, um so oft wie nur irgendwie möglich einige Kilometer südlich von Wien nachmittags im Ufergesträuch verschwinden zu können? Welche Verlockungen bringen treusorgende Familienväter und brave Ehemänner dazu, während der ersten Junitage schwere Beziehungskrisen zu riskieren, nur um sich nachmittags wiederholt für einige Stunden in hohen Gummistiefeln von zu Hause wegschleichen zu können?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach! Es handelt sich in allen Fällen um Individuen der Gattung Fliegenfischer (Piscator muscae), allerdings bereits in einem hoffnungslos fortgeschrittenen Stadium ihrer Passion. Ihnen eigen ist dieser für nicht Eingeweihte so seltsam anmutende Drang, ja man könnte es fast eine Obsession nennen, möglichst oft an der Fischa den doch einigermaßen zahlreich darin umherschwimmenden Forellen und Äschen nachzustellen, solange sich die größte heimische Eintagsfliege, die Maifliege in großer Dichte zeigt. Nun gibt es zwar eine ganze Reihe an Gewässern, wo ein Maifliegenaufkommen nachgewiesen werden kann, damit es aber für die Fische und die Fischer zu einem wahren Fest werden kann, muss schon ein beträchtliches Aufkommen an Danicas über einen längeren Zeitraum hinweg gewährleistet sein.
Maifliegen finden sich an vielen unterschiedlichen Gewässern. Dort weisen zwar einige Flussabschnitte Kleinstpopulationen auf, nur werden sie eben nicht von den Fischen in dem Ausmaß angenommen, wie das in den Flüssen geschieht, die ein massives Maifliegenvorkommen über ein bis zwei oder noch mehr Wochen bieten. Dort stellt sich die überwiegende Mehrheit der Flossenträger während dieser Zeit ganz auf das spezielle Nahrungsangebot ein. Darin scheint auch der Schlüsselreiz für den enthusiastischen Fliegenfischer zu liegen, beginnend mit einer plötzlich einsetzenden Aktivität der Nymphen von Anfang bis Mitte Mai, gefolgt von dieser langen Phase der Maifliegenemergenz. Sie verursacht dieses Zwangsgefühl, den unwiderstehlichen Drang, ans Wasser zu eilen, um dem Gewässer, den Fischen, den Fliegen nahe zu sein und an diesem Naturereignis Teil haben zu können.
Auch ich konnte mich nach einigen herausfordernden aber erlebnisreichen Fischtagen nicht mehr dem Bann dieses Gewässers entziehen und fügte mich nur zu gern seinem Ruf. Nachdem einzelne Tage am Fluss den Wunsch nach mehr geweckt hatten, fischte ich ein Jahr lang in dem am weitesten stromauf gelegenen Revier, wo ich an dem „Gin Clear Water“ eines sehr rasch lernte, sei ein Baum, ein Strauch, besser noch ein dünner Grashalm, unbeweglich am Uferrand, minutenlang! Hob ich dann vorsichtig nach einer Ewigkeit, wie mir schien, unmerklich die Rute, so flitzten die Fische wie wild hin und her, meine „Tarnung“ war jedes Mal schonungslos aufgeflogen. Stromauf einzelne Fische anzuwerfen, in der Literatur die sportlichste und erfolgversprechendste Methode, ließ die Praxis zumeist andere Herangehensweisen deutlich günstiger erscheinen, denn in dem relativ schmalen, verwachsenen Gewässer die Schnur stromauf weit weg vom Zielfisch unverfänglich abzulegen, gelang eher selten. Um jahrzehntelange Erfahrungen reicher und nachdem ich bereits mehr als 25 Kilometer der Fischa Dagnitz näher kennengelernt und viele Jahre mehr oder weniger erfolgreich befischt hatte, versuchte ich in einem Artikel der Zeitschrift „Der Fliegenfischer“ unter dem von Fritz Ossadnik (geborgten!) Titel „Schauen und Fischen“ meinen praxisnahen Zugang zu erfolgreichem Fliegenfischen zu vermitteln. Hätte mich jemand gefragt, wie lange es dauert, bis man sich an der Fischa Dagnitz erfolgreich zurechtfinden würde, meine Antwort wäre immer die gleiche geblieben, „Fisch‘ einmal zwei Jahre regelmäßig hier, lern‘ das Wasser kennen, dann erschließt sich der Reiz der Fischa ganz von allein! Und fängst du dann hier deine Fische, dann fängst du sie überall!“.
Bereit zu sein, anfänglich Lehrgeld zu bezahlen, und davon nicht wenig, das musste ich mir auch vor fast vierzig Jahren eingestehen. Die Fischa konnte einem schon die eine oder andere Niederlage bescheren, sie geizte oftmals mit ihren Fischen und wollte sie um keinen Preis einem Greenhorn so ohne weiteres preisgeben. Ich erinnere mich an eine Episode in Siegersdorf, ich hatte gerade meine erste Jahreslizenz in der Tasche und fischte seit einigen Wochen regelmäßig an den unterschiedlichsten Plätzen, um das Gewässer umfassender kennenzulernen. Ein Stück flussabwärts im Ort, Kirche und Brücke lagen rund zweihundert Meter stromauf hinter mir, beschloss ich vorsichtig einzusteigen. Rasche Bewegungen vermeidend, näherte ich mich einem Durchlass im dichten Ufergesträuch und rutschte über die dicht bewachsene Uferkante ins Wasser hinunter, ohne einige mir bereits bekannte Einstände, ruhige Bereiche unter sogenannten Waschbrücken, aus den Augen zu lassen. Jede Bewegung an der glatten dunklen Wasseroberfläche unter den Podesten hätte einen guten Fisch an seinem Unterstand verraten können. Als sich weder flussauf noch stromab etwas bewegte, fiel mein Blick auf ein langes Holzstück in der Mitte des Baches. Die Spiegelung gab es nur für Augenblicke hin und wieder frei. Allerdings erkannte ich im nächsten Moment erstaunt, der hölzerne „Prügel“ öffnete sein großes weißes Maul, so als ob es gähnen wollte. Ich erschrak regelrecht, denn das „Holz“ war gut einen dreiviertel Meter lang und ließ sich nun eindeutig als kapitale Forelle identifizieren.
Es gelang mir mit einer unmerklichen Bewegung der Rute, es war die bei Norbert Eipeltauer erstandene Hardy „Favourite“, den zuvor angeknüpften Bachflohkrebs in die Nähe des Fischkopfes zu schlenzen. Eine halbwegs nette Gammarus-Imitation ist hier der tägliche „Schweinsbraten“ für die Fische. Sofort ließ sich die riesige Regenbogenforelle mit einer seitlichen Bewegung über die ganze Körperlänge steif wie ein abdrehender Schiffsrumpf in den Schatten der Gartenhecke des jenseitigen Ufers wegdriften. Die Bewegung wirkte wie das Wenden eines langen Frachtschiffes, das von einem kleinen Lotsenkahn mit seinen Gummiwülsten am Bug in eine Position gedrückt wird, aus der es dann selbst Fahrt aufnehmen kann. Die Wassertiefe betrug gerade einmal einen halben Meter, trotzdem gelang es dem Fisch ungesehen zu verschwinden. Und er blieb unauffindbar, obwohl ich den gesamten Gewässerabschnitt peinlich genau nochmals absuchte. Ein Bachlauf, wenig tief und hier vielleicht gerade einmal gut sechs oder höchstens sieben Meter breit, und keine Spur von einer so riesigen Forelle. Ich konnte sie nie wieder aufspüren. Vermutlich war es eine der Regenbogenforellen, die gelegentlich aus der Fischzucht in Haschendorf auskamen, um dann weiter stromab überraschend aufzutauchen.
Meine größte Regenbogenforelle an der Fischa fing ich viele Jahre später Ende März mit der Trockenfliege an einer schmalen Stelle unter dichtem Buschwerk in „meiner“ Einser Strecke. Sie maß knapp mehr als einen dreiviertel Meter und ging mir später noch zweimal an den Haken, es zeigte sich dann aber deutlich, dass dieses „Bacherl“, wie wir die Fischa zeitweilig wegen ihrer Unscheinbarkeit nennen, solche Fische, vor allem Regenbogenforellen, auf natürlichem Wege nicht ausreichend ernähren konnte. Das ist allgemein ein Problem, wenn Zuchtfische freikommen oder zu große Fische beim Besatz eingebracht werden. Entweder sie entwickeln sich rasch zu Kannibalen und überleben so einige Zeit, oder sie setzen zusehends zurück und verhungern langsam. Bachforellen scheinen dieses räuberische Gen in einem wesentlich größeren Ausmaß zu besitzen.
Der Begriff Heimatfluss hat schon eine besondere Bedeutung für mich, denn er beschreibt ziemlich genau meine Beziehung zur Fischa Dagnitz, die ich nun seit mehr als vierzig Jahren befische. Viele Flüsse, die ich über Jahrzehnte oft und oft befischen konnte, die Thaya, den Kamp, die Große und die Kleine Erlauf, die Ybbs, die Triesting, die Piesting, die Schwarza und einige andere mehr im In- und Ausland, alle waren mir lieb und wert, doch so richtig hängengeblieben bin ich schließlich an dem auf den ersten Blick am wenigsten spektakulär anmutenden Flüsschen.
Es waren sicher nicht gleich die außergewöhnlichen Fänge, denn die blieben anfangs eher aus, ganz so leicht war die Fischa nicht zu „erobern“. Glasklares Wasser, teilweise wenig Strömung, sehr vorsichtige Fische, es war alles andere als einfach, einen „vernünftigen“ Fisch zu überlisten und hat wohl ein bis zwei Jahre gedauert, bis zum ersten „Handschlag“ mit einer von den wirklich „guten“ Bachforellen, für die die Fischa Dagnitz immer schon bekannt war. Obwohl ich das Fischen mit der Fliege über viele Jahre an kleinen Gewässern wie der Triesting oder der Schwarza im Oberlauf bereits kannte, so war es an der Fischa doch eine neue Herausforderung, aber vielleicht war gerade das besonders reizvoll. An vielen Streckenabschnitten lässt sich nicht allzu viel nur mit herkömmlicher Anbiete-, bzw. Wurftechnik erreichen. Die Fliege stromauf zu servieren und dabei Fische zu überwerfen, das geht meist nicht, ohne dass sie zackig Reißaus nehmen.
Fritz Ossadniks Büchlein „Schauen und Fischen“ sagt im Titel schon ganz klar und einfach, worum es an der Fischa geht. Such dir einen Fisch und dann überleg‘ dir, wie du es angehst, ohne ihn zu verscheuchen, bevor er überhaupt die Chance hat, deine Fliege zu sehen. „Normale“ Überkopfwürfe sind nur an wenigen Stellen möglich „Schnurmanipulationen“ anderer Art sind weitaus mehr gefragt. Reichlich Uferbewuchs, der heute bei den klimatisch bedingten, zunehmend längeren Hitzeperioden mehr denn je an Wichtigkeit gewinnt, stellt natürlich eine Herausforderung für denjenigen dar, der es gewohnt ist, seine Leine watend über weiten, freien Wasserflächen entfalten zu können. Gefühlvolles Rollieren, „Luftrollen“, Switch- bzw. Speycasting auf engem Raum, seitliches Werfen, nur unten durch und nicht oben drüber, Hänger aus dem Totholz lösen oder Fliegen über Kopf und aus dem jenseitigen Ufergesträuch zu befreien, das sind die wichtigen Tugenden beim erfolgreichen Fliegenfischen an der Dagnitz.
Und dann ist da noch eine nicht unwesentliche Sache; es gibt bis auf die Maifliege keine besonders nennenswerten Massenschlupfzeiten bestimmter Eintags- und Köcherfliegen, weil das Habitat größtenteils nicht wirklich einen geeigneten Lebensraum für Ephemeren darstellt. Weicher, schlammiger Grund überwiegt. Nur sehr gelegentlich findet sich an kurzen Gewässerabschnitten vereinzelt ein Eintagsfliegenaufkommen, auch unvermittelt herumflatternde Köcherfliegen bleiben zumeist eine Minderheit. Eher trifft man im Frühjahr auf die bei den Fischen nur begrenzt beliebte Erlenfliege (Alder Fly), obwohl man mit etwas Glück sehr wohl Fische beim Aufnehmen am Grunde kriechender Sialis-Larven beobachten kann. Bis zum Frühsommer ist oftmals die Hagedornfliege (Hawthorn Fly) unterwegs, sie wurde aber auf Grund von Auslichtungsarbeiten in einigen Revierabschnitten und nun fehlendem spezifischen Uferbewuchs in letzter Zeit auch immer seltener gesichtet. Doch glücklicherweise gibt es einigermaßen viel Totholz, stellenweise sehr dichten Wasserpflanzenbewuchs und jede Menge Laubfall im Herbst. So gedeiht dankenswerter Weise der Bachflohkrebs! Der leidgeprüfte Trockenfischer greift an der Fischa Dagnitz oftmals mit säuerlicher Miene zu einem „Mallard & Yellow“, um dann bei der ersten dicken Bachforelle, die bald seine Gerte verbiegt, plötzlich mit einem breiten Grinsen über den Streamer als Köder hinwegzusehen. Leider gibt es auch Zeitgenossen unter den „Mitfischern“, die in der Maifliegenzeit während des schönsten Schlupfes weiter eifrig mit dem „Mallard“ fischen. Sie huldigen dem Grundsatz, „Wozu eine Trockenfliege anbinden, es geht ja auch so!“. Na Hurra!
Natürlich ist die Maifliegenemergenz die hohe Zeit an der Fischa, auch wenn die Fische manchmal eine Fliege, die das schlüpfende Insekt imitiert, lieber annehmen als eine hoch sitzende, in voller Pracht abtreibende Maifliege. Wenn Insekten zahlreich schlüpfen, dann scheint besonders der Moment von den Fischen besonders geschätzt zu werden, in dem sich die Subimago gerade aus ihrer Nymphenhülle an der Oberfläche befreien will und sich noch nicht ganz aus der leeren Nymphenhaut gelöst hat oder noch für Augenblicke darauf zu verweilen scheint, wie wenn sie sich von der Anstrengung kurz erholen müsste. Sichere Beute für hochstehende Fische! Manchmal erliegt man der Faszination dieses Naturschauspieles und vergisst ganz auf das Fischen selbst. Solche Eindrücke in unmittelbarer Nähe verfolgen zu können, wenn sich nur wenige Zentimeter vor den Füßen eine Maifliege aus ihrer Hülle windet, um nur wenige Meter stromab in einem gierigen Fischmaul zu verschwinden, das ewige Spiel von Leben und Tod. Solche Beobachtungen werden zu nachhaltigen Erlebnissen, und man vergisst sie einfach nicht so schnell. Wer in so einem Moment unbedacht mit der Rute herumwedelt, vertreibt höchstens den Fisch!
Leider verloren einige Fliegenstrecken in den letzten Jahren ihr gutes Maifliegenaufkommen, ja man kann sogar von ganzen Flussabschnitten sprechen. Sie erweisen sich heute als weniger „Maifliegen tauglich“! Quo vadis, Ephemera Danica? Eine Frage, die man sich mancherorts leider immer öfter stellen muss! Die beschwichtigende Antwort, es liege hier ein mehrjähriger, zumindest aber zweijähriger Zyklus vor, kann nach einigen Jahren vermehrten Ausbleibens an charakteristischen Stellen des Flusses nicht als Erklärung für langfristige Ausfälle geltend gemacht werden. Zu viele Eingriffe, im Uferbereich und im Flussbett selbst, müssen mittlerweile durchaus auch als Ursache für den deutlichen Rückgang einer über viele Jahrzehnte hinweg beeindruckenden Maifliegenpopulation gesehen werden, auch wenn so mancher Veränderung der Wille und die Absicht zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Gewässer vorausgegangen war. Wie ein Reißverschluss beim Zuziehen schieben sich verbaute Flächen immer dichter an die Fischa Dagnitz und engen freien Zugang und die Unberührtheit natürlicher Uferlandschaften zusehends ein.
In so manchem Gewässerabschnitt bietet sich leider gerade in jüngster Zeit ein durchaus bedrohliches Szenarium. Uferbereiche mit Gras- und Buschbewuchs, von Bäumen überschattet, werden vernichtet. Vorgeschobener Blocksteinwurf und Stützmauern wurden von Anrainern ohne Wasserrechtsverhandlung und ohne Genehmigung errichtet. An Stelle einer bis ans Wasser reichenden Grasnarbe und eines nunmehr fehlenden, überhängenden Uferbewuchses finden sich nun deutlich verschlechterte Lebensbedingungen für die im Fluss lebenden Fische. Solche Veränderungen verursachen gleichzeitig eine Reduzierung des Nahrungsangebotes, und es geht mancherorts nicht nur den im Wasser lebenden Bachflohkrebsen, Insektenlarven und anderen Kleinlebewesen mehr oder weniger deutlich sichtbar an den Kragen. Sind es einmal nicht harte bauliche Veränderungen, so führen oftmals Gewässereinleitungen auf Grund zunehmender Bautätigkeit durch Anrainer aber auch landwirtschaftliche Maßnahmen wie die „großzügige“ Düngerausbringung zu wesentlichen Beeinträchtigungen. Natürlich schadet auch der zunehmende Temperaturanstieg während der Sommermonate bei gleichzeitig rückläufigen Wasserständen. Diese Temperaturen scheinen zumindest merkbaren klimatischen Veränderungen geschuldet, fehlende Niederschläge in den letzten Jahren führten zu einem Rückgang des Grundwasserspiegels im Einzugsgebiet der Quelle. All das stimmt natürlich sehr nachdenklich, wenn nun um den Fortbestand eines reinen Niederungsflüsschens gebangt werden muss, weil es einem Grundwasserquellteich entspringt.
Schwerwiegende Eingriffe in das Habitat sind den Lebensbedingungen für die Nährtierchen „unserer“ Salmoniden zumeist kaum zuträglich. Passt zum Beispiel der Lebensraum für Schlammgräber wie die Ephemera Danica nicht mehr, so bleiben die Folgegenerationen aus und bestimmte Flusszonen verlieren ihre Maifliegenpopulation. Dieses „Leerlaufen“ von Abschnitten beginnt sich kontinuierlich auszuweiten. Das Stromauffliegen zur Eiablage kann letztendlich zu lange ausgedünnte Gewässerstrecken auch nicht mehr ausgleichen. Genauso wenig hilft das Verdriften stromab bei der Eiablage, somit bleibt ein eingeengtes Fliegenaufkommen in einigen wenigen begünstigten Flussräumen zurück. Die „augenscheinliche“ Verbesserung des Lebensraumes für den Fisch, eine höhere Fließgeschwindigkeit, eine zusätzliche Sauerstoffanreicherung durch schnelles, bewegtes Wasser und nicht zuletzt die Entschlammung und ein Abtransport von Sedimenten mag oberflächlich betrachtet eine deutliche Verbesserung des Gewässerbildes darstellen, wird aber mit Sicherheit für die schlammgrabenden Larven der Ephemera Danica existenzbedrohend!
Und bleibt dann ein im Jahresverlauf wesentlicher Nahrungsschub für die Fische aus, oder steht als Nahrung nur mehr in bedeutungsloser Menge zur Verfügung, muss das fatale Folgen haben. In einem Gewässer, das ohnehin nicht gerade im Überfluss Insektennahrung aufbringt, derartige Einbußen hinnehmen zu müssen, gefährdet den natürlichen Bestand von Grund auf, und führt auch zwangsläufig auf lange Sicht zu einer ernsthaften Bedrohung einer angestrebten Bestandspyramide. Veränderungen im Flussbett, das Einbringen von entsprechendem Schotter als Verbesserung im Sinne der Vermehrung von Laichplätzen angedacht, führt aber gleichzeitig zur Störung des Maifliegenhabitats. Eingriffe dieser Art stellen sich daher manchmal selbst in Frage, obwohl in der Gesamtheit betrachtet, diese noch eher eine verschwindend kleine Rolle spielen. Aber einen der wichtigsten Nahrungspolster im Jahresablauf für die Fische zu gefährden und gleichzeitig auf ein verstärktes natürliches Aufkommen bei Bachforellen und Äschen zu hoffen, dieser Kreis kann sich nicht schließen! Entsprechend veranlagte Bachforellen, gerade einmal spannenlang, huldigen ohnehin nicht erst ab einem „reiferen“ Alter dem Kannibalismus, sondern machen in den wenigen seichten Rand- und Flachwasserzonen oder über Krautbetten fleißig Jagd auf die jüngsten ihrer Geschwister. Zahlreiche oberflächennahe Fänge mit Kleinstfischimitationen, auf 12er und 14er Haken gebundene Nassfliegen, beweisen ihr räuberisches Fressverhalten. Die Basis der Pyramide wird entscheidend geschwächt und man kann nicht mehr von einer natürlichen Pyramide sprechen, wenn sie nur einer sehr spitz zulaufenden Keilform entspricht.
Außerdem nehmen stetig wachsende Schwärme von Rotfedern und Aiteln gern das Angebot zusätzlich eingebrachter Brütlinge an, wie die zahlreichen Fänge mit entsprechenden Mustern zeigen. Das gilt aber auch bis zu einem gewissen Punkt für Regenbogenforellen, vor allem wenn sie „naturgewachsen“ im System groß geworden sind. Kann ein Kleinfischbesatz mit einjährigen Regenbogenforellen(!) wirklich eine Pyramide vortäuschen? Neigen wir vielleicht zur Selbsttäuschung, wenn wir dann behaupten: „Es gibt ja doch auch noch kleine Fische im Fluss, nicht nur den größengenormten Einheitsbesatzfisch“! Rechtfertigt irgendetwas wirklich den gesteigerten Bedarf(?) an künstlich angelegten Bachforellenlaichplätzen, wenn immer weniger „autochthone“ Bachforellen auf Grund des mangelnden Nahrungsangebotes ins laichfähige Alter kommen? Ist der Besatzfisch nur mehr als Eindringling zu sehen? Nutzen auch Regenbogenforellen unter Umständen vielleicht diese Laichplätze und lässt sich Regenbogenforellennachwuchs nicht auch als Futter für große Bachforellen bewerten? Somit hätten die Bachforellen wieder ein größeres Nahrungsangebot! Ja, wenn da nicht das Problem mit dem großen Appetit der vielen besetzten Regenbogenforellen wäre, die für Bachforellen und Äschen als gewaltige Nahrungskonkurrenten auftreten. Vor allem dann, wenn sie auch noch in gemästetem Zustand als Besatz eingebracht werden! Mancher „Fliegenfischer“ scheint damit zufrieden zu sein, kann er nur genügend dicke große Fische fangen – eine typische „Laufhaus – Fischerei“!
Die Quadratur des Kreises erscheint dagegen wie ein Rechenbeispiel aus dem kleinen Einmaleins! Jeder neue Lösungsversuch schafft neue Probleme und man taumelt von Erkenntnis zu Erkenntnis, bis man sich eingestehen muss, dass sich auf diese Art und Weise eigentlich auch nicht die gewünschte, echte und vor allem langfristig wirksame Verbesserung eingestellt hat. Optisch betrachtet, liegt das Gewässer sehr gut da. Die Wasserstrecke sieht bis auf das zunehmende Niedrigwasser in einigen Teilen recht ordentlich, ja geradezu wunderschön und einladend aus, in manchen Abschnitten tummeln sich auch zahlreich starke Fische. Aber dann, … eine Strecke von mehreren hundert Metern, nicht die erste an diesem Tag, die man abgelaufen ist, vorsichtig spähend, jede Deckung nutzend, und trotzdem – nichts! Kein Fisch ist zu sehen, nicht ein Schwanzerl! Wie gibt’s das?
Widersprüchlicher als der erste Teil dieses Kapitels und die letzten Seiten kann eine Betrachtung eigentlich gar nicht ausfallen – und doch gibt es eine Begründung dafür! Zum einen braucht es einen Rückblick auf Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, andererseits einen geschärften Blick auf das Heute und Jetzt und eine Entwicklung, deren Zukunft nichts Gutes erahnen lässt. Die Anzeichen und Vorboten häufen sich drastisch, ja sie sind aus heutiger Sicht dramatisch zu nennen. Bleiben wir vorerst einmal bei der Beobachtung heutiger Phänomene. Ein deutliches Zeichen geringerer Aufmerksamkeit für ein Gewässer zeigt sich sehr rasch am Ausbleiben der bisher an sonst durchaus zahlreich erschienen Fischer. Vor allem am Saisonbeginn, nach Besatzmaßnahmen oder eben beim Einsetzen der schon erwähnten Maifliegenemergenz. Kaum zeigen sich die Fische nach der Laichzeit wieder, erscheinen auch die Fischer erneut zahlreicher am Wasser. Bleiben sie aus, ist dies ein sicheres Anzeichen dafür, dass sich etwas geändert hat. Manchmal hat es auch mit der Entwicklung an anderen Gewässern zu tun. Dass Ausnahmen die Regel bestätigen, beweisen die unmittelbar letzten Jahre. Dokumentierte Fangerfolge zahlreicher großer Fische, rege Mundpropaganda und die stark eingeschränkte Mobilität wegen der Corona – Krise im Frühjahr 2020 führten zu einem totalen Ausverkauf bei der Vergabe von Lizenzen für die nahe Wien gelegene Fischa Dagnitz. Andere Gewässer im niederösterreichischen Umland erwiesen sich in den letzten Jahren zunehmend für den Fischfangerfolg als problematisch, so wurde die Fischa zu einem „Hot Spot“!
Ein Besatz, der nach wenigen Tagen kaum mehr sichtbar oder auch nur spürbar ist, weil zu große Flussabschnitte keinen messbaren Bestand an „alten“ Fischen aus den Vorjahren aufweisen, kann aber den eigentlichen Missstand nicht verdecken. Das gilt auch ganz besonders für die 21(!) Kilometer lange Strecke der Fischa Dagnitz! Die meisten Fische treffen nach dem Aussetzen auf ein „Vakuum“ und bleiben, bald über weite Strecken versprengt, in ihrer geringen Anzahl unentdeckt. Der Anreiz für den „gemeinen“ Fischer, ein auf den ersten Blick fischleeres Gewässer zu befischen, scheint leider gering.
Die Ursache für die „Leere“ ist leider nur allzu rasch gefunden, deutliche Spuren fischfressender Beutejäger sind heute allerorts in einem bedrohlichen Ausmaß zu finden. Ob Losungen des Fischotters unter Brücken, glatt gerutschte Uferkanten als häufig genutzte Einstiege, Fotonachweise anhand von Wildkameras oder regelmäßige Sichtungen von Kormoranen, Reihern und Gänsesägern samt Nachwuchs, all dies trägt dazu bei, dass sich im zeitigen Frühjahr der Fluss oftmals wie leer gefressen präsentiert. Dazu gesellen sich noch unerfreulicherweise die lizenzlosen „Beutegreifer“! Schwarzfischer stellen eine immerwährende Plage im zunehmend dicht besiedelten Gebiet entlang des Flusses dar. Die wenigen verbliebenen Fische werden durch den Jagddruck der fischfressenden Beutejäger, der sich während der Laichzeit und im Winter besonders bestandsbedrohend auswirkt, zu einer äußerst versteckten Lebensweise gezwungen. Beobachtungen während der „fischerlosen“ Schonzeit zeigen es deutlich, sie bewegen sich kaum im freien Wasser und können auch ihren natürlichen, wenn auch der Jahreszeit angepassten, stark reduzierten Fressgewohnheiten in einer ohnehin um einiges nahrungsärmeren Zeit des Jahres nur mehr sehr eingeschränkt nachkommen. Ist das unter naturnaher Bewirtschaftung zu verstehen, wenn Besatzfische in den Wintermonaten als Futter für übermäßige, zum Teil ausufernde Bestände an geschützten tierischen Beutegreifern zu dienen haben? Sollen Forellen in der kalten Jahreszeit nur mehr die Wahl haben, zwischen verhungern oder selbst gefressen zu werden?
Besonders deutlich erkennt man dieses Verhalten dann, wenn Fische in „vereinsamten“ Abschnitten erst dann auftauchen, nachdem sie versuchsweise mit ein paar Körnern angelockt werden. Auch bereits schon länger ausgewilderte Forellen lernen rasch wieder von den Besatzfischen. Dies kann sogar so weit gehen, dass sie natürlicher Nahrung, aquatischen und terrestrischen Insekten und anderen im Wasser vorkommenden Kleinlebewesen, weniger Beachtung schenken.
Wenn Fische aus Zuchtbesatz nach einem mehrtägigen Maifliegenschlupf noch immer nur sehr zögerlich nach den großen Eintagsfliegen aufgehen, und gelegentlich vielleicht gerade noch mit einer, wegen des Bewegungsreizes, rasch aufsteigend gefischten Nymphenimitation zu überlisten sind, meistens aber nur Interesse zeigen, ohne wirklich zuzufassen, auch nicht bei einem natürlichen Insekt, so würde wohl mancher puristisch veranlagte Fischerkollege nicht ganz zu Unrecht sagen, sie seien „verdorben“. Zusätzlich führt die konzentrierte Ansammlung von Fischen an „beliebten“ Futterstellen, beispielsweise unterhalb von Brücken oder an Fütterungsplätzen für Wasservögel durch Spaziergänger am Fluss und in den Parkteichen zu einem sehr wesentlichen Problem. Dort müssen die Fischfresser ihr „Futter“ nur mehr abholen.
Nach und nach schwindende Bestände an solchen Stellen lassen also nur den einen Schluss zu, dort wird durch das Füttern für die fischfressenden Beutegreifer ein lohnendes Jagdgebiet künstlich geschaffen und erspart ihnen die kräftezehrende Suche nach ihrer Beute! Auch mag dies die Erklärung für große fischleere Zonen sein, denn natürlich zieht es die Fische besonders in der kalten Zeit in Schwärmen zu wiederkehrenden Futteransammlungen. Ein Gewässer wie die Fischa Dagnitz, sommerkalt und winterwarm, bot gegenüber zugefrorenen Wasserflächen in der näheren Umgebung während extremer, winterlicher Kälteperioden in den letzten Jahrzehnten eine ziemlich sichere Nahrungsquelle für Fischfresser. Vor allem dort, wo von Spaziergängern oder Anrainern regelmäßig Futter ins Wasser geworfen wurde, war der Bestand mancherorts erkennbar dichter und wohlgenährt.
Viele solcher Gedanken rund um diese Thematik beschäftigen mich, wenn ich mich mit einer Zigarre und einem der Jahreszeit entsprechenden Getränk auf Helmuts Fischerbankerl in mein “Wohnzimmer“ in einen noch ruhig gelegenen Abschnitt der Fischa Dagnitz zurückziehe. Dort still vor sich hin zu sinnieren, das eine oder andere Problem zu überdenken, vorbeiziehende Fische, einen Biber oder Eisvogel zu beobachten, verschafft Ruhe und Besinnung. Ich muss die Fische nicht mehr an der Rute spüren, nicht mehr so oft wie früher.
Im letzten Frühwinter kam nach einiger Zeit immer eine Regenbogenforelle angeschwommen, während ich „warm eingepackt“, durch die kahlen Äste des zusammenbrechenden Auwaldes auf der anderen Flussseite die Lichtstimmung einer blassgelben Sonne durch einen gläsern, milchig trüben Himmel auf mich wirken ließ. Es hatte merklich abgekühlt in den letzten Tagen, noch war es aber nicht zu kalt, um hier zu verweilen und still das Wasser zu beobachten. Waren noch keine schweren Holzarbeiten zu verrichten, keine Sturmschäden aus dem Wasser zu entfernen oder mit der Motorsäge unvollendete „Werke“ des Bibers zu korrigieren, so ließ sich hier ganz herrlich etwas Entspannung finden. Es war bereits Ende November, blattleer reckten sich am frühen Nachmittag die dürren Äste wie Gichtfinger ins Grau des Himmels. Kreischend startete ein Graureiher durch, als er mich Störenfried beim Landeanflug auf „seine“ Watstrecke gegenüber des Biberbaues entdeckt hatte. Heute muss er sich seine Mahlzeit woanders suchen. Ein Mückenschwarm flirrte im Gegenlicht über dem dunklen Wasser, kein Fisch zeigte auch nur das geringste Interesse an den gelegentlichen Tippringen der tanzenden Flugschar.
Eine Regenbogenforelle schwebte leise fächelnd zwei Meter vor mir zwischen langsam absterbenden Krautstengeln der Wasserkresse. Deutlich erkenne ich nun eine weiß verfärbte Stelle hinter der Rückenflosse. Eine verpilzte Wunde, die vielleicht von einem Reiherschnabel verursacht worden war? Der Fisch hatte anscheinend noch einmal Glück gehabt. Er war zwar deutlich größer als das Brittelmaß und wäre für ihn nur sehr schwer zu schlucken gewesen. Aber was ein Reiher hinunter zu würgen vermag, veranschaulichte nur allzu drastisch vor Jahren eine Fotoserie, in der ein fast fünfzig Zentimeter langer Hecht nach und nach im Reiherhals verschwand. Im Ganzen! Allerdings knickten danach dem „Gierschlund“ die Beine ein, sehr X-beinig konnte er sich kaum aufrecht halten.
Da wir bereits die Erfahrung gemacht hatten, dass hochwertiges Futter helfen konnte, wenn Forellen nach dem Laichgeschäft mit Pilzschäden auftauchten, wollte ich es auch hier versuchen. Der Fisch hielt die Rückenflosse an die Wasseroberfläche, wie um zu zeigen, wo es weh tat. Ich kramte ein paar Körner aus der Tasche und warf sie einzeln dem Fisch zu. Blitzartig hatte er das nur wenige Millimeter große Körnchen von der Oberfläche geholt. Er kannte also dieses „Tierchen“! Diese spezielle Versorgung hielt ich während der Wintermonate über einige Zeit hinweg aufrecht. Bei jedem Besuch im „Wohnzimmer“ erschien der Fisch bald, nachdem ich auf dem Bankerl Platz genommen hatte, um auf seine „Medizin“ zu warten. Nach etwa acht Wochen waren Pilz und Verletzung verschwunden und ausgeheilt.
Es ist nun ein volles Jahr vergangen. Ich kann nicht beurteilen, wer wen besucht. Bin ich es, der auf den Fisch wartet, wenn ich gemütlich auf „meinem“ Platz Einkehr halte, oder ist es der Fisch, der meistens einige Zeit nach meinem Eintreffen heranschwimmt und geduldig vor meinen Füßen wartet, bis ich ihm gelegentlich etwas zuwerfe. Als im Frühjahr das Fischen wieder erlaubt war, wagte ich den Versuch, den Fisch zu fangen, ich wollte mir die Stelle der ehemaligen Verletzung ansehen. Kein Fliegenmuster war interessant genug, um die Forelle an den Haken zu bekommen. Erst eine zusammengestutzte Rehhaarfliege, einem Futterkörnchen nicht unähnlich, konnte sie ein einziges Mal täuschen. Richtig zornig und wild sprang die Regenbognerin, die bereits zu stattlicher Größe herangewachsen war, mehrmals hoch aus dem Wasser. Sie schien sich zu ärgern, dass sie einerseits den Betrug nicht rechtzeitig gemerkt hatte, andererseits schien sie auch über den „Verrat“ erbost, den ich begangen hatte. Nach wenigen Augenblicken schien sie aber einsichtig und ich konnte sie widerstandslos heranziehen und vom winzigen 18er Haken befreien. Nunmehr deutlich über vierzig Zentimeter groß gewachsen und kerngesund, die Vernarbung an der Basis der Rückenflosse war kaum zu erkennen, ließ ich sie zurück ins Wasser gleiten. Sie schwamm langsam einmal im Kreis, stellte sich dann eineinhalb Meter vor mir wieder in das Krautloch und wartete auf ihre „Belohnung“. Das tat sie von nun an bis zu dem Tag, an dem sie der Otter holte.
Einige Fliegenfischer, die damals diesen Abschnitt befischten, erzählten von einer Forelle, die in der Umgebung des Bankerls umherschwimme, die aber keine Fliege, weder eine Nymphe noch eine Nass- oder Trockenfliege, annehmen wollte. Sie „besichtigte“ alle Angebote, drehte aber immer kopfschüttelnd ab. Mich überkam immer ein stilles innerliches Lächeln. Als ich einmal einen Fischer an der Stelle antraf, ergab sich eine kuriose Situation. Der Fisch hielt sich zumeist in der tieferen Rinne in der Flussmitte zwischen den Krautbetten auf und schenkt den Fliegenangeboten keine Aufmerksamkeit. Schließlich setzte ich mich dann auf das Bankerl und plauderte mit dem jungen Mann einige Zeit. Er fischte heuer zum ersten Mal mit einer Jahreskarte an der Einser Fischa und war für ein paar Tipps recht dankbar. Während unserer Unterhaltung kam der Fisch näher und fächelte nur einen Meter vor meinen Füßen neben dem Wurzelstock zu meinen Füßen ganz leicht mit den Flossen. Die Forelle stand einfach still da und schaute. Kopfschüttelnd zeigte der Angelkollege auf den Fisch und meinte, er habe eine halbe Stunde lang mit allen möglichen Fliegenmustern versucht, ihn zu fangen, und jetzt stelle sich der Fisch sogar so knapp ans Ufer. Unglaublich!
Ich möchte es nicht beschwören, aber mir kam es so vor, als hätte mir die Regenbogenforelle einmal kurz zugezwinkert. Gemächlich ließ sie sich wieder in die tiefe Rinne zurücksinken, die der Biber krautfrei hielt, um beim Durchstich in den Ausstand hinausschwimmen zu können. Unser Geheimnis habe ich natürlich für mich behalten und nur so viel verraten, dass dieser Fisch eine „alte Bekannte“ sei. So sollte es auch bleiben. Ich erkannte sie bereits an ihrem „G’schau“, wenn sie zwischen anderen Forellen im Schwarm kreuzte. Irgendwann stand sie dann allein vor mir und die Rückenflosse schaute ein klein wenig aus dem Wasser. Ich habe sie „Froschkönigin“ getauft, aber dazu mehr in einem anderen Kapitel.
Für mich stellt sich an dieser Stelle nochmals eine ganz wesentliche Frage. Einerseits zu Pflichtbesatz laut Landesgesetz verpflichtet, dürfen Fische andererseits in Fließgewässern nicht gefüttert werden. Bedeutet dies, dass sie bei Nichtentnahme nach dem Ablaichen nur als Futtermittel und leichte Beute für übermäßig geschonte Fischfresser gedacht sind? Oder sollen sie einfach bei einem nachweislich rückläufigen, natürlichen Nahrungsangebot auf Grund von bedrohlichen Umwelteinflüssen schlichtweg verhungern??
Die verantwortungsvolle Jagdaufsicht betreut das Wild im Winter. Dem verantwortungsvoll denkenden Gewässerwart ist dies untersagt. Das grenzt für mich an Tierquälerei!
Kehren wir nochmals zurück zu den Fliegen der Fischa Dagnitz. Leider ist das auf ganz wenige Abschnitte beschränkte, gelegentliche Aufkommen kleiner Eintagsfliegen für das praktische Fliegenfischen kaum von Bedeutung. Es gibt kein wirklich nennenswertes, bedeutendes Vorkommen von Baetis-Arten oder anderer weithin bekannter Eintagsfliegenarten. Kleinstpopulationen in kurzen Fließbereichen bleiben die Ausnahme. Bei den Köcherfliegen sieht es schon etwas besser aus, aber auch sie erreichen kein wirkliches Aufkommen in größeren Mengen. Daher kommt anderen Insekten rund um das Wasser einige Bedeutung zu. Es geht um den Wert von Fliegen, wie die Erlenfliege, die Libellen oder die Hagedornfliege, denen nur teilweise, wenn überhaupt, eine aquatische Lebensphase zugeschrieben oder nur ein Vorkommen in Wassernähe zugeordnet wird. Die Hagedornfliege (Bibio Marci), die Hawthorn Fly, findet sich leider immer seltener. Diese schwarze, haarige Erscheinung mit ihren weißlichen Flügeln ist bereits im Flug leicht an ihren langen, frei hängenden Hinterbeinen zu erkennen. Sie gehört zu den Haarmücken und ist ein etwas skurriles Insekt, sind doch sogar ihre Augen behaart.
Hier sollte es in gewisser Weise gestattet sein, den Wert älterer Fliegenmuster etwas zurecht zu rücken, wenn es darum gehen soll, ihren praktischen Wert nicht zu unterschätzen oder gar gänzlich in Frage zu stellen. So möchte ich die Alder Fly, die Erlen- oder Erlfliege aus ihrem nicht ganz gerechtfertigten Dornröschenschlaf erwecken, gilt sie doch leider in der jüngeren Literatur über die ernährungstechnisch wesentlichen Insektenarten eher als weniger wichtige Erscheinung. Dem lassen sich mehrere Ausführungen in der Fliegenliteratur der letzten beiden Jahrhunderte gegenüberstellen, die den Wert einer Imitation der Alder Fly deutlich höher einstufen. Beispiele dazu finden sich zahlreich, auch in Neubert’s deutscher Bearbeitung von Sir Humphry Davy’s „Salmonia“ aus dem Jahr 1840:
Halieus. Was Sie sehen, nennen die Angler die Erlenfliege, und diese erscheint gewöhnlich in großen Schwärmen noch vor der Maifliege … Was mich betrifft, so werde ich eine Zeit lang mit einer großen Erlenfliege angeln, und verspreche mir davon guten Erfolg. Diese ist nämlich ebenfalls eine künstlich gefertigte: der Körper ist aus dem Barte einer dunklen Pfauenfeder; die Beine aus rother roher Seide, und die Unterflügel sind aus Rallenfeder, die Oberflügel aus Staarfeder gemacht … Wie sie sehen, taugt die Erlenfliege ebenso gut wie die Maifliege zur Lockspeise.
Ist das Angebot an Eintags-, Köcher- und Steinfliegen ohnehin etwas dürftig, so bekommen anderen Insektengruppen wie Schlammfliegen, Libellen und Zweiflügler berechtigter Weise mehr Bedeutung. Leider sind die Übersetzungen aus der englischen Literatur nicht immer ganz dienlich! Vor allem das zeitnahe Auftreten der Alder Fly mit der mancherorts alles überflügelnden Maifliege und ihrer trotz allem durchaus für den Fischer beachtlichen Wertigkeit beim praktischen Fischen, soll die Erwähnung der Erlenfliege an dieser Stelle ein bisschen ketzerisch das großzügige „Übersehen“ reparieren. Wenn sie recht massenhaft vorkommt, vermag vor allem eine leicht gezupfte Alder Fly, auch nass(!) gefischt, die Fische zu überzeugen. Anzumerken ist aber, dass die Erlenfliege nicht zur Eiablage auf das Wasser niedergeht, sie klebt ihre Eier an unmittelbar am Wasser wachsende Pflanzen. Von dort gelangt die schlüpfende Sialis- Nachkommenschaft ins Wasser und lebt räuberisch als Larve im Schlamm, bis sie ans Ufer kriecht, sich im Erdreich verpuppt und als geflügeltes Insekt den Kreislauf vollendet. An der Fischa Dagnitz sind bekanntermaßen die Teiche im Schlosspark Pottendorf und vor allem die angrenzenden Fließstrecken durchaus lohnenswerte Experimentierfelder für das Fischen mit der Alder Fly.
Doch abschließend gilt es, ganz allgemein eines festzuhalten! Federn von entseelten Vögeln, Fellgrannen von toten Säugetieren, Wolle und Haar unterschiedlichster Herkunft, an einem kleinen Haken fest gemacht! Totes Material! Tote Fliegen! Tote Fliegen? Eine Fliege – einige Zentimeter Bindfaden, ein paar Fellflusen, eine penibel gewundene Feder, ein Stückchen Litze und ein Tröpfchen Lack, nichts wirklich Aufregendes, wenn man die Materialien bedenkt – doch überwältigend in ihrer Wirkung, perfekt im Sinne der Täuschung, wenn sie die Forelle aus der Tiefe lockt. Worauf beruht diese Lockwirkung nun eigentlich?
Ist es wirklich unabdingbar, dass dieses „Ding“ in Farbe, Silhouette und Größe unbedingt dem lebendigen Vorbild so nahe wie möglich kommt, und nur dann auch wirklich vertrauensvoll angenommen wird? Es ist und bleibt doch ein mehr oder weniger „totes Ding“, das nur durch das Einwirken des Fischers, im Zusammenspiel mit der Beweglichkeit mancher Materialien und den Einflüssen von Luft und Wasser auf die selbigen, Leben vorzutäuschen sucht. So gesehen, bleibt zwar jede künstliche „Fliege“ eine tote Fliege, wird aber am Ende einer Leine zum Leben erweckt, zum Verführer, einer „Lure“, so wie die Figur des Kasperls die Kinder in dem Moment in seinen Bann schlägt, wenn die Hand des Puppenspielers in die zuvor leblos daliegende, leere Puppenhülle schlüpft, mit deren Kopf wackelt und ihr seine Stimme leiht.
Besonders „schräg“ wird es vor allem dann, wenn manch „unumstößliche These“ etwas festschreiben will und blind befolgt wird. Warum sollte zum Beispiel die Hechellänge eines bestimmten klassischen Fliegenmusters in Stein gemeißelt sein, so sehr, dass mancher Fliegenfischer sich bemüßigt fühlt, die Hechel mit der Schere einzukürzen. Die Frage nach dem „Warum?“ stellt sich wohl zwingend, wenn Besatzfische aus der Zuchtanlage zwei Tage zuvor erst in das Gewässer eingebracht wurden und niemals zuvor ihre entomologischen Kenntnisse entsprechend schulen konnten, wie es David Jaques im Kapitel „Tolerance in Dry Flies“ in seinem Buch „Fisherman’s Fly“ wohl nicht ganz zu Unrecht ironisch hinterfragt hatte.
Ganz wesentlich bleibt für mich die stete Herausforderung auf der kreativen Suche nach der Fliege für die Fischa Dagnitz, denn die Maifliege bietet nur eine kurze Phase im Jahreslauf, wo Verlass auf das gerade schwärmende Insekt und seine Imitationen gegeben ist. Vielleicht macht aber auch gerade das „Erfinden“ neuer „Fliegenmuster“ für die „Flüssin“ den besonderen Reiz der Fischa Dagnitz aus?
Alfred Baudisch fischt seit 50 Jahren, vierzig davon mit der Fliegenrute. Seit bald drei Jahrzehnten ist er Gewässerwart an der Fischa-Dagnitz, einem Fluss der Österreichischen Fischereigesellschaft. Zum Schreiben kam er als aktives Mitglied im Autorenrat der Zeitschrift “Der Fliegenfischer”. Er sammelt leidenschaftlich gerne fremdsprachige als auch deutsche Bücher über das Fische fangen, sowie Ausrüstung aller Art zum Fliegenfischen. Vor vielen Jahren schon wurde er zum besorgten Beobachter der bedrohlichen Veränderung an Gewässern durch den Klimawandel.
Wenn dieses schöne Kapitel aus Das Federspiel – Gelebtes Fliegenfischen dein Interesse geweckt hat, dann komm’ rüber in den Shop von F&Ä Verlag, deiner Stimme für mutige Veröffentlichungen. Das Buch ist ab 10.7.2023 erhältlich.
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Michael says
… erstklassig geschrieben … tolle Aufmachung und schöne Gestaltung … Danke lieber Freund, Mentor und unerschöpfliche Wissensquelle des Fliegenfischens
Tankred Rinder says
Hallo Michael, nach bestem Wissen hat dich dein Mentor und Wissensquelle schon persönlich kontaktiert und für das Lob bedankt. Als Verantwortlicher für die Umsetzung des Buches, freut es mich sehr zu hören, dass du von der Gestaltung des Buches begeistert bist. Alle Beteiligten haben sich große Mühen gegeben. Schön, dass es honoriert wird. Grüße, Tankred